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Die Bewohner*innen Gazas reflektieren über das Überleben bis zum Waffenstillstand: „Manchmal beneiden wir die Märtyrer*innen“

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  • vor 4 Tagen
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Einen Genozid zu überleben bedeutet, in einer „Stadt der Geister“ zu leben, umgeben von Trümmern und Erinnerungen an alles, was verloren gegangen ist.

 

Von Huda Skaik, The Intercept, 14. November 2025


(Originalbeitrag in englischer Sprache)

 

Für die 2 Millionen Überlebenden in Gaza klingt das Wort „Waffenstillstand“ nicht mehr nach Frieden, sondern nach einem sprachlichen Trick, einer weiteren fragilen Pause zwischen Massakern. Nach zwei Jahren des Völkermords, der ganze Familien, Nachbarschaften und Zukunftsperspektiven ausgelöscht hat, begegnen viele Menschen in Gaza dieser fragilen Waffenruhe nicht mit Freude, sondern mit Misstrauen, Erschöpfung und Angst. Eine Palästinenserin beschrieb die aktuelle Situation als „Pause zwischen zwei Schmerzen“: dem Schrecken, den sie durchlebt haben, und der Unsicherheit, die darauf folgt.

Ich sprach mit sechs Menschen aus Gaza – mit einer Filmemacherin, einem Fotojournalisten, einem Mitarbeiter des Zivilschutzes, einer Architektin und einem ehemaligen Sprecher der Stadtverwaltung von Gaza –, die einen eindringlichen Einblick darin geben, was es bedeutet, zuerst einen Völkermord zu er- und überleben und dann zu versuchen, mit dessen Folgen zu leben. Ihre Worte offenbaren eine erschreckende Wahrheit: Der Krieg mag pausieren, aber er fühlt sich nicht wirklich vorbei an.

 

„Überleben ist kein Triumph“

Hala Asfour, eine 24-jährige Filmemacherin und Fotografin, sagt, ihre erste Reaktion auf den Waffenstillstand sei pure Ungläubigkeit gewesen. „Ich habe keine Freude empfunden“, sagt sie. „Nur dieses schwere, bedrückende Gefühl, als könne mein Herz nicht begreifen, was geschehen war. Ich fühle eine große Leere. Selbst eine Woche später sehe ich den Krieg noch überall: in den Gesichtern der Menschen, in den Kindern, im Echo der Flugzeuge und Drohnen, das mich nie mehr loslassen wird.“ Für Asfour ist dieser Waffenstillstand eine Pause, kein Frieden. Sie nennt ihn eine „Pause zwischen zwei Schmerzen“ – dem Schmerz des Völkermords, den sie erlitten haben, und dem Leid, das danach weitergeht.

Angst sei nun Teil ihres Körpers, sagt sie, und ihr zu entkommen, scheint unmöglich. „Angst ist etwas, das ich atme. Sie ist in mir. Jedes laute Geräusch, jedes Flugzeug, jedes Summen – es versetzt mich zurück zu den ersten Explosionen des Krieges. Sicherheit? Die verspüre ich nicht“, erzählt sie. Sie hält diesen Waffenstillstand für eine Pause, die sich wie die Ruhe vor dem Sturm anfühlt. Sie und die Menschen in Gaza haben schon viele Waffenstillstände erlebt, auf die immer neue, noch verheerendere Angriffe folgten.

Für Hala hat der Krieg viel mehr als nur ihr Zuhause zerstört. Er hat ihr ihr Leben, ihre Identität, ihre Freund*innen, ihre Kolleg*innen, die vertrauten Straßen und alles, was ihr nahe war, genommen. Hala verlor auch ihren Verlobten, den palästinensischen Journalisten Mohammad Salama, einen Kameramann von Al Jazeera, bei einem „Double-Tap”-Angriff Israels auf das Nasser-Krankenhaus in Khan Younis im Süden des Gazastreifens am 25. August 2025, bei dem auch fünf weitere Journalist*innen ums Leben kamen.

„Was ich am meisten vermisse, ist Sicherheit“, sagt sie. „Das einfache Gefühl, aufzuwachen und zu wissen, wie der Tag verlaufen wird. Mein Wunsch ist es jetzt, einen normalen Tag zu erleben.“ Der Völkermord hat Hala in zwei Teile gerissen: ein Mädchen, das einst Träume hatte, und eine Frau, die nun ums Überleben kämpft.

