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Das Al Shifa Krankenhaus liegt nach dem Rückzug der israelischen Armee in Trümmern

Lost for words.

Tweet von WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus, 31.03.2024


 

Die israelische Armee zog sich gestern nach über zweiwöchiger Invadierung aus dem größten Krankenhaus von Gaza zurück und hinterließ eine Trümmerlandschaft mit zerstörten Gebäuden sowie mindestens 300 Toten, darunter ÄrztInnen und Pflegepersonal, PatientInnen und Menschen, die am Krankenhausgelände Schutz gesucht hatten. Zahlreiche Personen wurden verhaftet, ihr Verbleib ist unbekannt.


Mindestens 21 PatientInnen seien seit Beginn der Invadierung gestorben, teilte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus, auf X mit. Noch über 100 Patienten sollen sich im zerstörten Gebäude befinden, darunter vier Kinder und 28 PatientInnen in kritischem Zustand. Tedros Adhanom Ghebreyesus fügte hinzu, dass es keine Windeln, Urinbeutel oder Wasser zum Reinigen der Wunden gebe und die PatientInnen an infizierten Wunden und Dehydrierung litten.


Hossam Shabat, Journalist aus Gaza, berichtete gestern vor Ort: „In den letzten 6 Monaten habe ich ununterbrochen über die Geschehnisse in Gaza berichtet, aber was ich heute bei meinem Besuch im Al-Shifa-Krankenhaus gesehen habe, war mit nichts zu vergleichen, was ich je zuvor erlebt habe. Die israelischen Besatzungstruppen haben 300 Palästinenser in und um das Krankenhaus herum getötet. (…) Die Leichen befanden sich in einem entsetzlichen Zustand, viele hatten Hände und Beine auf dem Rücken gefesselt und waren von einem Bulldozer plattgedrückt worden. (…) Mehrere Leichen waren verwest und teilweise von streunenden Hunden angefressen. Die meisten Toten waren nicht zu erkennen; die Familien konnten sie nur anhand ihrer Kleidung identifizieren.“


Raed al-Nims, ein Vertreter des Palästinensischen Roten Halbmonds, berichtete, viele Abteilungen des Al-Shifa-Krankenhauses seien "in Brand gesetzt" worden und "viele Leichen" liegen auf dem Boden herum: "Die Lage ist katastrophal. Das medizinische Personal, einige von ihnen wurden getötet, andere gefoltert, andere festgehalten, und vor allem wurden sie seit zwei Wochen belagert, ohne jegliche medizinische Versorgung oder gar Lebensmittel und Wasser. Shifa  bedeutet "Heilung". Es ist ein Haus der Heilung. Mit der Zerstörung des Krankenhauses durch das israelische Militär wurden auch tausend Häuser in der Umgebung zerstört.“


Das Al-Shifa-Krankenhaus war das größte und wichtigste Krankenhaus im Gazastreifen, in dem auch komplexere Fälle behandelt werden konnten. Es wurde nun vollständig zerstört, große Teile niedergebrannt und die gesamte medizinische Ausrüstung vernichtet.

 

Dr. Tanya Haj-Hassan: Ein direkter und systematischer Angriff auf die Gesundheitsversorgung Gazas


Dr. Tanya Haj-Hassan, Ärztin für pädiatrische Intensivmedizin, die vor dem Krieg in Gaza medizinisches Personal unterrichtete und seit Oktober 2023 mehrmals für Ärzte ohne Grenzen in Gaza war, widersprach in einem Interview mit Sky-News den Behauptungen der israelischen Armee, sie würden ZivilistInnen und medizinisches Personal bei Angriffen auf Spitäler schützen:

„Sie [die israelische Armee, Anm.] haben Dutzende von Menschen hingerichtet, ohne jede Vorwarnung, darunter auch einen unserer Kollegen, Dr. Ahmad Maqadmeh, einen sehr erfahrenen plastischen Chirurgen. Ihn und seine Mutter, die ebenfalls Ärztin ist. Sie haben Menschen ohne Umschweife hingerichtet. Und auch von vielen, die jetzt inhaftiert wurden, haben wir nichts mehr gehört.


