Anatomie einer Entführung durch Siedler
- office16022
- vor 5 Tagen
- 3 Min. Lesezeit
Aus dem Hinterhalt überfallen, zu einem Außenposten auf einem Hügel verschleppt, bewusstlos geschlagen: Der palästinensische Teenager Owais Hammam berichtet von seiner brutalen Folter durch israelische Siedler und Soldaten.
Von Faiz Abu Rmeleh, +972Mag, 10. Dezember 2025
(Originalbeitrag in englischer Sprache und dazugehörendem Fotomaterial)
Auf einem weißen Krankenhausbett im Palestine Medical Complex in Ramallah ringt der 18-jährige Owais Hammam um jeden Atemzug. Sein Gesicht spricht Bände: tiefe Kratzer, dunkelblaue Blutergüsse, Schwellungen vom Hals bis zu den Beinen. Mit großer Anstrengung erzählt er langsam, was sich am vergangenen Mittwochnachmittag ereignet hat, als er in der Nähe seines Dorfes Kharbatha Bani Harith nordwestlich von Ramallah von einer Gruppe israelischer Siedler entführt und brutal gefoltert wurde.
Hammam hatte einen kurzen Spaziergang in der Nähe einer ihm gut bekannten Quelle unternommen, in der Überzeugung, dass er dort vor Gefahren sicher sei. Als er anhielt, um zu beten, umzingelte ihn plötzlich eine Gruppe von Siedlern, als hätten sie ihn seit seiner Ankunft beobachtet. Bevor er begreifen konnte, was geschah, hagelte es Schläge auf seinen Körper. Er verlor schnell die Fähigkeit zu stehen. Augenblicke später spürte er, wie er einen Hügel hinauf in Richtung Sde Ephraim geschleift wurde – einem Siedlungsaußenposten, den Israel 2024 legalisiert hatte.
Hammam erinnerte sich an diese Stunden, als würden sie gerade wieder passieren: Seine Hände waren fest hinter seinem Rücken gefesselt, Gewehrkolben schlugen auf seinen ganzen Körper ein, Steine wurden auf ihn geworfen, während er auf dem Boden lag, und es hagelte ununterbrochen Beleidigungen und Flüche. Einige der Angreifer trugen Zivilkleidung, andere Soldatenuniformen. Einer legte seine Waffe neben Hammams Ohr an und sagte ihm, er würde das nicht überleben.
Hammam verlor aufgrund der Schmerzen bald das Bewusstsein, und als er wieder zu sich kam, befand er sich in den Händen israelischer Soldaten, die ihn bis zum nächsten Morgen weiter schlugen. Er wurde auch von einem Offizier des Shin Bet, des israelischen Inlandsgeheimdienstes, verhört und bekam trotz seines Hungers nicht einmal einen Schluck Wasser.
Hammams Vater sitzt neben ihm im Krankenhausbett und erzählt von der Qual des Wartens auf die Rückkehr seines Sohnes, nachdem dieser am vergangenen Mittwoch verschwunden war. Erst in den frühen Morgenstunden des folgenden Tages erhielt seine Familie einen Anruf vom Shin Bet, in dem ihnen mitgeteilt wurde, dass Siedler Hammam festgenommen und ihn der Armee übergeben hatten.
Als er schließlich ins Krankenhaus gebracht wurde, sagten die Ärzte, dass er aufgrund der Schwere der Schläge engmaschig überwacht werden und kontinuierlich intravenös Flüssigkeit erhalten müsse, um seinen Zustand zu stabilisieren. Und doch, so sein Vater, blieb Owais' Lebensmut ungebrochen, als wäre das Überleben selbst zu einem Akt des Widerstands geworden.
„Mein Sohn ist vom Tod zurückgekommen“, fügte er hinzu. „Ich habe das Gefühl, als wäre er wiedergeboren worden.“
Der Angriff auf Owais ist kein Einzelfall. Er ereignet sich inmitten einer beispiellosen Welle von Gewalt durch Siedler im gesamten Westjordanland, wo fast tägliche Übergriffe – oft mit Unterstützung der israelischen Armee – zu einer systematischen Umgestaltung der Bevölkerungsstruktur der Region zugunsten jüdischer Siedlungen führen. Seit Beginn des Krieges gegen Gaza leben die Palästinenser*innen im Westjordanland in ständiger Anspannung: Sie warten auf den nächsten Angriff, die nächste Drohung, das nächste Opfer.
In Gebiet C, das direkt vom israelischen Militär kontrolliert wird, sind Palästinenser*innen seit Jahren dem organisierten Druck staatlich unterstützter Siedler ausgesetzt, die Dutzende von Gemeinden von ihrem Land vertrieben und allein in den letzten sechs Monaten 40 neue Außenposten errichtet haben. Jetzt verfolgen sie Palästinenser*innen jedoch nicht nur im Gebiet C, sondern auch im Gebiet B und sogar im Gebiet A, die nominell unter teilweiser bzw. vollständiger Zuständigkeit der Palästinensischen Autonomiebehörde stehen. Viele Bewohner*innen berichten von Angriffen auf Menschen, die zuvor keinen direkten Kontakt zu Siedlern hatten.
Nach Angaben der Kommission für Widerstand gegen Kolonisierung und Mauerbau der Palästinensischen Autonomiebehörde gab es allein im November mehr als 2 000 Angriffe auf Palästinenser*innen im Westjordanland, darunter über 600 durch Siedlermilizen. Hochrangige israelische Beamte haben kürzlich gewarnt, dass der Staat angesichts der wachsenden Macht und Straffreiheit extremistischer Siedlergruppen zunehmend selbst die Kontrolle über die Lage vor Ort verliert.
Die israelische Armee erklärte, sie untersuche die Rolle der Reservisten bei dem Angriff auf Hammam, und eine militärische Quelle teilte der Zeitung „The Times of Israel“ mit, dass seine Verletzungen „beunruhigend“ seien. Die Armee fügte hinzu, dass die Streitkräfte nach Berichten über einen Palästinenser, der „die Absicht bekundet hatte, einen Angriff durchzuführen“, eingetroffen seien, und behauptete, dass einige seiner Verletzungen durch einen Sturz auf Felsen verursacht worden seien.
Vor Owais' Krankenzimmer geht eine Reinigungskraft durch den Flur und wiederholt einen Satz, der alles auf den Punkt zu bringen scheint: „Hier zu überleben ist zu einem täglichen Wunder geworden.“
Faiz Abu Rmeleh ist Fotojournalist aus der Altstadt von Jerusalem. Er ist Mitglied des Kollektivs Activestills und hat für mehrere lokale und internationale Zeitungen gearbeitet.




Kommentare