Das Schweigen über Gaza
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- 27. Sept.
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Seit dem 7. Oktober 2023 hat Israel den Zugang ausländischer Journalisten zum Gazastreifen stark eingeschränkt und erlaubt nur noch seltene, streng kontrollierte Besuche unter militärischer Begleitung mit strengen Berichterstattungsbeschränkungen. Fast 200 Journalist*innen und Medienmitarbeiter*innen wurden von Israel im Gazastreifen getötet, wobei die Berichte palästinensischer Reporter*innen von den internationalen Medien häufig ignoriert werden. Kommunikationsausfälle und Infrastrukturschäden durch Bombardierungen beeinträchtigen regelmäßig die Fähigkeit der Journalist*innen im Gazastreifen, über die Lage innerhalb des Gebiets zu berichten.
Von Arwa Damon, Los Angeles Times, 25. September 2025
(Originalbeitrag in englischer Sprache)
Die Pressekonferenz, die die israelische Regierung letzten Monat am Grenzübergang Kerem Shalom nach Gaza veranstaltet hat, bot einen Blick auf die Betonmauern, die sich durch den Sand und die Trümmerdünen schlängeln, auf die israelischen Wachtürme und ein paar vorbeifahrende Armeefahrzeuge.
Näher als hier konnten ausländische Journalist*innen Gaza bisher nicht kommen, abgesehen von seltenen, sorgfältig von der israelischen Armee organisierten Ausflügen in den Gazastreifen, bei denen Journalist*innen angewiesen werden, mit keinem Palästinenser und keiner Palästinenserin zu sprechen – für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie jemandem begegnen, während sie von der israelischen Armee umgeben sind.
Ein Journalist fragt die stellvertretende israelische Außenministerin Sharren Haskel, warum die Presse keinen Zutritt erhält.
„Wenn ich Reporterin wäre, würde ich gefälligst meine Fakten überprüfen“, antwortet sie und weicht so der Frage aus.
Der Journalist kontert, dass genau das der Grund sei, warum die ausländische Presse Zugang fordere.
„Sie sehen doch, Gaza ist ein sehr gefährliches Gebiet“, entgegnet Haskel ohne eine Spur von Ironie, obwohl die größte Gefahr für die Medien in Gaza Israel ist. Das Komitee zum Schutz von Journalist*innen hat seit dem 7. Oktober 2023 fast 200 Journalist*innen und Medienmitarbeiter*innen gezählt, die von Israel getötet wurden, wobei mindestens zwei Dutzend dieser Tötungen vom Komitee als vorsätzliche Morde eingestuft wurden.
Die Journalist*innen in Gaza müssen nicht nur dem Tod entkommen, um berichten zu können. Oft kommt es zu Kommunikationsausfällen oder Telekommunikationssysteme fallen aus, weil es an Treibstoff mangelt oder weil Glasfaserkabel durchtrennt werden – in der Regel durch israelische Bombenangriffe.
Im Sommer beispielsweise hatten die Telekommunikationsteams in Gaza gerade erst die Verbindung zu den beschädigten Glasfaserleitungen wiederhergestellt, die Gaza-Stadt und den Norden fast eine Woche lang abgeschnitten hatten, als die Leitungen im Süden und Zentrum Gazas getroffen wurden.
Doch trotz all ihrer Bemühungen und trotz der emotionalen Belastung, der palästinensische Journalist*innen ausgesetzt sind, werden ihre Berichte oft diskreditiert und abgetan, nicht nur von Israel und seinen Unterstützer*innen, sondern oft auch von ihren Kolleg*innen in den ausländischen Medien, die von außen zusehen, sich kein eigenes Bild machen können und entweder nicht in der Lage oder nicht willens sind, sich wirklich gegen Israels Darstellung zu wehren.
Immer wieder haben israelische Politiker*innen Äußerungen wiederholt, in denen sie die palästinensischen Pressevertreter*innen in Gaza verleumden, indem sie in einigen Fällen behaupten, sie seien Mitglieder der Hamas, oder ihre Berichterstattung als voreingenommen ablehnen und ihre Beobachtungen und das, was sie unter Einsatz ihres Lebens mit der übrigen Welt teilen, in Frage stellen.