Frühere Studenten von mir, die festgenommen wurden, junge Ärzte, die festgenommen wurden. Wir wissen nicht, ob sie tot oder lebendig sind. Manche von ihnen sind seit über 100 Tagen verschwunden. (..) Dies ist eine Vernichtung jener Menschen, die heilen. Dies ist ein direkter Angriff auf das Gesundheitspersonal.

Ich möchte nur ganz kurz schildern, was mir die Mitarbeiter des Gesundheitswesens dort berichten: Sie sagen, dass sie sich, wenn sie das Krankenhaus verlassen, Zivilkleidung anziehen müssen, weil das Tragen von OP-Kleidung für sie bedeutet, dass sie eine Zielscheibe auf dem Rücken haben. So systematisch wurde das Gesundheitswesen ins Visier genommen. Und offen gesagt, was wir in den letzten 24 Stunden im Al-Shifa-Krankenhaus und im Al-Aqsa-Krankenhaus gesehen haben, und was ich für die übrigen Krankenhäuser im Gazastreifen befürchte, weil es ein Muster ist (…), ist ein direkter und systematischer Angriff auf die Gesundheitsversorgung, der durch nichts zu rechtfertigen ist."

 

Dr. Ghassan Abu-Sittah: „Ich gebe den westlichen Journalisten die Schuld, die das Narrativ aufrechterhalten haben, dass ein Krankenhaus ein gerechtfertigtes und akzeptables Ziel für einen Angriff darstellt.“

 

Der britisch-palästinensische plastische Chirurg Dr. Ghassan Abu-Sittah, der über einen Monat lang Patienten in den Krankenhäusern Al-Shifa und Al-Ahli behandelt hatte, sprach in einem Interview mit Amy Goodman von Democracy Now zunächst über seinen getöteten Kollegen Dr. Ahmad Maqadmeh:

 

„Zunächst möchte ich, wenn Sie mir gestatten, Amy, meinem Freund und Kollegen Dr. Ahmad Maqadmeh Tribut zollen, einem jungen, brillanten plastischen Chirurgen, mit dem ich während des Krieges im Al-Shifa und im Al-Ahli-Krankenhaus zusammengearbeitet habe. Und ich hatte mit ihm schon während des 21er-Krieges und während der Märsche der Rückkehr zusammengearbeitet. Seine Leiche und die seiner Mutter wurden heute gefunden, als sich die israelischen Truppen zurückzogen. Sie wurden von der israelischen Armee hingerichtet, als sie versuchten, aus dem Al-Shifa zu fliehen.

 

Dr. Ahmad war ein brillanter und engagierter junger Chirurg, der mit dem humanitären Stipendium des Royal College of Surgeons of England ausgezeichnet worden war. Es ist wichtig, dass wir uns an ihre Namen und ihre Geschichten erinnern. Und heute möchte ich seiner Frau und seinen beiden Kindern, die jünger als 5 Jahre alt sind und nun ohne Ehemann und Vater dastehen, mein Mitgefühl aussprechen. Zusammen mit so vielen meiner Kollegen, die wir verloren haben, ist dies der zweite plastische Chirurg, mit dem ich am Al-Shifa zusammengearbeitet habe, der von den Israelis getötet wurde. Mehr als 345 Ärzte, Krankenschwestern und Sanitäter wurden bisher getötet, absichtlich und gezielt.

