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Mindestens 27 Palästinenser*innen wurden gestern durch Schüsse der israelischen Armee in der Nähe einer Lebensmittelverteilerstelle getötet

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  • vor 6 Tagen
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Mindestens 27 Palästinenser wurden gestern, am 3. Juni 2025, durch Schüsse der israelischen Armee in der Nähe einer Lebensmittelverteilerstelle getötet und Dutzende weitere verwundet, wie die örtlichen Gesundheitsbehörden mitteilten.


Es war bereits der dritte Tag mit ähnlichen „Vorfällen“, seit die israelische Regierung versucht, ein neues System für die Verteilung von Hilfsgütern im Gazastreifen durchzusetzen. Israel blockiert seit Monaten Hilfslieferungen für den Gazastreifen.


Nach Angaben des Gesundheitsministeriums wurden am Sonntag (1.06.2025) Dutzende Palästinenser getötet und Hunderte weitere verletzt, als sie in den neu eingerichteten Verteilungszentren der Gaza Humanitarian Foundation (GHF) in Rafah und in der Nähe des Netzarim-Korridors auf Nahrungsmittel warteten.


In einer Erklärung teilte das Internationale Komitee vom Roten Kreut mit, dass das Feldkrankenhaus des Roten Kreuzes in Rafah am frühen Sonntagmorgen einen Massenzustrom von 179 Verletzten, darunter auch Frauen und Kinder, verzeichnete. „Die meisten erlitten Schuss- oder Schrapnellwunden, einundzwanzig Patienten wurden bei der Ankunft für tot erklärt“, hieß es. „Alle Patient*innen gaben an, sie hätten versucht, eine Hilfsgüterverteilerstelle zu erreichen“, so das IKRK.


Teams von Ärzte ohne Grenzen (MSF) wurden Zeuge des Massenanfalls von Verletzten im Nasser-Krankenhaus in Khan Younis. Die Patient*innen berichteten MSF, dass sie von allen Seiten von Drohnen, Hubschraubern, Booten, Panzern und israelischen Soldaten am Boden beschossen wurden. Teams von Ärzte ohne Grenzen behandelten die Patienten mit schweren Verletzungen. Einige Patienten in kritischem Zustand werden noch operiert. Da die Blutbanken jedoch fast leer sind, musste das medizinische Personal selbst Blut spenden.


„Die Flure des Krankenhauses waren voller Patienten, aber anders als bei früheren Anlässen, bei denen die meisten Patienten Frauen und Kinder waren, waren es heute hauptsächlich Männer“, berichtet Nour Alsaqa, Kommunikationsbeauftragte von Ärzte ohne Grenzen. „Sie lagen in ihren Betten auf den Fluren, weil die Zimmer bereits mit Verletzten vollgestopft waren. Sie hatten sichtbare Schusswunden an den Gliedmaßen, und ihre Kleidung war blutgetränkt. Sie alle sahen erschüttert und verzweifelt aus, nachdem sie versucht hatten, Nahrung für ihre Kinder zu besorgen und stattdessen verletzt und mit leeren Händen zurückkehrten. Draußen gab es Geschrei, Sirenen und einen ständigen Ansturm von neuen Patienten in die Notaufnahme. Inmitten des Chaos erhielten wir die Nachricht, dass der Bruder eines Kollegen getötet worden war, als er versuchte, Hilfsgüter aus dem Verteilungszentrum abzuholen.“


Mansour Sami Abdi, ein vierfacher Vater, berichtete MSF: „Die Menschen kämpften um fünf Paletten. Sie sagten uns, wir sollten Essen mitnehmen - und dann schossen sie aus allen Richtungen. Ich rannte 200 Meter weit, bevor ich merkte, dass ich angeschossen worden war. Das ist keine Hilfe. Es ist eine Lüge. Sollen wir Essen für unsere Kinder holen und dabei sterben?“


Mohammad Daghmeh, ein weiterer Augenzeuge und Verletzter, berichtet MSF: „Ich wurde um 3:10 Uhr morgens angeschossen. Da wir nicht fortkonnten, habe ich bis 5:00 Uhr morgens ununterbrochen geblutet. Es waren viele andere Männer bei mir. Einer von ihnen versuchte, mir zu helfen. Er wurde in den Kopf geschossen und starb auf meiner Brust. Wir waren nur wegen des Essens dorthin gegangen - nur um zu überleben, so wie alle anderen auch.“

Israel jedoch dementierte die Berichte von Ärzte ohne Grenzen, dem Roten Kreuz und anderen Hilfsorganisationen. Die Gaza Humanitarian Foundation teilte mit, dass die Verteilung von Lebensmitteln am Sonntag an der Verteilerstelle in Rafah ohne Zwischenfälle verlaufen sei und es weder Tote noch Verletzte gegeben habe.


Es war nicht zum ersten Mal, dass dieses neue System der Hilfsgüterverteilung zu Blutvergießen geführt hat. Am 27. Mai, dem ersten Nachmittag der Verteilung in Rafah, erschossen israelische Streitkräfte Dutzende von Menschen, als völlig unzureichende Mengen lebensnotwendiger Hilfsgüter in einem Chaos verteilt wurden.


