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Die Präsidentin der Europäischen Kommission muss wegen Mittäterschaft an Israels Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt werden, so die oberste UN-Expertin für Palästina

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  • 3. Mai
  • 4 Min. Lesezeit

„Ich gehöre nicht zu jenen, die sagen: ‚Die Geschichte wird über sie richten‘ – denn über sie muss schon vorher gerichtet werden“, sagt Francesca Albanese in einem Exklusivinterview. Während der Internationale Gerichtshof seine nächsten Schritte zur Untersuchung und Verfolgung von Kriegsverbrechen im israelischen Gaza-Krieg unternimmt, drängt die Top-Expertin der Vereinten Nationen für Palästina auf noch mehr internationale Rechenschaftspflicht.


Von Arthur Neslen, The Intercept, 3. Mai 2025


(Originalbeitrag in englischer Sprache)

 

In einem umfassenden Exklusivinterview mit The Intercept fordert die UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, dass hochrangige VertreterInnen der Europäischen Union – darunter auch die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen – wegen ihrer Unterstützung Israels während des 18-monatigen Angriffs auf den Gazastreifen wegen Mittäterschaft bei Kriegsverbrechen angeklagt werden.

„Die Tatsache, dass die beiden höchsten VertreterInnen der EU ihre Beziehungen zu Israel wie gewohnt fortsetzen, ist mehr als bedauerlich“, sagt Albanese. „Ich bin nicht jemand, der sagt: ‚Die Geschichte wird über sie richten‘ – denn sie müssen schon vorher gerichtet werden. Und sie werden verstehen müssen, dass Immunität nicht mit Straffreiheit gleichzusetzen ist."

Seit einem Angriff der Hamas im Oktober 2023 hat Israel mehr als 50 000 Menschen getötet und fast die gesamte zivile Infrastruktur des Gazastreifens zerstört. Die meisten der Toten waren ZivilistInnen - darunter Zehntausende Frauen und Kinder.

Israels ursprüngliches Ziel, die von der Hamas entführten Geiseln zurückzubringen, wandelte sich zu einer von den USA unterstützten Vision der ethnischen Säuberung der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen. Zu diesem Zweck hat die israelische Armee ihre tödlichen Angriffe intensiviert und ein hermetisches Embargo für Lebensmittel, Wasser, Strom und Hilfsgüter verhängt.

„Es ist unmöglich, dies nicht als eine Absicht zur Ausrottung zu sehen“, schrieb der ehemalige EU-Außenbeauftragte Josep Borrell Ende letzten Monats [siehe Lesehinweis, Anm.].

Im vergangenen Mai wurde beim Internationalen Strafgerichtshof eine Klage gegen von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, wegen Mittäterschaft bei Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Gaza eingereicht. Seit ihrem Amtsantritt im Dezember hat die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas die Hamas für die israelische Entscheidung zur Beendigung des Waffenstillstands im März verantwortlich gemacht, die normalen diplomatischen Beziehungen mit Israel fortgesetzt und gelobt, sich „mit Israel solidarisch zu zeigen“.

„Die Völkermordkonvention von 1948 fordert die Unterzeichner auf, Völkermord nicht nur zu bestrafen, sondern auch zu verhindern“, sagte Mouin Rabbani, ein Nahost-Analyst und Non-Resident Fellow am Center for Conflict and Humanitarian Studies. „Hier haben wir es mit zwei hochrangigen EU-Vertreterinnen zu tun, die sich nicht nur weigern, auch nur symbolische Maßnahmen zu ergreifen, um Völkermord zu verhindern, sondern ihn aktiv normalisieren und unterstützen, wohl wissend, dass ihre Unterstützung die Verbrechen ermöglicht, die sie nominell bekämpfen. Daher sind die Punkte und Beobachtungen der Sonderberichterstatterin Albanese natürlich vollkommen richtig.“

Ein Sprecher der Europäischen Kommission, des Exekutivorgans der EU, betonte, dass der Staatenblock immer noch dem Völkerrecht verpflichtet sei und argumentierte, dass die geschäftlichen und diplomatischen Beziehungen der Europäer*innen zu Israel es den offiziellen Vertreter*innen erlaubten, ihre „Positionen und Bedenken“ zum Ausdruck zu bringen. Die Sprecherin Gioia Franchellucci sagte: „Das Assoziierungsabkommen mit Israel ist die Rechtsgrundlage unseres laufenden Dialogs mit den israelischen Behörden und bietet Mechanismen, um Fragen zu erörtern und unsere Standpunkte voranzubringen.“

Ende letzten Jahres enthüllte The Intercept, dass ein interner Bericht eines hochrangigen EU-Menschenrechtsbeauftragten die europäischen Länder aufforderte, alle politischen Beziehungen und den Waffenhandel mit Israel auszusetzen, da es Beweise für Kriegsverbrechen gebe.

