Datteln sind „Luxus“ – und andere Maßnahmen Israels, die Hilfslieferungen für hungernde Menschen in Gaza behindern
- office16022
- vor 2 Tagen
- 8 Min. Lesezeit
Von der Beschränkung der Grenzübergänge für Lastwagen bis hin zur Verhinderung einer ordnungsgemäßen Sicherung der Ladung hat Israel eine Vielzahl bürokratischer und physischer Hindernisse errichtet, die jede Phase der Lieferung von Lebensmitteln und medizinischen Hilfsgütern nach Gaza behindern.
Von Nir Hasson, Haaretz, 12. August 2025
(Originalbeitrag in englischer Sprache)
Selbst aus dem Weltraum ist das Scheitern des israelischen Plans zur Versorgung des Gazastreifens mit Lebensmitteln deutlich zu erkennen. Lange weiße Spuren von verschüttetem Mehl ziehen sich vom Grenzübergang Kerem Shalom zwischen Israel und Gaza nach Norden; das weiße Mehl bildet einen starken Kontrast zum braunen Sand Gazas. Nur wenige Kilometer entfernt hungern Menschen, während Tonnen von Mehl entlang der Straßen liegen bleiben. In der Nähe sind auch gelbe Reissäcke von Lastwagen gefallen.
Das Mehl und der Reis stammen aus Spenden, die von den Vereinten Nationen und internationalen humanitären Organisationen gesammelt wurden. Diese kaufen die Lebensmittel in der Regel im Westjordanland, in Jordanien oder im Ausland und transportieren sie über Israel nach Gaza. Laut humanitären Quellen erlaubt die israelische Armee nicht, dass die Lieferungen ordnungsgemäß gesichert werden, bevor die Lastwagen Kerem Shalom verlassen, um in die Gebiete zu gelangen, in denen die hungernden Bewohner*innen Gazas leben.
Quellen in Gaza berichten, dass Soldaten der israelischen Streitkräfte die Helfer*innen dazu drängen, die Ladung schnell zu verladen, woraufhin die Lastwagen oft stundenlang aufgehalten werden und gezwungen sind, gefährliche Routen zu nehmen. Da die Lebensmittel nicht sicher verzurrt sind, können sie leicht gestohlen werden, und der Großteil der Hilfsgüter, die nach Gaza gelangen, wird unterwegs geplündert. Aufgrund der stark beschädigten Straßen geht auch ein Teil der Lebensmittel verloren.
Seit Monaten flehen die UNO und humanitäre Hilfsorganisationen die israelische Armee an, Lebensmittel über andere Grenzübergänge einführen zu können, ihnen Zeit zu geben, um Lieferungen zu sichern und zu schützen, und sicherere Routen zu nutzen, um sicherzustellen, dass die Hilfe die Bedürftigen erreicht. Ihre Bitten wurden wiederholt abgelehnt.
Dies ist nur eines von vielen Hindernissen, die Israel der Versorgung der Bewohner*innen Gazas mit Lebensmitteln und der Bekämpfung der Hungerkrise in den Weg legt. Auf den ersten Blick besteht eine rätselhafte Diskrepanz zwischen den wiederholten Behauptungen Israels, die Lebensmittelversorgung Gazas zu verbessern, und den täglichen Berichten über Todesfälle aufgrund von Hunger und schwerer Unterernährung, insbesondere bei Kindern.
Der Grund dafür ist, dass es humanitären Organisationen und UN-Agenturen – darunter das Welternährungsprogramm (WFP), UNICEF, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Dutzende weitere – nicht ermöglicht wurde, das Netzwerk zur Verteilung von Lebensmitteln wieder aufzubauen, das vor Beginn der aktuellen Krise am 2. März 2025 in Gaza existierte. Zu diesem Zeitpunkt schloss Israel die Grenzübergänge für 78 Tage vollständig, wodurch das Netzwerk zusammenbrach.
Israelische Regierungsvertreter*innen, angefangen bei Premierminister Benjamin Netanjahu, sowie Vertreter*innen der von den USA unterstützten Gaza Humanitarian Foundation behaupten, dass die unzureichende Versorgung des Gazastreifens auf Nachlässigkeit oder Ineffizienz der UNO und anderer Hilfsorganisationen zurückzuführen sei.
Seit Beginn der Blockade hat Israel jedoch in jeder Phase der Lieferung von Lebensmitteln und Hilfsgütern nach Gaza zahlreiche bürokratische und physische Hindernisse errichtet. Diese Beschränkungen werden durch Urteile des israelischen Obersten Gerichtshofs gestützt oder durch willkürliche Anordnungen von niedrigrangigen israelischen Offizieren vor Ort durchgesetzt. Das Ergebnis ist, dass der Hunger anhält.
