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15. Mai 2025: Die Nakba jährt sich zum 77. Mal

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  • 14. Mai
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 15. Mai

„Heute jährt sich die Nakba, die große Katastrophe der Palästinenser, 750 000 wurden vertrieben, hunderte Dörfer entvölkert. Das Heimatdorf meines Opas wurde angegriffen, seine Frau ermordet, die ganze Bevölkerung vertrieben. Meine älteste Tante, damals ein Kind, spielte bei den Nachbarn, sie wurde gerettet, doch wir sahen sie nie wieder, denn sie flohen über die Grenze in den Libanon, die Rückkehr wurde ihr verwehrt. Mein Opa floh in den Norden nahe Nazareth, seine Geschwister vor allem nach Gaza, wo sie und ihre Nachfahren  heute von Israel bombardiert werden. Mein Opa klagte auf Rückgabe unseres Hauses, doch das Gericht lehnte ab: es gehöre nun einer jüdischen Familie. Wir – „nur Araber“ – hätten kein Recht auf unser Haus. Wir haben heute einen israelischen Pass, doch wir haben keine Gleichberechtigung. Wir erhalten unser Eigentum nicht zurück, unsere Familienmitglieder dürfen nicht zurückkehren, wir dürfen nicht jeden beruf ausüben und manche Städte verbieten uns dort zu leben, trotz gleichem Pass. Nakba heißt nicht nur Vertreibung. Nakba heißt bis heute: Unrecht ohne Ende.“

Julius Jamal, Journalist und Dozent für Soziale Arbeit, 15. Mai 2025


Wir sind dabei, die Nakba von Gaza zu verwirklichen.

Avi Dichter, israelischer Landwirtschaftsminister, im Interview mit Channel 12, 11. November 2023 (!)




Vor der Nakba war Palästina eine multiethnische und multikulturelle Gesellschaft. Der Konflikt zwischen Palästinenser*innen und Jüd*innen verschärfte sich jedoch aufgrund von Versprechen Großbritanniens, eine Heimstätte für das jüdische Volk zu schaffen (Balfour Deklaration); in den 1930er Jahren mit der zunehmenden jüdischen Einwanderung, die durch die Verfolgung in Europa ausgelöst wurde und mit der zionistischen Bewegung, die die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina anstrebte.


Im November 1947 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution zur Teilung Palästinas in zwei Staaten, einen jüdischen und einen palästinensischen, mit Jerusalem unter UN-Verwaltung. Die arabische Welt lehnte den Plan mit der Begründung ab, er sei ungerecht und verstoße gegen die UN-Charta. Jüdische Milizen griffen palästinensische Dörfer an und zwangen Tausende zur Flucht. Mit dem Ende des britischen Mandats und dem Abzug der britischen Streitkräfte, der Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel und dem Einmarsch der benachbarten arabischen Armeen eskalierte die Situation 1948 zu einem ausgewachsenen Krieg. Die neu gegründeten israelischen Streitkräfte starteten eine Großoffensive. Das Ergebnis des Krieges war die dauerhafte Vertreibung von mehr als der Hälfte der palästinensischen Bevölkerung.


Die Staatsgründung Israels im Jahr 1948 ist für die palästinensische Bevölkerung untrennbar verbunden mit dem Terminus Nakba (arabisch für „Katastrophe“), der Vertreibung von 750 000 Palästinenser*innen aus ihrer Heimat, dem bis dahin britischen Mandatsgebiet Palästina. Zusätzlich wurden 150 000 Menschen aus ihren Häusern vertrieben, sie gelten daher als sogenannte Binnenvertriebene. Mit der Vertreibung einher gingen nicht nur die Zerstörung von 531 palästinensischen Dörfern und Stadtteilen, sondern auch Massaker an palästinensischen Zivilist*innen, über 15 000 Palästinenser*innen wurden getötet.


Der israelische Historiker Ilan Pape spricht im Zusammenhang mit der Nakba nach eingehenden Untersuchungen israelischer Militärarchive von „ethnischen Säuberungen“, begangen von jüdischen Milizen. Dem von Israel nach wie vor aufrechterhaltenen Narrativ von einem „Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ stehen heute weltweit über 12 Millionen Palästinenser*innen gegenüber, davon sind 5,49 Millionen als Flüchtlinge beim UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNWRA) registriert.


Die UN Resolution 194 (III), Artikel 11, vom 11. Dezember 1948 spricht den palästinensischen Flüchtlingen und ihren Nachkommen zwar ein Rückkehrrecht respektive Restitution aus, doch wurde diese Resolution bis heute nicht umgesetzt. Nach wie vor existieren palästinensische Flüchtlingslager in Jordanien, Libanon, Syrien, Gaza, Westjordanland und Ostjerusalem. Die Situation in den dicht besiedelten Flüchtlingslagern ist geprägt von Armut, fehlender Infrastruktur und Arbeitslosigkeit. Das Recht der palästinensischen Flüchtlinge, in ihre Heimat und zu ihrem Eigentum zurückzukehren und Restitution zu erhalten, wie es in der UN Resolution 194 eigentlich vereinbart wurde, darf nicht in Vergessenheit geraten, sondern muss respektiert, geschützt und unterstützt werden.


 

Vertreibung und ethnische Säuberungen: Heute aktueller denn je


Heute sind weniger als 22 Prozent des historischen Palästinas für die palästinensische Bevölkerung übriggeblieben. Nach wie vor werden Palästinenser*innen durch israelische Siedlungen, Vertreibungen, Landbeschlagnahmungen und Hauszerstörungen enteignet und vertrieben.


