top of page

Im Westjordanland ist palästinensische Arbeitslosigkeit jetzt israelische Politik

Nach dem 7. Oktober hat Israel die Arbeitserlaubnis von mehr als 150 000 PalästinenserInnen widerrufen. Zusätzlich zu den zunehmenden Angriffen der Siedler steht mein Dorf vor dem finanziellen Ruin.


Von Haitham S., +972Mag, 21. Januar 2025


(Originalbeitrag in englischer Sprache)

 

Seit dem Beginn des israelischen Angriffs auf den Gazastreifen im Oktober 2023 leidet die palästinensische Bevölkerung im besetzten Westjordanland unter einer akuten Krise von Arbeitslosigkeit. In den ersten sechs Monaten des Krieges hat sich die [ohnehin auch vorher schon hohe, Anm.] Arbeitslosenquote fast verdreifacht, und mehr als 300.000 ArbeitnehmerInnen haben ihre Haupteinkommensquelle verloren.


Mehr als die Hälfte dieser Menschen arbeitete innerhalb Israels, bis die Behörden ihnen nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober die Arbeitserlaubnis entzogen. Palästinensische Arbeiter haben wiederholt um die Wiedererteilung ihrer Einreiseerlaubnis nach Israel angesucht, damit sie für ihre Kinder sorgen und ein menschenwürdiges Leben führen können, aber ihre Anträge wurden bisher abgelehnt.


In meinem Dorf Umm Al-Khair in den südlichen Hebron-Hügeln haben die meisten Familien keine Einkommensquelle mehr. Zusätzlich zu der beängstigenden Zunahme der Angriffe von Siedlern und der Zerstörung von Häusern in unserer Gemeinde stehen die meisten BewohnerInnen nun vor dem finanziellen Ruin. Wir befinden uns bereits im zweiten Jahr dieser Realität und haben immer noch keine Lösungen oder angemessene finanzielle Unterstützung.

In der Vergangenheit lebte unsere Gemeinde von der Schafzucht und der Landwirtschaft. Doch im Laufe der Jahre haben die Ausdehnung der jüdischen Siedlung Carmel – die bei ihrer Gründung 1980 die Hälfte des Dorfes an sich gerissen hat – und die Gewalt der israelischen Siedler und Soldaten den größten Teil unseres Landes unzugänglich gemacht. Auf der Suche nach alternativen Einkommensquellen begannen viele junge Männer der Gemeinde als Arbeiter in Israel zu arbeiten – bis der Krieg dem ein Ende setzte. 


Ahmed Hathaleen, ein 29-jähriger Arbeiter, der vor dem Krieg auf israelischen Baustellen gearbeitet hat, ist nun seit über sechzehn Monaten arbeitslos. Im August 2023 erlitt er einen schweren Arbeitsunfall, bei dem ihm in einem israelischen Krankenhaus ein Finger amputiert werden musste. Bis seine Wunden verheilt waren, hatte der Krieg begonnen und Israel hatte ihm die Arbeitserlaubnis entzogen.


Da er kein anderes Einkommen hat, um seine Familie zu unterstützen, ist Ahmed gezwungen, Freunde um Geld zu bitten, was ihm peinlich ist und wofür er sich schämt. Aber, wie er sagt, er habe keine andere Wahl: „Ich bin Vater von zwei Kindern: Khaled, der zweieinhalb Jahre alt ist, und Majed, der 10 Monate alt ist. Mit Majed wurde ich in den ersten Kriegsmonaten gesegnet. In diesem Alter brauchen meine Kinder viel Zuwendung, und da ich nicht arbeiten kann, ist es äußerst schwierig, sie mit dem Nötigsten zu versorgen.“


Erschwerend kommt hinzu, dass Ahmed täglich Nachrichten und Anrufe von jenem israelischen Krankenhaus erhält, in dem er operiert wurde, und das ihn daran erinnert, die Schulden zu begleichen, die in den Monaten nach der Operation durch notwendige Nachsorgetermine entstanden sind. Das Krankenhaus hat ihm ein Ultimatum gestellt: Er solle den ausstehenden Betrag bezahlen, sonst werde seine Akte an die israelischen Gerichte weitergeleitet, was ihm zusätzliche Kosten in Form von Anwaltsgebühren und Bußgeldern für verspätete Zahlungen aufbürden würde.


„Ich habe derzeit nichts“, beklagte Ahmed. „Ich schulde bereits vielen Freunden Geld, das ich mir geliehen habe, um meine Familie und meine Kinder durchzubringen, und ich schulde dem Krankenhaus eine Summe, die ich nicht zurückzahlen kann. Je mehr Zeit vergeht, desto schlimmer wird die Situation. Keiner kümmert sich um uns.“


Viele andere Familien in Umm Al-Khair befinden sich in einer ähnlichen Situation. Einige waren sogar gezwungen, grundlegende Dinge wie Möbel zu verkaufen, um ihre Kinder zu durchzubringen.


Ammar Hathaleen, ein 32-jähriger Landarbeiter, verlor seine Arbeit in Israel, als der Krieg begann. „Ich habe sechs Kinder – wir haben eine Menge Ausgaben“, erklärt er. „Seit ich mein Einkommen verloren habe, habe ich keine Möglichkeit, sie zu unterstützen.