Der palästinensische Journalist Fadel Mghari vermisst seit fünf Tagen seinen Bruder Abdullah, einen jungen Mann mit zerebraler Atrophie, der sich auf den Weg zu einer GHF-Verteilerstelle machte, in der Hoffnung, Lebensmittel für seine Familie holen zu können. Augenzeugen berichten, dass Abdullah Maghari und der Teenager Obaida Abu Musa von der israelischen Armee angeschossen wurden: „Den fünften Tag in Folge bleibt das Schicksal meines Bruders Abdullah Maghari und des Teenagers Obeida Abu Musa ungeklärt, nachdem von der israelischen Armee in der Nähe des amerikanischen Verteilerpostens auf sie geschossen wurde, zu dem die Bevölkerung kommen sollte.“


Gestern, am 3. Juni 2025, ereignete sich der nächste „Vorfall“ binnen weniger Tage. Mindestens 27 Palästinenser wurden durch Schüsse der israelischen Armee in der Nähe einer Lebensmittelverteilerstelle getötet und Dutzende verwundet, wie die örtlichen Gesundheitsbehörden mitteilten. Ein Sprecher des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes teilte mit, dass allein im Feldlazarett des Roten Kreuzes in Rafah 184 Verletzte eingeliefert wurde, 19 von ihnen waren bei der Ankunft bereits tot, acht Personen sind kurz darauf an ihren Wunden gestorben.


Während die israelischen Armeesprecher den „Vorfall“ am Sonntag, bei dem es zu mehreren Todesopfern kam, noch bestritt, erklärten sie gestern, dass die Armee das Feuer auf eine Gruppe von Personen eröffnet hatte, die die ausgewiesenen Zugangswege in der Nähe des Verteilungszentrums in Rafah verlassen hätte.


„Die heutigen Ereignisse haben einmal mehr gezeigt, dass dieses neue System der Hilfslieferungen entmenschlichend, gefährlich und äußerst ineffektiv ist“, erklärt Claire Manera, Ärzte ohne Grenzen-Notfallkoordinatorin, am 1. Juni 2025. „Es hat zu Todesfällen und Verletzungen von Zivilisten geführt, die hätten verhindert werden können. Humanitäre Hilfe darf nur von humanitären Organisationen geleistet werden, die über die Kompetenz und Entschlossenheit verfügen, dies sicher und effektiv zu tun.“


„Ich bin entsetzt über die Berichte über Palästinenser, die gestern bei der Suche nach Hilfsgütern im Gazastreifen getötet und verletzt wurden“, schrieb am 2. Juni 2025 UN-Generalsekretär Antonio Guterres auf X(Twitter). „Es ist nicht hinnehmbar, dass Palästinenser*innen ihr Leben für Lebensmittel riskieren. Ich fordere eine sofortige und unabhängige Untersuchung dieser Vorfälle und dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden.“


Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen hält die Behinderung des Zugangs zu Nahrungsmitteln und Hilfsgütern für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen für ein Kriegsverbrechen und bezeichnet Angriffe auf Zivilist*innen, die versuchen, Zugang zu Nahrungsmittelhilfe zu erhalten, als ungeheuerlich.


„Den dritten Tag in Folge wurden Menschen in der Nähe einer von der Gaza Humanitarian Foundation betriebenen Hilfsgüterverteilungsstelle getötet. Heute Morgen haben wir Informationen erhalten, dass Dutzende von Menschen getötet und verletzt wurden“, so der Sprecher des UN-Hochkommissars für Menschenrechte, Jeremy Laurence, am 3. Juni 2025 vor Reporter*innen in Genf.


„Jeder dieser Angriffe muss unverzüglich und unparteiisch untersucht werden, und die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Angriffe auf Zivilist*innen stellen einen schweren Verstoß gegen das Völkerrecht und ein Kriegsverbrechen dar“, so der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Volker Türk am 3. Juni 2025. „Die Palästinenser*innen wurden vor die Qual der Wahl gestellt: entweder zu verhungern oder zu riskieren, bei dem Versuch getötet zu werden, Zugang zu den spärlichen Nahrungsmitteln zu erhalten, die durch Israels militarisierten humanitären Hilfsmechanismus zur Verfügung gestellt werden. Dieses militarisierte System gefährdet Menschenleben und verstößt gegen internationale Standards für die Verteilung von Hilfsgütern, etwas, wovor die Vereinten Nationen wiederholt gewarnt haben.“


Haya Abu Shammala, (vormals) Studentin der englischen Literatur an der Islamischen Universität von Gaza, berichtete auf Instagram: „Als man die Leiche meines Cousins Alaa fand, hielt er noch immer die Tasche umklammert, die er mitgenommen hatte, um Nahrungsmittel zu holen. Als seine Familie im Krankenhaus eintraf, um seine Leiche in Empfang zu nehmen, wurde ihnen die Tasche übergeben, die er auch im Tod nicht losgelassen hatte. Darin befanden sich ein paar Lebensmittel, die er für seine Kinder gesammelt hatte. Sie bekamen auch seine abgenutzten Schuhe ausgehändigt, die von den langen Strecken, die er auf der Suche nach Nahrung gelaufen und gerannt war, zerschlissen waren. Die Lebensmittel schafften es nach Hause. Aber Alaa hat es nicht geschafft.“


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Informationen entnommen aus:

Dozens of Palestinians massacred at US-Israel backed food distribution sites

Presse-Statement von Ärzte ohne Grenzen, 1. Juni 2025

Gaza ministry says Israel kills more than 30 aid seekers, Israel denies

Von Nidal Al-Mughrabi und Hatem Khaled, 1. Juni 2025, Reuters

X(Twitter)-Account von Antonio Guterres, Statement vom 2. Juni 2025

At least 27 Palestinians killed near Gaza aid site, medics say

Von Nidal Al-Mughrabi und Crispian Balmer, Reuters, 3. Juni 2025

UN says attacks around Gaza aid distribution site may constitute war crime

The Times of Israel, 3. Juni 2025

OPT: Attacks around aid distribution site in Gaza

UNHRC Statement, 3. Juni 2025

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