Zur Situation im Westjordanland und Ostjerusalem

Die Siedlungsexpansion im Westjordanland und in Ostjerusalem wird – völkerrechtswidrig und vor den Augen der internationalen Staatengemeinschaft – unter der rechtsextremen israelischen Regierung mehr denn je betrieben. Tagtäglich sind palästinensische Dörfer den Repressalien und Pogromen Seitens israelischer Siedler*innen ausgesetzt. Diese führen ihre Überfälle – vor allem auch auf landwirtschaftliche Güter wie Olivenbäume und Viehherden – oftmals mit Unterstützung der israelischen Armee durch. Die israelische Armee und Siedlermilizen ließen die Gewalt im Westjordanland eskalieren. Seit Januar 2025 wurden mehr als 40 000 palästinensische Bewohner*innen von Jenin, Tulkarem und Nur Shams gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben. Das Westjordanland ist den schlimmsten militärischen Angriffen seit der zweiten Intifada ausgesetzt. Es werden Luftangriffe durchgeführt und gepanzerte Bulldozer zerstören Häuser, Dörfer und wichtige Infrastrukturen wie beispielsweise Straßen und Ackerland. Am 23. Februar 2025 genehmigte der israelische Verteidigungsminister die Verstärkung des Militärs im Westjordanland, wodurch 40 000 vertriebene Palästinenser*innen an der Rückkehr in ihre Häuser gehindert werden. Durch Angriffe von Siedlern, die von der israelischen Armee unterstützt werden, wurden zwischen Januar 2023 und Januar 2025 mehr als 2 275 Palästinenser*innen, darunter 1 117 Kinder, vertrieben.


Zur Situation in Gaza


In Gaza hat Israel im Laufe seiner Bombardierung und militärischen Besetzung des Gazastreifens seit Oktober 2023 eine gewaltsame und vorsätzliche Vertreibungskampagne gegen fast zwei Millionen palästinensische Zivilist*innen durchgeführt. Die israelische Armee hat nachweislich Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen und begeht – wie ein Bericht von Human Rights Watch bereits im November 2024 feststellte – ethnische Säuberungen gegen Palästinenser*innen.

In weiten Gebieten Gazas hat die israelische Armee große Teile von Häusern und anderer ziviler Infrastruktur zerstört, um Platz für „Pufferzonen“ und „Sicherheitskorridore“ in der belagerten Enklave zu schaffen. Landwirtschaftliche Flächen, Viehbestände und die Fischereiindustrie wurden zum großen Teil – ebenso wie die Gesundheitsversorgung – von der israelischen Armee zerstört. Immer mehr Zivilist*innen wurden aus ihren Häusern in angeblich „sichere Zonen“, die heute gar nicht mehr existieren, vertrieben und die israelische Armee zerstörte die zivile Infrastruktur, die zusammen mit Israels unerbittlicher Bombardierung des Gazastreifens Zehntausende von Häusern sowie Krankenhäuser und Schulen vernichtet haben. Diese Zerstörungen, so der Bericht von Human Rights Watch, berauben die vertriebene Zivilbevölkerung des Rechts, in ihre Häuser zurückzukehren, wenn die Kämpfe eines Tages zu Ende gehen. Dies erinnert an die Nakba 1948.

All diese Faktoren – gemeinsam mit der vollständigen Blockade von Lebensmitteln, Wasser, Strom, medizinischem Equipment und Treibstoff seit mehr als zwei Monaten – soll das Leben für die Menschen in Gaza unmöglich machen und sie so zum Verlassen des Gazastreifens zwingen. Dies stellt die größte ethnischen Säuberungsaktion seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs dar.

Im Gazastreifen, wo bis zu einem Viertel der Bevölkerung entweder selbst Flüchtlinge oder Nachkommen von Flüchtlingen sind, erinnert die Gefahr, erneut dauerhaft aus ihrer Heimat vertrieben zu werden, an die düsteren Tage der Nakba. Yair Wallach, Dozent für israelische Studien an der SOAS, University of London, sagte, die Angst, erneut aus ihren Häusern vertrieben zu werden, sei im gesamten Gazastreifen sehr groß:

„Die meisten Bewohner*innen des Gazastreifens sind ursprünglich Flüchtlinge aus dem Gebiet, das seit 1948 zu Israel gehört - die überwältigende Mehrheit. Einige von ihnen sind während des Krieges geflohen oder wurden vertrieben, einige von ihnen wurden sogar nach dem Krieg in den Gazastreifen vertrieben. Die Erfahrung der Bevölkerung des Gazastreifens besteht darin, Nachkommen dieser Massenvertreibung zu sein, und dass ihnen die Rückkehr verwehrt wurde. Wenn man also von Jabaliya oder anderen Orten im Gazastreifen spricht, die jetzt entvölkert werden, so waren dies ursprünglich Flüchtlingslager, die zur Heimat wurden ... Die Erinnerung an 1948 ist groß."


Die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung – sowohl in Gaza, als auch im Westjordanland – und die anschließende Verweigerung des Rückkehrrechts zielen darauf ab, das gesamte palästinensische Leben als Volk zu zerstören, das in der Verbundenheit mit dem Land, den Dörfern, den Städten und den einheimischen Gemeinschaften Palästinas begründet ist.


„Israels Verhalten, das darauf abzielt, das Land zwischen dem Fluss und dem Meer ethnisch zu säubern, kommt einer genozidalen Kampagne gleich, um die Palästinenser*innen als Volk auszulöschen“, so die UN-Sonderberichterstatterin für die palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, am 18. März 2025.


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Informationen entnommen aus:

‘Tragedy foretold and stain on our collective humanity’: Special Rapporteur warns of mass ethnic cleansing in the West Bank

Israel is committing ‘ethnic cleansing’ amid mass forced displacements in Gaza, HRW report says

Commemoration of the Nakba 2025

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