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„Wir werden ihnen nichts zurücklassen": Neuer PCHR-Bericht enthüllt, dass die israelische Zerstörung des Landwirtschaftssektors und der Nahrungsmittelsysteme in Gaza darauf abzielt, die palästinensis

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  • 11. Mai
  • 6 Min. Lesezeit

Von Palestinian Centre for Human Rights (PCHR), 5. Mai 2025

(Vollständiger Bericht in englischer Sprache)

 

„Seit Beginn des Krieges haben wir wegen des Stromausfalls und des Mangels an Futtermitteln für das Vieh unsere Arbeit eingestellt. Ich lebe in der Gegend von Wadi al-Salqa, und meine Familie und ich sind seit 40 Jahren in der Viehzucht, Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion tätig. Ich besitze eine Rinderfarm auf 2 Dunum Land, drei Legehühnerfarmen, eine Molkerei, vier Dunum Land mit 100 Olivenbäumen und zwei Dunum mit Geflügelfarmen, um Gemüse und Nahrungsmittel anzubauen. Anfang Dezember 2023 begann die israelische Armee eine Bodeninvasion in Khan Younis und zwang meine Familie und mich, von Wadi al-Salqa ins Zentrum von Deir al-Balah zu fliehen. Wir ließen alles zurück. Meine Stadt wurde völlig ausgelöscht. Nichts wurde von der Zerstörung verschont. Mein gesamter Bauernhof wurde zerstört. Die Kampfflugzeuge haben mein Haus bombardiert und völlig zerstört. Die Bulldozer zerstörten meine Rinder- und Kälberställe, meine Legehühnerfarmen und meine landwirtschaftlichen Flächen. Das Fahrzeug, das ich für den Vertrieb von Eiern und Milchprodukten benutzte, wurde ebenfalls zerstört. Meine Farm ist weg - so etwas ist noch nie zuvor passiert.“

 

Abd al-Hamid Muhammad Abu Uriban, 53 Jahre alt (Wadi al-Salqa, östlich von Deir al-Balah)

 

„Vom ersten Moment an, am 7. Oktober 2023, hat Israel das Meer des Gazastreifens komplett geschlossen und uns den Zugang zum Wasser verwehrt. Wir hatten keine Möglichkeit mehr, zu fischen. Die Kriegsschiffe patrouillierten ständig vor der Küste und feuerten jede Nacht Granaten und Kugeln auf den Strand und die Häuser der Fischer. Der Zugang zur Küste wurde für uns gefährlich. Im Dezember 2023 zielten die Artilleriegranaten der Kriegsschiffe direkt auf den Hafen von Deir al-Balah, was zur Zerstörung unserer Fischereihütten und der dort zurückgelassenen Ausrüstung führte. Gleichzeitig setzten Drohnenflugzeuge mein Boot und 20 weitere Fischerboote in Brand und brannten sie vollständig aus. Als ich am Morgen mit den Fischern am Ort des Geschehens ankam, fanden wir das, was übrig geblieben war, in einen Haufen Asche verwandelt. Mehr als vier Monate lang hatten wir keine Gelegenheit, aufs Meer hinauszufahren. Im Februar 2024 wagten wir uns mit primitiver Ausrüstung wieder in Küstennähe ins Wasser, nachdem der größte Teil unserer Ausrüstung in den ersten Kriegswochen zerstört oder versenkt worden war. Im März 2024, als wir gerade Netze im Meer auswarfen, wurden wir von den Kriegsschiffen unter heftigen Beschuss genommen. Mein Sohn und ich sprangen direkt ins Wasser und blieben dort mehrere Minuten unter Beschuss. Wie durch ein Wunder haben wir überlebt.