In Gaza wird das Leben zur schwierigeren Wahl, schwieriger als der Tod selbst. „Es ist kein Triumph, zu überleben. Es ist eine andere Art von Schmerz“, reflektiert Hala. „Man wacht jeden Tag mit dem Schuldgefühl auf, noch am Leben zu sein, während andere – Menschen, die man geliebt hat – nicht mehr da sind und es nicht bis zum Ende geschafft haben. Wir haben überlebt, um ihre Geschichten zu erzählen, um sie zu ehren, aber Überleben ist kein Privileg.“ Langsam lernt sie wieder zu atmen. „Das Leben fühlt sich fragmentiert an, aber mit jedem Lachen eines Kindes, mit jedem Sonnenaufgang, der die Ruinen durchdringt, nähern wir uns der Möglichkeit, zu atmen – nur ein wenig. Nicht weil es uns gut geht, sondern weil wir es versuchen müssen.“

 

„Ich mache jetzt mehr Fotos als während des Krieges“

Für Anas Zayed Fteiha, einen 31-jährigen Fotojournalisten der Anadolu Agency, bedeutet der Waffenstillstand die Rückkehr zur Arbeit, um die Folgen der Zerstörung zu dokumentieren. (Fteiha hat derzeit rechtliche Schritte gegen den internationalen Axel Springer Verlag eingeleitet, den er der Verletzung seiner verfassungsmäßigen Rechte beschuldigt, nachdem eine seiner Boulevardzeitungen in Deutschland ihn als Propagandisten der Hamas bezeichnet hatte.)

„Der Krieg ist nicht wirklich vorbei“, sagt Fteiha und verweist auf die Verstöße gegen die Waffenruhe und die anhaltenden Verluste für die Zurückgebliebenen. „Für Mütter, die ihre Kinder verloren haben, für diejenigen, die Gliedmaßen verloren haben, für Familien, die obdachlos geworden sind – für sie hat der Krieg nie aufgehört.“ Aber die Waffenruhe bringt auch eine paradoxe Erleichterung mit sich. „Ich bin erleichtert, aber die Angst bleibt“, so Fteiha. „Es ist beruhigend, nicht mehr täglich Explosionen zu hören, aber das Trauma ist nicht verschwunden.“

Die Menschen, die ihr Zuhause verloren haben und nirgendwo hinkönnen, lassen Anas auch nach dem Waffenstillstand keine Ruhe. „Dieser Völkermord hat mir viele Freund*innen und Kolleg*innen genommen – und mein Zuhause, das Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Unser Leben ist zerstört. Gaza ist kein lebenswerter Ort mehr“, sagt er. „Manchmal beneiden wir die Märtyrer*innen, die getötet wurden – sie haben den Schmerz und das Leid überstanden, mit denen wir jetzt konfrontiert sind.“

Auch wenn der Waffenstillstand zu halten scheint, intensiviert sich seine Arbeit, und seine Kamera klickt weiter und hält Bilder des Überlebens und der Trauer fest. Die Trümmer und die darin verstreuten Leben müssen dokumentiert werden. „Ich mache jetzt mehr Fotos als während des Krieges. Es gibt so viele Geschichten, die erzählt werden müssen“, sagt er.

 

Diese Erfahrung hat sein Verständnis von Journalismus verändert. „Ich dachte, Journalismus sei geschützt. Ich dachte, Journalisten würden respektiert. In Gaza habe ich die harte Wahrheit gelernt: Unsere Arbeit ist heilig, aber wir sind nicht geschützt. Wir sind Zeug*innen und wir sind vulnerabel“, sagt Anas.

 

„Wir leben in einer Stadt der Geister“

Nooh Al-Shaghnobi, 24, Mitarbeiter des Zivilschutzes, erlebte den Krieg an vorderster Front der Rettungsmaßnahmen. „Zuerst habe ich den Waffenstillstand nicht geglaubt“, sagt er. „Selbst jetzt gibt es noch Verstöße und Angriffe auf die sogenannten ‚gelben Zonen‘, die die Armee ausgewiesen hat, und wir bergen immer noch Leichen aus den Trümmern. Tausende Leichen liegen noch unter den Trümmern – etwa 10.000 Menschen. Der Krieg hat nicht wirklich aufgehört, er ist nur in eine neue Phase getreten.“

Al-Shaghnobi blieb in Gaza-Stadt, um seine Pflicht zu erfüllen, und weigerte sich, mit seiner Familie in den Süden zu fliehen, als sich der Völkermord über zwei Jahre hinzog. Heute beschreibt Al-Shaghnobi die Bergungsarbeiten als zermürbend und zutiefst traumatisch. Mit begrenzter Ausrüstung ist jede Bergung ein Kampf. „Wir arbeiten mit Schaufeln, Hämmern und einfachen Werkzeugen. Die Bergung einer Leiche kann einen ganzen Tag dauern. Und der Geruch, der Anblick von verwesenden Überresten, Skeletten, Schädeln, Knochen – das kann man unmöglich vergessen. Wir leben in einer Stadt der Geister“, berichtet er.

Glaube und Widerstandsfähigkeit, sagt er, hätten sich verändert. „Ich habe Wunder gesehen und jedes Mal überlebt, wenn das Zivilschutzteam direkt angegriffen wurde und viele meiner Kollegen getötet wurden. Das hat mich verändert. Aber unsere Träume, unser Leben, alles ist zerbrechlich. Es kann jeden Moment verschwinden“, sagt er.

