Die Soldaten legten dem Mann eine Sprengstoffschnur um den Hals und zwangen ihn, acht Stunden lang Gebäude auszukundschaften. Nachdem er freigelassen wurde, erschoss ihn eine andere Division.
Von Illy Pe'ery, 972Mag in Kooperation mit Ha-Makom, 16. Februar 2025
(Originalbeitrag in englischer Sprache)
Ein ranghoher Offizier der Nahal-Brigade der israelischen Armee band einem 80-jährigen Palästinenser eine Sprengstoffschnur um den Hals und zwang ihn, als menschliches Schutzschild zu dienen, indem er ihm befahl, verlassene Häuser auszukundschaften unter der Androhung, ihm sonst den Kopf wegzusprengen. Nachdem er diese Aufgabe erfüllt hatte, befahlen die Soldaten dem Mann, mit seiner Frau zu fliehen, doch als sie von einem anderen Bataillon entdeckt wurden, wurden beide auf der Stelle erschossen.
Soldaten, die am Tatort anwesend waren, berichteten dem israelischen Nachrichtendienst The Hottest Place in Hell, dass sich dieser Vorfall im Mai 2024 im Stadtteil Zeitoun in Gaza-Stadt ereignet habe. Bei einer Hausdurchsuchung in der Gegend stießen die Soldaten auf das ältere Ehepaar, das den arabisch sprechenden Soldaten mitteilte, dass es aufgrund seiner eingeschränkten Mobilität nicht in der Lage sei, in den südlichen Gazastreifen zu fliehen; die Kinder waren ausgewandert, und der Mann brauche einen Stock, um zu gehen.
„In dieser Phase beschloss der Kommandeur, sie als „Mosquitos“ einzusetzen“, erklärt ein Soldat und bezog sich damit auf ein kürzlich bekannt gewordenes Verfahren, bei dem die israelische Armee palästinensische Zivilisten in Kampfgebieten zwingt, als menschliche Schutzschilde zu dienen, um Soldaten vor Schüssen oder Sprengungen zu sichern.
Mehrere Soldaten hielten die Frau in ihrem Haus fest, während der Mann mit seinem Stock vor den Soldaten der Brigade hergehen musste. „Er betrat jedes Haus vor uns, so dass er, falls sich [Sprengstoff] oder ein Kämpfer im Haus befand, anstelle von uns getroffen werden würde“, erklärte ein Soldat.
Einem der Soldaten zufolge nahm ein Offizier vor Beginn der Durchsuchung eine Sprengstoffschnur – einen Sprengstoffzünder, der zum Verbinden von Sprengladungen und Sprengstoff verwendet wird –, befestigte sie an einer Zündladung und legte sie dem alten Mann um den Hals, „damit er nicht weglaufen würde, obwohl er mit einem Stock ging. Ihm wurde gesagt, wenn er etwas Falsches täte oder Befehle nicht befolgte, würde der Soldat hinter ihm an der Schnur ziehen, und sein Kopf würde ihm vom Körper gerissen.“
Nach acht Stunden brachten die Soldaten den alten Mann zurück in sein Haus und befahlen ihm und seiner Frau, zu Fuß in die „humanitäre Zone“ im südlichen Gazastreifen zu fliehen. Den Zeugenaussagen zufolge informierten die Soldaten die in der Nähe befindlichen Kräfte verschiedener Divisionen nicht darüber, dass ein älteres Ehepaar im Begriff war, das Gebiet zu durchqueren. „Nach 100 Metern sah das andere Bataillon die beiden und schoss sofort auf sie“, so ein Soldat. „Sie starben einfach so, auf der Straße.“
Wie aus weiteren Zeugenaussagen hervorgeht, die The Hottest Place in Hell erhalten hat, besagen die Vorschriften der Armee für offenes Feuer in Gaza ausdrücklich, dass jede Person, die sich nach Ablauf der „vorgesehenen Evakuierungszeit“ in einem Kampfgebiet bewegt, als feindlicher Kämpfer gilt – selbst wenn es sich um ein altes Ehepaar in den 80ern handelt. Die israelische Armee leugnet dies, aber das Protokoll existiert.
Im vergangenen Monat deckte The Hottest Place in Hell einen weiteren Fall des Mosquito-Protokolls auf, der ebenfalls von der Nahal-Brigade durchgeführt wurde. Dem Bericht zufolge wurde ein Palästinenser, der die Erlaubnis erhalten hatte, mit den Soldaten in einem Gebäude zu bleiben, von einem Kommandanten erschossen, der nicht über seine Anwesenheit informiert worden war. In ihrer Antwort auf den Artikel erklärte die Armee, dass der Vorfall untersucht worden sei und dass „Lehren daraus gezogen wurden“.
Als Reaktion auf eine Haaretz-Untersuchung im vergangenen August, die das Mosquito-Protokoll aufdeckte, erklärte ein Sprecher der israelischen Armee: „Die Richtlinien und Befehle der israelischen Armee verbieten den Einsatz von ZivilistInnen aus dem Gazastreifen, die sich in diesem Gebiet aufhalten, für militärische Aufgaben, die ihr Leben absichtlich gefährden. Die IDF-Befehle und -Anweisungen in dieser Angelegenheit wurden den Streitkräften klar gemacht“. Der Einsatz von ZivilistInnen als menschliche Schutzschilde wurde auch vom Obersten Gerichtshof Israels während der Zweiten Intifada verboten, nachdem die Armee diese Strategie im so genannten „Nachbarschaftsverfahren“ angewandt hatte. Soldaten sagten jedoch gegenüber The Hottest Place in Hell aus, dass vor allem seit dem 7. Oktober „diese Vorgehensweise beim Militär zur Routine geworden ist.“
„Das Mosquito-Protokoll ist vollständig institutionalisiert, und es handelt sich um eine Grauzone innerhalb der Armee“, berichtet ein Soldat der Nahal-Brigade und erklärt, dass die Armee versucht, dies zu vertuschen, indem sie die Schuld auf jüngere Soldaten abwälzt. „Es ist etwas, das als ausdrücklicher Befehl von der Ebene des Bataillonskommandeurs und darunter kommt. Aber irgendwo auf der Ebene der Brigadekommandeure wird dies komplett geleugnet. Wenn es zu Problemen kommt, schieben sie die Verantwortung nach unten und sagen, dass sie es nicht tun sollen.“
„Selbst wenn die Ergebnisse der Untersuchungen veröffentlicht werden, wird die israelische Armee nicht zugeben, dass es sich um einen offiziellen Befehl handelt“, erklärt ein Soldat. „Aber wenn Sie irgendeinen Soldaten fragen, der im Gazastreifen gekämpft hat, wird Ihnen niemand sagen, dass so etwas nicht vorkommt. Es gibt kein Bataillon, zumindest in der regulären Armee, das ehrlich behaupten kann, dass es diese Praxis nicht angewandt hat.“
Die Verwendung einer Sprengstoffschnur als Teil des Mosquito-Protokolls wurde bisher nicht gemeldet. „Es ist möglich, dass es auch anderswo passiert ist, aber dies war ein extremer Vorfall“, so ein Soldat.
Der Sprecher der israelischen Armee antwortete: „Nach einer Untersuchung auf der Grundlage der in dieser Anfrage übermittelten Informationen scheint der Fall nicht bekannt zu sein. Sollten weitere Details eintreffen, werden weitere Untersuchungen durchgeführt.“
Illy Pe'ery ist eine investigative Reporterin und Mitherausgeberin des unabhängigen israelischen Online-Magazins The Hottest Place in Hell.

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