In einem solchen Fall sagte der Sprecher der israelischen Regierung, David Mercer, kürzlich in einem Interview mit einem britischen Fernsehsender: „Jede Nachricht, die aus Gaza kommt, wird von der Terrororganisation kontrolliert.“ Anschließend belehrte er den Moderator darüber, wie Journalist*innen ihre Arbeit überprüfen und ausführen müssen.
Vor dem 7. Oktober, während früherer „Eskalationen“, haben ausländische Journalist*innen Verzichtserklärungen unterzeichnet, die Israel von jeglicher Verantwortung für ihre Sicherheit entbinden. Ich selbst habe dies in meiner früheren journalistischen Tätigkeit als leitende Korrespondentin bei CNN getan.
Seit dem 7. Oktober war ich mit meiner Wohltätigkeitsorganisation, dem International Network for Aid, Relief and Assistance (INARA), vier Mal in Gaza, bevor mir Israel Anfang dieses Jahres ohne Angabe von Gründen die Einreise verweigert hat. Es ist erwähnenswert, dass die Einreiseverweigerungen für humanitäre und medizinische Missionen bis zu 50 Prozent betragen und humanitäre Organisationen nun vagen Warnungen ausgesetzt sind, sie dürften „Israel nicht delegitimieren“, da sonst die Einreise ihrer Mitarbeiter*innen und Hilfsgütertransporte verweigert werden könnte.
Wäre der ausländischen Presse die Einreise nach Gaza gestattet worden, hätten die Journalist*innen gesehen, was wir alle sehen, wenn wir vor Ort sind, sie hätten gesehen und gehört, was palästinensische Journalist*innen die ganze Zeit über berichtet haben.
Sie hätten Israels Behauptung, dass „die Hamas die Hilfsgüter stiehlt“, widerlegen können, da sie selbst die plündernden Banden in der „roten Zone“ gesehen und verstanden hätten, dass es sich dabei nicht um die Hamas handelt und auch nicht handeln kann, da sie sich frei in einem Gebiet bewegen, das unter vollständiger israelischer Kontrolle steht und über dem ständig Drohnen kreisen.
Sie hätten die Zentren für Unterernährung und Krankenhäuser besucht und Kinder gesehen, die ihre letzten Atemzüge machten, während ihre Körper vor Hunger dahinschwanden, den Israel weiterhin leugnet, obwohl die von den Vereinten Nationen unterstützte Integrierte Klassifizierung der Ernährungssicherheitsphasen (IPC) im letzten Monat eine Hungersnot ausgerufen hat. Sie hätten die apokalyptische Zerstörung gesehen, den Schmerz in den Augen der Menschen, die Angst, die die Bevölkerung erfasst hat.
Sie hätten aus erster Hand verstanden, wie absurd es ist, dass Israel den Menschen mit falschen Versprechungen von „Unterkunft, Nahrung, Wasser und medizinischer Versorgung“ sagt, sie sollen sich in „sichere Zonen“ begeben.
Ich habe fast zwei Jahrzehnte als Journalistin aus einigen der schwierigsten Regionen der Welt berichtet, von Syrien bis Afghanistan, und ich habe noch keine Regierung oder kein Regime getroffen, das Journalist*innen die Einreise verweigert, wenn es nichts zu verbergen hat.
Es ist nicht so, dass wir nicht wissen, was in Gaza geschieht; wir wissen es aus den Berichten palästinensischer Journalist*innen. Aber Israels Darstellung wird mehr Glaubwürdigkeit beigemessen als den Berichten der Menschen, die das Geschehen selbst erleben und miterleben. Das ist kein neues Phänomen; seit Jahrzehnten werden Palästinenser*innen systematisch entmenschlicht und ihre journalistische Arbeit ignoriert. Diese Sichtweise prägt auch die Perspektive vieler ausländischer – insbesondere westlicher – Pressevertreter*innen.
Wenn sie einreisen dürften, würde das, was sie binnen nur weniger Minuten sehen könnten, mit einem Vorschlaghammer nicht nur die Vorurteile gegenüber palästinensischen Journalist*innen, sondern auch die Glaubwürdigkeit des israelischen Narrativs sofort zerschlagen.
Arwa Damon ist ehemalige leitende Auslandskorrespondentin von CNN und ist Gründerin des International Network for Aid, Relief and Assistance (INARA).




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