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Antwort von Botschafter Abdel Shafi auf Kommentar von Eric Frey im Der Standard (7.11.2023)

Wien, am 9.11.2023


Sehr geehrter Herr Eric Frey,


als österreichischer Journalist, der über den Nahen Osten und damit auch über den israelisch-palästinensischen Konflikt berichtet, waren Sie für mich aufgrund Ihrer relativ sichtbaren Objektivität immer eine Ausnahme, sodass ich Ihre Analysen und Kommentare mit großem Interesse gelesen habe.

Doch die Bewahrung Ihrer journalistischen Objektivität und die Bewahrung des ethischen Journalismus sind bedauerlicherweise mit Ihrem Kommentar „Das Schweigen des palästinensischen Botschafters beweist die Macht der Hamas“ verloren gegangen.

Der einzige Wahrheitsgehalt Ihres Kommentars ist die Beschreibung meiner Person. In der Tat, ich bin kein Radikaler, ich bin kein Islamist. Ich bin Mitglied der PLO, die als Dachorganisation das Existenzrecht Israels anerkannt hat und trotz tausender Rückschläge weiterhin die Zwei-Staaten-Lösung auf Grundlage der Grenzen von 1967 predigt.


Umso undurchsichtiger ist Ihr Vorwurf, dass ich es abgelehnt habe, das, was Sie das „Hamas-Massaker“ nennen, zu verurteilen und mich von der „Terrororganisation“ zu distanzieren. Ich habe immer wieder betont, dass Angriffe auf Zivilistinnen und Zivilisten, die auch hinsichtlich der tragischen Ereignisse vom 7.Oktober erfolgten, durch nichts zu rechtfertigen sind und wir für die bedingungslose Freilassung aller zivilen Geiseln eintreten. Sie stellen einen klaren Verstoß gegen das Völkerrecht und gegen das humanitäre Völkerrecht dar. Alle diejenigen, die Verbrechen gegen das Völkerrecht begehen, müssen gemäß dem Völkerrecht zur Rechenschaft gezogen werden. Darüber hinaus haben wir bzw. ich öffentlich dazu aufgefordert, dass eine internationale Untersuchungskommission darüber urteilen soll, wer Kriegsverbrechen begangen hat. Weder Sie noch ich entscheiden, welche Seite Völkerrechtsbruch begangen hat. Diese Aussagen haben Sie bewusst ausgeblendet.


Die Tatsache, dass Sie die Hamas als Terrororganisation betrachten heißt nicht, dass die ganze Welt ihrem Urteil folgt. Denn weder Sie noch die Europäische Union sind Maßstab für das Völkerrecht, sondern sie sind Maßstab einer Doppelmoral. Für mich ist Israel ein Terrorstaat. Dass Sie diese Meinung nicht teilen, gibt mir nicht das Recht, Sie zu diffamieren.


Objektiver Journalismus heißt auch, das Kind beim Namen zu nennen, aber dem geschieht nicht so.

Herr Frey, warum bezeichnen Sie den israelischen Minister für Innere Sicherheit, Itamar Ben- Gvir, nicht als Terroristen, obwohl er bereits 2007 von einem israelischen Gericht wegen Aufhetzung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt wurde? Warum nennen Sie nicht den israelischen Finanzminister Bezalel Smotrich einen Terroristen? Er forderte Siedler auf, ganze palästinensische Dörfer mitsamt ihren BewohnerInnen zu verbrennen. Ihrerseits gab es gleichfalls keinen Kommentar zum israelischen Minister für Jerusalemer Angelegenheiten und Altertümer, Ämichai Eliayahu, der am 5. November gefordert hat, eine Atombombe auf Gaza zu werfen.


Wäre diese Berichterstattung schädlich für die Karriere, fehlt es an Mut?


An dieser Stelle möchte ich erneut an den objektiven und ethischen Journalismus erinnern: haben Sie jemals recherchiert, wie viele palästinensische Minderjährige in israelischen Gefängnissen gefangen gehalten werden? Ist Ihnen bewusst, dass in den letzten 30 Tagen täglich rund 200 Kinder im Gaza-Streifen getötet wurden oder sind das für Sie Kollateralschäden?


Herr Frey, ich bin in Gaza geboren und aufgewachsen. Ich bin immer ohne Angst nach Gaza gereist – auch nachdem die Hamas die Macht an sich gerissen hat. Meine österreichischen Freundinnen und Freunde, die ich in den letzten Jahren hier gewonnen habe, wissen auch, dass ich eine Person bin, die frei und ungebunden ihre Meinung kundtut. Umso verwerflicher ist Ihr Versuch, meine Position als Ausdruck meiner Angst darzustellen, da es im Umkehrschluss ein Ausdruck Ihres eigenen Scheiterns ist, eine objektive journalistische Arbeit vorzuweisen. Ich habe nur Angst vor der israelischen Besatzung, denn die israelischen Besatzungstruppen haben meine Stadt Gaza und das Haus, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, zerstört.


Nehmen Sie meine Einladung zu einem persönlichen Gespräch an und diskutieren Sie mit mir auf sachlicher Ebene über das Wertesystem, über Doppelmoral und objektive Berichterstattung.



Hochachtungsvoll

Salah Abdel Shafi




LINK zum Kommentar von Eric Frey "Palästinensischer Botschafter - Die Macht der Hamas" (7.11.2023)




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