Eine verfahrene Situation
Das erste Hindernis ist bürokratischer Natur und betrifft die Registrierung von Organisationen, die Lebensmittel über Israel nach Gaza transportieren dürfen. Vor Ausbruch des Krieges am 7. Oktober 2023 war das Ministerium für Soziales und Wohlfahrt für die Registrierung humanitärer Organisationen zuständig, die in den palästinensischen Gebieten tätig sind, und stellte Empfehlungsschreiben für deren Mitarbeiter*innen aus, damit diese Visa erhalten konnten. Nach Kriegsbeginn hat das Sozialministerium diesen Registrierungsprozess einseitig eingestellt.
17 Monate lang konnten Hilfsorganisationen keine Registrierung vornehmen und keine Visa erhalten. Nach einer Petition beim Obersten Gerichtshof führte die israelische Regierung im März ein neues, strengeres Registrierungsverfahren ein. Die Zuständigkeit wurde auf das Büro des Ministers für Diaspora-Angelegenheiten, Amichai Chikli, übertragen, der sich offen gegen internationale Hilfsorganisationen ausspricht. Chikli bezeichnete das neue Verfahren als dramatischen Strategiewechsel, das sich gegen ausländische Organisationen richtet, die unter dem Deckmantel humanitärer Arbeit versuchen, Israel zu untergraben, Boykotte zu fördern und das Image des Landes zu schädigen.
Das Verfahren umfasst Regeln wie die Ablehnung der Registrierung, wenn ein hochrangiges Mitglied der Organisation innerhalb von sieben Jahren vor der Antragstellung zu einem Boykott Israels aufgerufen hat. Eine weitere umstrittene Klausel verlangt von den Organisationen, Listen ihrer palästinensischen Mitarbeiter*innen vorzulegen, was nach Ansicht einiger Gruppen gegen die Datenschutzgesetze ihrer Länder verstößt. Das Verfahren soll im September vollständig in Kraft treten, doch viele Organisationen haben aufgrund von Registrierungsproblemen bereits jetzt Schwierigkeiten, Hilfsgüter zu liefern. Laut einem israelischen Expertenforum für humanitäre Hilfe in Gaza wurde allein im Juli 29 Organisationen aufgrund von Registrierungsproblemen die Genehmigung zur Lieferung von Hilfsgütern verweigert.
Das zweite Hindernis betrifft die Einfuhr von Lebensmitteln und Hilfsgütern nach Israel. Seit Israel vor über einem Jahr den Grenzübergang Rafah eingenommen und zerstört hat, können Güter nur noch auf dem Landweg über Israel nach Gaza gelangen. Lastwagen müssen von der israelisch-jordanischen Grenze, dem Hafen in Ashdod oder dem Westjordanland zu den Grenzübergängen nach Gaza fahren, was eine komplexe Koordination mit den israelischen Behörden und die Genehmigung durch den Zoll erfordert.
Die meisten Lieferungen erfolgen nach einem „Back-to-Back”-System: Ein jordanischer oder palästinensischer Lkw kommt an und lädt die Fracht auf einen israelischen Lkw um, der dann nach Kerem Shalom fährt, um dort zu entladen. Die Fracht wird auf einen palästinensischen Lkw umgeladen, der sie nach Gaza transportiert. Dieser komplizierte Prozess erhöht die Kosten und führt zu häufigen Verzögerungen.
Vor etwa einer Woche verschärfte Israel die Anforderungen und verlangte Polizeibegleitung für jeden Konvoi, der Jordanien in Richtung Gaza verlässt. Zuvor galt dies nur für Konvois, die Lebensmittel und Hilfsgüter im Auftrag von Staaten wie den Golfstaaten transportierten, nicht jedoch für humanitäre Organisationen. Hilfsorganisationen berichten, dass die Polizei oft nur ungern kooperiert, was zu Verzögerungen oder Absagen führt, wenn die Polizeibegleitung nicht erscheint.
Das dritte Hindernis sind unklare und sich häufig ändernde Beschränkungen hinsichtlich der Güter, die nach Gaza gebracht werden dürfen. Letzte Woche lehnte Israels Koordinator für Regierungsaktivitäten in den Gebieten (COGAT), die für die Koordinierung humanitärer Hilfe zuständige Militärbehörde, Anträge auf Einfuhr von in Israel produzierten Datteln und Kartoffeln nach Gaza ab. Kartoffeln wurden aufgrund ihrer langen Haltbarkeit abgelehnt, da sie von Hamas-Kämpfern gehandelt oder gestohlen werden könnten. Datteln wurden als „Luxusartikel” eingestuft.