Ammar suchte ständig nach Arbeit im Westjordanland, konnte aber nichts finden. Er versuchte, auf seinen Feldern in der Nähe des Dorfes Weizen und andere Produkte anzubauen und zu ernten, um Geld für Lebensmittel zu sparen, aber die israelische Armee und die Siedler machten den Zugang zu seinem eigenen, privaten Land unmöglich.

 

Abgeschnitten von unserem eigenen Land


Ammars Fall veranschaulicht die großen Schwierigkeiten, mit denen palästinensische Landwirte im gesamten Westjordanland konfrontiert sind, da die von der israelischen Regierung finanzierten Siedlungen sie zunehmend von ihrem eigenen Land abschneiden. In Hebron und den umliegenden Dörfern wie Umm Al-Khair werden seit jeher die meisten Weintrauben des Westjordanlandes angebaut, und zusammen mit dem Jordantal wird hier der größte Teil der Viehzucht in der Region betrieben.


Es ist daher kein Zufall, dass die Siedler ihre Angriffe strategisch auf dieses fruchtbare Gebiet konzentriert haben. Mit Unterstützung der israelischen Armee haben die Siedlermilizen die Kontrolle über Zehntausende von Dunam [ein Dunam entspricht 1000 m2, Anm.] landwirtschaftlicher palästinensischer Nutzfläche übernommen.


Vor dem 7. Oktober mussten Landwirte in Umm Al-Khair, die ihr Land am Rande der israelischen Siedlungen während der Olivenernte und des Pflügens betreten wollten, eine Sondergenehmigung der israelischen Behörden einholen. Im vergangenen Jahr hat Israel jedoch diesen Koordinierungsmechanismus abgeschafft, so dass viele Landwirte in Umm Al-Khair ihr Land überhaupt nicht mehr betreten konnten.


In der Praxis dürfen die PalästinenserInnen in den südlichen Hebron-Hügeln ihre Herden nur in einem Radius von 100 Metern um die Gemeindezentren hüten, während die Siedler ihr Vieh auf palästinensischem Privatland weiden lassen, das mit Weizen und Gerste bepflanzt ist.

In den letzten 15 Monaten wurden wir außerdem Opfer einer noch nie dagewesenen Anzahl von Siedlerangriffen. Regelmäßig dringen Siedler in das Dorf ein, schikanieren die BewohnerInnen mit Pfefferspray, greifen uns mit Stöcken an und stehlen unser Holz. Anfang dieses Monats ließen Siedler aus Carmel riesige Drohnen über unser Dorf fliegen, was die Bedrohung und Überwachung unseres täglichen Lebens noch verstärkte.


In der Zwischenzeit sehen wir uns auch zunehmender Gewalt von einem neueren Außenposten namens Havat Shorashim ausgesetzt, der 2022 errichtet wurde und eigentlich sogar nach israelischem Recht illegal ist, obwohl die Armee ihn schützt und mit Dienstleistungen versorgt. Seit Juli hat eine Gruppe von Siedlerhirten aus diesem Außenposten damit begonnen, unser privates landwirtschaftliches Land zu betreten und die Wasserleitung des Dorfes zu durchtrennen – die einzige Wasserquelle für die gesamte Gemeinschaft. Jedes Mal reparieren wir sie, aber es ist nur eine Frage von Tagen oder Wochen, bis ein Siedler kommt und es wieder kaputt macht.


Israels Angriffe auf das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge (UNRWA) haben die finanzielle Misere unserer Gemeinschaft noch verschlimmert. Da es sich bei den Bewohnern von Umm Al-Khair um Flüchtlinge aus anderen Teilen des historischen Palästina handelt – unsere Vorfahren wurden während der Nakba 1948 aus der Region Bir As-Saba/Be'er Sheva vertrieben – sind wir auf die Hilfe und die sozialen Dienste von UNRWA angewiesen, einschließlich der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und Bargeld-Soforthilfe. Seit einem Jahr haben die palästinensischen Flüchtlinge von Umm Al-Khair keine nennenswerte Hilfe mehr erhalten, so dass unsere Gemeinschaft besonders anfällig für Angriffe und Übergriffe von Siedlern ist.


Viele palästinensische Arbeiter betonten, dass die internationalen Institutionen eingreifen und Druck auf die israelische Regierung ausüben müssen, insbesondere im Hinblick auf die wirtschaftliche Lage im Westjordanland - sei es, indem sie den PalästinenserInnen die Rückkehr zu ihren Arbeitsplätzen in Israel erlauben oder indem sie Hilfsorganisationen wie der UNRWA erlauben, Soforthilfe zu leisten. Die palästinensischen Arbeiter und Bauern von Umm Al-Khair sehen in dem, was ihnen widerfährt, das Ergebnis einer vorsätzlichen israelischen Politik, die von einer rechtsextremen Regierung betrieben wird und darauf abzielt, die palästinensische Bevölkerung zu schwächen, indem sie uns wirtschaftlich vernichtet.

 

Haitham S. ist ein Pseudonym für einen palästinensischen Journalisten aus dem Dorf Umm Al-Khair, der aus Angst vor Repressalien durch israelische Siedler und Soldaten anonym bleiben möchte.




Comments


bottom of page