Albanese fordert nicht nur Rechenschaft von den EU-Staats- und Regierungschefs, sondern arbeitet auch an einem Bericht, in dem Banken, Pensionsfonds, Technologieunternehmen und Universitäten wegen ihrer Mitschuld an der Zerstörung des Gazastreifens entlarvt werden sollen.

„All diejenigen, die in die rechtswidrige Besatzung verwickelt und daran beteiligt sind, indem sie sie unterstützen, leisten Beihilfe zu Verstößen gegen das Völkerrecht und zu Menschenrechtsverletzungen, und einige dieser Verstöße kommen einem Verbrechen gleich“, sagt sie. „Es kann eine individuelle Verantwortung und individuelle Haftung für diejenigen geben, die solche Verbrechen unterstützen oder ermöglichen.“

Obwohl der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehle gegen führende israelische Politiker wie Premierminister Benjamin Netanjahu erlassen hat, sagt William Schabas, Professor für internationales Recht an der Middlesex University und Experte für Völkermord, dass die Verfolgung einer hochrangigen EU-Politikerin einen Präzedenzfall darstellen würde.

„Es ist klar, dass es einen Fall gibt“, sagt er. „Nicht alle Unterstützer*innen Israels auf der ganzen Welt wären Kompliz*innen, aber sie ist die Leiterin einer sehr wichtigen zwischenstaatlichen Organisation und ermutigt Israel. Aber ich fürchte, es ist unrealistisch, vom Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs zu erwarten, dass er sich der Sache annimmt, denn er hat nur ein paar Haftbefehle gegen Personen in der israelischen Regierung ausgestellt und kein Interesse daran gezeigt, darüber hinaus zu gehen."

Schabas fügt hinzu: „Von der Leyen spiegelt eindeutig eine Position wider, die von vielen EU-Regierungen eingenommen wird, nämlich eine sehr bedingungslose Unterstützung Israels, und sie tun dies im Angesicht öffentlicher Informationen, die darauf hindeuten, dass Israel in Gaza und im Westjordanland schreckliche Verbrechen begeht.“

Die jüngsten Forderungen nach rechtlicher Verantwortung kommen zu einem Zeitpunkt, an dem der Internationale Gerichtshof eine öffentliche Anhörung zu Israels Verpflichtungen durchführt, humanitärer Hilfe – und Hilfsorganisationen – Zugang zu den besetzten palästinensischen Gebieten zu gewähren.

Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass Israels Vorgehen im Gazastreifen einem Völkermord gleichkommt, und Israel aufgefordert, mehr Hilfe zuzulassen.

Das Thema hat einen weltweiten politischen Aufruhr ausgelöst, und obwohl Albanese dies herunterspielt, berichtet sie, dass sie und ihre Familie seit der Veröffentlichung ihres Berichts „Anatomie eines Völkermords“ im März 2024 Morddrohungen erhalten haben.

„Seit ich meinen Bericht ‚Anatomie eines Völkermords‘ vorgelegt habe, ist meine Sicherheit nicht mehr vollumfänglich gewährleistet“, sagt Albanese. „Ich habe mitten in der Nacht Anrufe erhalten, in denen mir, meinen Familienmitgliedern und meinen Kindern gedroht wurde. Natürlich kann ich Ihnen nicht sagen, dass ich zu 100 Prozent sicher bin. Natürlich treffe ich Vorsichtsmaßnahmen. Natürlich habe ich dort, wo ich wohne, Schutz – man weiß ja nie! – aber gleichzeitig lasse ich mich nicht durch diese mafiösen Methoden lähmen. Ich komme von einem Ort, der mich gelehrt hat, dass die Mafia durch Schweigen tötet. Sie tötet, wenn die Menschen nicht auf sie reagieren. Deshalb bin ich so motiviert in dem, was ich tue. Ich werde so lange weitersprechen, bis ich keine Luft mehr in meinen Lungen habe.“

 

Arthur Neslen ist ein unabhängiger Journalist mit Sitz in Brüssel, dessen Arbeiten in The Guardian, Reuters, Politico, Al Jazeera und der BBC erschienen sind. Er ist Autor von zwei Büchern über israelisch-jüdische und palästinensische Identität, „Occupied Minds: A Journey Through the Israeli Psyche“ und (sehr empfehlenswert) „In Your Eyes a Sandstorm: Ways of being Palestinian".

 



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