Zusätzlich zu den täglichen Risiken ist die Fischerei immer schwieriger geworden, da die Fischereigebiete durch die ins Meer gepumpten Abwässer stark verschmutzt sind. Dennoch haben wir keine andere Möglichkeit zu überleben, also riskieren wir es, ins Wasser zu gehen. Jeden Tag sind wir Angriffen ausgesetzt, sei es, dass wir mit Granaten beschossen werden, dass wir direkt von israelischen Scharfschützen der Marine erschossen werden oder dass wir verhaftet werden. Im Oktober verhaftete die israelische Armee sechs Fischer, die vor der Küste von Khan Younis fischten, und brachte sie nach Ashdod; ihr Schicksal ist unbekannt. Unser Leid hört damit nicht auf. Wir können unsere zerstörte Ausrüstung nicht ersetzen. Ich arbeite seit 1995 in der Fischerei, um meine achtköpfige Familie zu ernähren, aber ich habe das Gefühl, dass die Fischerei in Gaza keine Zukunft hat, vor allem wegen des andauernden Krieges und der Schließung der Grenzübergänge, die uns daran hindert, die benötigten Materialien zu bekommen. Wegen des Treibstoffmangels können wir keine Generatoren für den Antrieb der Boote verwenden, und wegen der steigenden Preise und der Schließung der Grenzübergänge können wir uns die Wartung unserer Ausrüstung nicht leisten. Wir sind völlig am Boden zerstört und haben die Einnahmequelle verloren, auf die wir angewiesen waren.“

Adel Yusuf al-Housh, 42 Jahre alt, Fischer (Deir al-Balah)

 

„Ich bin seit 30 Jahren mit meiner Familie in der Landwirtschaft tätig. Meine Familie besitzt 34 Dunum landwirtschaftliche Nutzfläche im Stadtteil Zeitoun, von denen 26 mit Olivenbäumen bepflanzt sind. Zu den restlichen Dunums gehören Gewächshäuser, eine Geflügelfarm, zwei Brunnen, ein komplettes modernes Bewässerungssystem, Wasserreservoirs und ein fortschrittliches alternatives Energiesystem. Das Land war die Hauptnahrungs- und Einkommensquelle für meine Familie und sechs weitere Familien, da wir jährlich etwa 40-50 Tonnen Oliven produzierten. Seit dem Ausbruch des Krieges hat sich die Situation erheblich verschlechtert. Wir waren gezwungen, das Gebiet zu evakuieren und in den südlichen Gazastreifen zu ziehen. Die israelische Armee beschoss meine Farm mit Raketen und Granaten und zerstörte sie. Während der Bodeninvasion in Gaza-Stadt Ende Oktober wurde mein Bauernhof mit Bulldozern plattgemacht und völlig zerstört. Es war nicht das erste Mal, dass mein Hof zerstört wurde; er hatte bereits bei früheren Angriffen Schäden erlitten, aber nicht so wie in diesem Krieg. Der Hof wurde ausgelöscht, in ein unfruchtbares Land verwandelt, und es ist nichts von ihm übrig geblieben. Die Olivenbäume, die ich 27 Jahre lang gehegt und gepflegt hatte, sind verschwunden. Jetzt weiß ich, dass mein Hof und die Umgebung vollständig in den Korridor von Netzarim einbezogen und zu einer geschlossenen Militärzone geworden sind. Ich werde sie nie mehr betreten können.“

Mohammed Naseem Al-Dahdouh, 46 Jahre alt (Zeitoun, Gaza-Stadt)

 

 

In einem am 5. Mai veröffentlichten Bericht bestätigt das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte (PCHR), dass der seit Oktober 2023 andauernde israelische Militärangriff auf den Gazastreifen gezielt und in großem Umfang den Agrarsektor und die Nahrungsmittelproduktion im Gazastreifen angegriffen hat.

Dieser Angriff hat zum fast vollständigen Zusammenbruch eines Sektors geführt, der für das Überleben der Bevölkerung unerlässlich ist. Das PCHR deckt auf, dass diese Zerstörung Teil einer langjährigen und systematischen Strategie der israelischen Armee ist, das palästinensische Volk zu vernichten und seine Existenz zu zerstören. Dieses Ziel ist zu einer zentralen Politik der gegenwärtigen israelischen Regierung geworden, die Zerstörung und Aushungerung als Kriegswaffen im weiteren Rahmen des Verbrechens des Völkermords einsetzt - mit dem Ziel, die Palästinenser*innen zu eliminieren und ihnen die grundlegenden Mittel zum Überleben zu entziehen.