Im Juli veröffentlichte Haaretz eine Liste von Gegenständen, die von Israel verboten sind, darunter medizinische und logistische Ausrüstung, die für die Behandlung von Unterernährung unerlässlich ist, wie Krankenhauseinrichtungen, Generatoren, Batterien, Sonnenkollektoren, chemische Testkits und Kühlschränke zur Lagerung von Blut.
Das vierte Hindernis ist der eingeschränkte Betrieb der südlichen Grenzübergänge Kerem Shalom und Zikim zwischen Israel und Gaza. Kerem Shalom, der wichtigste Grenzübergang für den Großteil der Lebensmittel und Hilfsgüter, dient auch als Ein- und Ausreisestelle für ausländische humanitäre Helfer und Freiwillige im Gesundheitswesen, was einen kontinuierlichen Betrieb verhindert.
Ein Fahrer in Kerem Shalom berichtete, dass am Montag nur fünf von 50 Lastwagen mit Zucker, Reis und Öl nach Gaza einfahren durften. Die anderen 45 warteten von 11:00 bis 16:00 Uhr, bevor ihnen mitgeteilt wurde, dass sie umkehren und zurückfahren müssten. Der Grenzübergang ist am Wochenende geschlossen, und freitags und samstags gelangt nur sehr wenig Fracht nach Gaza.
Entgegen dem von Israel verbreiteten öffentlichen Bild garantiert die Einfuhr von Lebensmitteln nach Gaza nicht, dass diese auch die hungernden Bewohner*innen erreichen. Die Lebensmittel werden in einem großen Logistikbereich nahe dem Grenzübergang von Lastwagen entladen, aber humanitäre Organisationen dürfen sie von dort nicht frei abholen. Der letzte Schritt – der Transport der Lebensmittel aus dieser Zone zu den Bewohner*innen, von denen die meisten mehrere Kilometer entfernt in Zelten leben – bleibt das größte Hindernis.
Hilfsorganisationen müssen zunächst die Genehmigung erhalten, Lastwagen einzufahren. Sie dürfen nur innerhalb eines strengen Zeitrahmens genehmigte Güter laden. Nach dem Beladen müssen die Fahrer manchmal stundenlang warten, bis sie die Erlaubnis erhalten, weiterzufahren. Die IDF schreibt vor, welche Routen benutzt werden dürfen, die laut humanitären Quellen so gewählt werden, dass Plünderer leichter Konvois angreifen können.
Trotz zahlreicher Forderungen nach einer Änderung der Routen müssen die Fahrer immer wieder dieselben Straßen benutzen, sodass Plünderer wissen, wo sie warten müssen. Die israelische Armee eskortiert die Konvois nicht und hat kürzlich weitere Kontrollpunkte eingerichtet, die zu zusätzlichen Verzögerungen führen.
Vor zwei Wochen wurde ein UN-Konvoi zweieinhalb Stunden lang an einem provisorischen Kontrollpunkt aufgehalten. Zehntausende versammelten sich um ihn herum, und als der Konvoi schließlich passieren durfte, wurde er geplündert. Letzte Woche wurde ein weiterer Konvoi um 18 Stunden verzögert. Diese langen Verzögerungen hindern Hilfsorganisationen daran, genügend Vorräte zu liefern, um die Lagerhäuser wieder aufzufüllen und die regelmäßige Verteilung von Lebensmitteln wieder aufzunehmen.
Einige Organisationen berichten, dass die israelische Armee seit Monaten Plünderungen toleriert, um zu zeigen, dass die UNO und Hilfsorganisationen nicht „liefern“ können. Dies ermöglicht es Israel zu argumentieren, dass humanitäre Versäumnisse nicht auf militärische Bürokratie oder operative Herausforderungen zurückzuführen sind, sondern das Ergebnis einer bewussten Politik, die darauf abzielt, das internationale humanitäre Netzwerk zu schwächen und die Gaza Humanitarian Foundation zu fördern.
Darüber hinaus hat die israelische Armee zahlreiche Polizeibeamte in Gaza gezielt getötet, was zum Zusammenbruch der sozialen Ordnung in Gaza geführt hat. Dies hat es Hilfsorganisationen unmöglich gemacht, Lebensmittel sicher und ohne Diebstahl durch den Gazastreifen zu transportieren.