 

Was nun das Al-Shifa Krankenhaus betrifft, so war das Al-Shifa 30 % der Kapazität des Gesundheitssystems in Gaza. Die mutwillige Zerstörung des Al-Shifa ist also ein entscheidender Bestandteil des israelischen Plans, durch Völkermord sicherzustellen, dass der Gazastreifen auch nach einem Waffenstillstand unbewohnbar wird. Indem sie das Al-Shifa zerstören und dafür sorgen, dass es irreparabel ist, versucht Israel sicherzustellen, dass Gaza auf Jahre hinaus kein funktionierendes Gesundheitssystem hat. Das Al-Shifa muss nun vollständig abgerissen und ein neues Gebäude und ein neues Krankenhaus gebaut werden, was bedeutet, dass man mit drei bis fünf Jahren rechnen muss, sobald der Bau beginnt. (…)


Ich gebe den westlichen Journalisten die Schuld, die das Narrativ aufrechterhalten haben, dass ein Krankenhaus ein gerechtfertigtes und akzeptables Ziel für einen Angriff darstellt.“

 


Weitere Informationen:


Bilder des zerstörten Al-Shifa Krankenhauses und dessen Umgebung:

“Genocidal Machine”: Dr. Ghassan Abu-Sittah on Israel’s Destruction of Gaza’s Hospitals

Vollständiges Interview mit Dr. Ghassan Abu Sittah (in englischer Sprache)

The Worst of What Humanity Is Capable Of”: Pediatrician Dr. Tanya Haj-Hassan on What She Saw in Gaza




7 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der World Central Kitchen in Gaza getötet


World Central Kitchen (WCK) gab heute früh bekannt, dass sieben Mitglieder der NGO bei einem Angriff der israelischen Armee in Gaza getötet wurden.

Das WCK-Team war mit zwei gepanzerten Fahrzeugen, die mit dem WCK-Logo versehen waren, und einem weiteren Fahrzeug in einer Sicherheitszone unterwegs. Die MitarbeiterInnen trugen Schutzwesten mit dem WCK-Logo.

Obwohl der Konvoi seine Route mit der israelischen Armee koordiniert hatte, wurde er angegriffen, als er ein Lagerhaus für Nahrungsmittel in Deir al-Balah verließ.

"Dies ist nicht nur ein Angriff auf WCK, sondern auch auf humanitäre Organisationen im Allgemeinen, die in den schlimmsten Situationen, in denen Lebensmittel als Kriegswaffe eingesetzt werden, Hilfe leisten. Das ist unverzeihlich", sagte die Geschäftsführerin von World Central Kitchen, Erin Gore.

Die sieben Getöteten stammen aus Australien, Polen, Großbritannien, USA/Kanada (Doppelstaatsbürger) und Palästina.


Presseaussendung WCK (in englischer Sprache)

 


Haaretz: Todeszonen in Gaza


Wie die israelische Tageszeitung Haaretz am Wochenende berichtete, hat Israel in Gaza sogenannte Todeszonen eingerichtet. Jeder, der sie betritt, wird erschossen.

Nach Angaben der israelischen Armee wurden seit Beginn des Gaza-Krieges 9.000 Terroristen getötet. Verteidigungsbeamte und Soldaten sagen jedoch gegenüber Haaretz, dass es sich dabei oft um ZivilistInnen handelt, deren einziges Verbrechen darin bestand, eine von der israelischen Armee gezogene, unsichtbare Linie zu überschreiten.

Von den 32.782 getöteten Palästinensern behauptet die IDF, dass etwa 9.000 Terroristen waren. Reserveoffiziere und andere Verteidigungsbeamte bezweifeln nun jedoch, wer tatsächlich ein "Terrorist" ist und wie viele unbewaffnete Palästinenser post mortem in den Status eines "Terroristen" erhoben wurden, um zu zeigen, dass Israel "dem Sieg nahe ist".

Ken Roth, Gründer von Human Rights Watch und Spezialist für internationales Recht, dazu: "Wenn die israelischen Streitkräfte ad hoc 'Tötungszonen' einrichten und jeden angreifen, der sie betritt, wäre das ein klarer Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht, vor dem Schießen zwischen Kombattanten und Zivilisten zu unterscheiden – also ein Kriegsverbrechen.“


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