Der Bericht mit dem Titel „We Will Leave Them Nothing: The Israeli Systematic Destruction of the Agricultural Sector and Food Production Systems in Gaza“ (Wir werden ihnen nichts zurücklassen: Die systematische Zerstörung des Agrarsektors und der Nahrungsmittelproduktion in Gaza durch Israel) dokumentiert minutiös die vorsätzliche und groß angelegte Zerstörung der landwirtschaftlichen Infrastruktur in Gaza durch die israelische Armee. Nahezu 75 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen und Obstgärten wurden mit Bulldozern zerstört und ausgelöscht. Die überwiegende Mehrheit der landwirtschaftlichen Einrichtungen – einschließlich Gewächshäuser, Lagerhallen, landwirtschaftliche Geräte, Bewässerungssysteme und Stromversorgung – wurde zerstört. Darüber hinaus wurden auch die Viehzucht- und Fischereieinrichtungen dezimiert, die wichtige Säulen der Ernährungssicherheit im Gazastreifen sind.

Der Bericht hebt hervor, dass die israelische Armee im gesamten Gazastreifen mehr als 130 Quadratkilometer Land beschlagnahmt hat, von denen ein Großteil landwirtschaftlich genutzt wird, und es in militärische Pufferzonen umgewandelt hat. Dadurch wurden den Palästinenser*innen große Flächen entzogen, die für die Nahrungsmittelproduktion unerlässlich sind - ein eindeutiger Verstoß gegen die Vierte Genfer Konvention zum Schutz von Zivileigentum in Kriegszeiten und das Verbot der Beschlagnahme von Land besetzter Bevölkerungsgruppen. Der Bericht betont auch, dass diese beispiellosen Angriffe auf die Nahrungsquellen des Gazastreifens durch eine verschärfte Blockade, die Verweigerung von humanitärer Hilfe und Nahrungsmittellieferungen sowie den systematischen Einsatz des Hungers als Kriegswaffe noch verstärkt wurden. Diese Handlungen hatten katastrophale Folgen für die Ernährungssicherheit und führten zu einer schweren Hungernot und einem sprunghaften Anstieg der Unterernährung.

Das PCHR warnt, dass die Zerstörung der Nahrungsmittelsysteme in Gaza nicht nur das derzeitige Überleben der Bevölkerung bedroht, sondern auch einen Angriff auf die Zukunft der palästinensischen Existenz im Gazastreifen darstellt. Sie verfestigt eine verheerende Realität des Hungers und der Abhängigkeit, indem sie die Grundlagen des Wiederaufbaus zerstört und die Bevölkerung des Gazastreifens in völlige Abhängigkeit von externer Hilfe zwingt. Darin spiegelt sich das langfristige koloniale Ziel Israels wider: das Land zu entvölkern, die Kontrolle über seine Ressourcen zu erlangen und jede Möglichkeit der palästinensischen Selbstversorgung oder Widerstandsfähigkeit zu unterdrücken. Ein solches Verhalten, so der Bericht, verstößt unmittelbar gegen Artikel II der Konvention von 1948 über die Verhütung und Bestrafung von Völkermord, der die Auferlegung von Lebensbedingungen unter Strafe stellt, die darauf abzielen, eine Gruppe physisch und psychisch zu zerstören.

Der Bericht stellt ferner fest, dass diese Handlungen schwere Verstöße gegen das Völkerrecht darstellen, insbesondere gegen den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, vor allem gegen Artikel 11, der das Recht auf angemessene Nahrung und ein Leben in Würde garantiert. Sie verstoßen auch gegen Artikel 54 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Konventionen, der es verbietet, „für das Überleben der Zivilbevölkerung unentbehrliche Objekte“ anzugreifen. Gemäß Artikel 8 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs stellen diese Handlungen ein vollwertiges Kriegsverbrechen dar.

In ihren Empfehlungen fordert die PCHR die internationale Gemeinschaft auf, ihr Schweigen zu brechen und ihrer rechtlichen und moralischen Verantwortung gegenüber diesen Verbrechen gegen die palästinensische Zivilbevölkerung und ihre Lebensgrundlagen gerecht zu werden. Es fordert wirksame Maßnahmen, um Israel zur Rechenschaft zu ziehen, den anhaltenden Völkermord in Gaza zu stoppen und dringende internationale Unterstützung für den Wiederaufbau des Agrarsektors zu gewährleisten. Die PCHR betont auch die Notwendigkeit, die Souveränität der Palästinenser*innen über ihre Nahrungsmittelsysteme und ihr Land wiederherzustellen, und fordert ein Ende der Kultur der Straflosigkeit, die eine Wiederholung der israelischen Verbrechen ermöglicht und die Grundlagen der internationalen Justiz untergräbt.




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