„Die Menschen, die wirklich Lebensmittel brauchen, aber ein paar Pakete stehlen, sind eine Minderheit. Die Mehrheit sind Händler, die sich mit unseren Lebensmitteln und den Lebensmitteln unserer Kinder die Taschen füllen, weil ihr tägliches Einkommen nicht ausreicht“, sagt Hassan, ein Bewohner Gazas, der sich in Gemeinschaftsküchen für Vertriebene engagiert. „Sie oder ihre Helfer besuchen täglich die Verteilungszentren, und nichts kann sie von ihren Plünderungen abhalten.“
Ein anderer Einwohner, Ahmed, erklärte, dass Händler durch den Verkauf von Hilfsgütern zu hohen Preisen Profit machen. „Sie betreiben die Märkte und legen die Preise nach Belieben fest, wodurch sie mindestens 1 000 Dollar pro Tag verdienen“, sagt er.
Die Hauptbegründung Israels für die Abschaffung des bisherigen, von der UNO betriebenen Systems zur Verteilung von Lebensmitteln war, dass die Hamas einen erheblichen Teil der Hilfsgüter gestohlen habe. Israel hat jedoch keine Beweise für diese Behauptung vorgelegt, und ein Bericht der New York Times [ebenso wie ein Bericht von USAID und der Europäischen Union, Anm.] stellte fest, dass hochrangige israelische Offiziere zugaben, dass es dafür keine Grundlage gibt. Bislang scheint das durch das GHF-Verteilungssystem verursachte soziale Chaos der Hamas zugute zu kommen.
Hassan fügte hinzu, dass „hinter den Kulissen“ Diebe mit der Hamas zusammenarbeiten und ihnen Waren verkaufen. „Der gesamte Verteilungsprozess ist chaotisch. Diejenigen, die über Waffen und Munition von bekannten Mafia-Familien in Gaza verfügen, können mehr Hilfsgüter erwerben und verkaufen, sodass bedürftige Familien ohne Hilfe bleiben. Mehrere große Familien mit einer kriminellen Vergangenheit, sogar schon vor dem Krieg, haben kein Problem damit, Hilfsgüter zu stehlen, sie an die Hamas zu verkaufen und damit Geld zu verdienen. Diese Familien waren zuvor nicht im Handel tätig, sehen nun aber in den Hilfsgütern eine Einnahmequelle, die sie kontrollieren können.“
Israel arbeitet auch daran, die UNRWA, die größte und wichtigste humanitäre Organisation im Gazastreifen, aufzulösen. Die Beweise für Verbindungen der Hamas zur UNRWA sind jedoch schwach. Israel legte eindeutige Beweise gegen zehn Mitarbeiter (von insgesamt 13 000 vor dem Krieg) vor. Nachdem die Knesset neue Gesetze gegen die UNRWA verabschiedet hatte, musste die Organisation schnell alle internationalen Mitarbeiter evakuieren und darf nun nicht mehr mit israelischen Behörden kommunizieren. Die UNRWA kann keine Hilfslieferungen beantragen oder humanitäre Einsätze koordinieren.
Kürzlich erschwerte Israels Außenminister Gideon Sa'ar dem Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) die Arbeit aufgrund seiner Berichte über die humanitäre Krise im Gazastreifen. Sa'ar entzog Jonathan Whittal, dem Leiter des OCHA im Gazastreifen, der eine Schlüsselrolle bei der Koordinierung der Hilfslieferungen spielte, das Visum. Er wird voraussichtlich bald den Gazastreifen verlassen müssen, was die Hilfslieferungen weiter erschweren wird.
In Bezug auf die Bereitstellung von Polizeieskorten zum Schutz von Konvois aus Jordanien erklärte die israelische Polizei: „Behauptungen, dass Hilfskonvois aufgrund fehlender Polizeieskorten abgesagt wurden, sind unbegründet und falsch. Es wurde kein Hilfskonvoi abgesagt. Die Polizei unterstützt weiterhin die IDF, die aufgrund operativer und sicherheitsrelevanter Erfordernisse die volle Verantwortung für die Überfahrt der Konvois trägt.“
COGAT fügte hinzu: „Entgegen den Behauptungen ist das Begleitverfahren für humanitäre Konvois aus Jordanien durch Sicherheitskräfte Routine und wird gemäß den von den zuständigen Stellen festgelegten Protokollen durchgeführt. Dies gewährleistet eine sichere und direkte Ankunft der Konvois an den Grenzübergängen. Darüber hinaus ist entgegen den Behauptungen die Einfuhr von Datteln und Kartoffeln als Teil der humanitären Hilfe in den Gazastreifen erlaubt.“
Nir Hasson ist Journalist bei der israelischen Tageszeitung Haaretz.

Kommentare