Al-Shaghnobis Arbeit konfrontiert ihn jeden Tag mit der Sterblichkeit. „Ehrlich gesagt sind diejenigen, die gestorben sind, diejenigen, die wirklich überlebt haben. Für uns Überlebende ist es jedoch, als würden wir in einem Körper ohne Seele leben. Der Krieg hat uns unsere Lieben, unsere Häuser und unsere Hoffnung genommen. Wir haben gelernt, gefühllos zu leben. Wir haben so viel Tod und Zerstörung gesehen, dass es Teil unseres Alltags geworden ist“, erzählt er.

Selbst in Momenten der Dankbarkeit gibt es auch Schmerz. Al-Shaghnobi erinnert sich an den Schock, als er nur wenige Tage nach der Verkündung des Waffenstillstands seinen engen Freund, den Journalisten Saleh Aljafarawi, verlor: „Wir feierten, dass wir das Massaker überlebt hatten, nur um dann mitanzusehen, wie er getötet wurde. Das ist die Realität hier – der Waffenstillstand ist niemals vollständig. Die Gefahr hört nie auf.“

 

„Freude und Angst vermischen sich“

Sara Bsaiso, 32, Personalmanagerin, teilt diese Mischung aus Erleichterung und anhaltender Angst. „Als ich von dem Waffenstillstand hörte, kam es mir wie eine weitere Schlagzeile vor. Wir haben schon früher von Waffenstillständen gehört. Sie haben nie lange gehalten. Wir glauben auch nicht, dass dieser halten wird. Erst wenn die Bombardierungen wirklich aufhören, werden wir glauben, dass der Krieg vorbei ist“, sagt sie.

Nachdem ihre Familie im März 2024 wiederholt gezwungen war, in den Süden zu fliehen, und im Februar 2025 in den Norden zurückkehrte, nur um vor diesem jüngsten Waffenstillstand erneut zu fliehen, ist Bsaiso erschöpft von der Vertreibung. Überleben bedeutet jetzt, sich einer neuen Herausforderung zu stellen: „Manchmal denke ich, dass diejenigen, die getötet wurden, vielleicht an einem besseren Ort sind als wir – denn was vor uns liegt, ist eine andere Art von Krieg: der Wiederaufbau aus dem Nichts, ein Leben ohne Zuhause, ohne Arbeit und ohne normales Leben.“

Sara denkt darüber nach, was der Krieg ihnen genommen hat. „Er hat uns unser Zeitgefühl, unsere Sicherheit, Stabilität, Normalität, unseren Verstand, unser Leben, unser Zuhause, unsere Arbeit genommen“ und für eine gewisse Zeit auch ihren Bruder. Hossam, 36, war über ein Jahr lang in israelischen Gefängnissen inhaftiert. Sie beschreibt den Moment, als ihre Familie erfuhr, dass ihr Bruder freigelassen werden würde. „Als wir seinen Namen auf der Liste der freigelassenen Gefangenen sahen, vermischten sich Freude und Angst. Wir hatten große Angst, dass sich in letzter Minute noch etwas ändern könnte. Als wir ihn schließlich vor uns sahen, sicher und wohlauf, kam es uns wie ein Traum vor. Das war unser größter Wunsch während des gesamten Krieges“, berichtet Sara.

„Jetzt schätzen wir die kleinsten Dinge: eine Mahlzeit, ein Bett, ein Dach über dem Kopf. Das hat unsere Sicht auf das Leben und unsere Prioritäten verändert“, erzählt sie. Ihre Worte spiegeln die stille Dankbarkeit für das Leben im Schatten der Zerstörung wider. Auch während sie ihr Leben wieder aufbaut, bleibt die Angst bestehen, ein unsichtbarer Schatten, den kein Waffenstillstand auslöschen kann. „Wir haben überlebt“, sagt Sara, „aber der nächste Krieg könnte jeden Moment kommen.“ Trotz allem versucht sie, ein Gefühl der Normalität zu finden. „Wir müssen versuchen, wieder zu atmen, egal wie viel Schmerz wir erlitten haben. Wir wurden aus einem bestimmten Grund geboren, und wir müssen mit Entschlossenheit neu anfangen und das Leben wieder zurückbringen“, so Sara.

 

„Alles, was wir jetzt tun können, ist warten und beten“

Für Walaa Shublaq, eine 29-jährige Architektin und bildende Künstlerin, brachte die Ankündigung eines Waffenstillstands ein Gefühl mit sich, das sie seit Jahren nicht mehr gekannt hatte – eine zerbrechliche, flüchtige Freude.

Aber in den folgenden Tagen war die Stille schier unerträglich. Der Krieg spielte sich endlos in ihrem Kopf ab: Szene für Szene, Geräusch für Geräusch. Während die Welt feierte, empfand sie nur Wut und Erschöpfung. „Ich konnte nicht einmal auf Glückwunschbotschaften antworten“, berichtet sie. „Ich war wütend – auf alle, die dieses Blutvergießen hätten verhindern können, es aber nicht getan haben.“ Für Shublaq war das Überleben eine Last. Es bedeutete, alles und jeden, den sie liebte, aufzugeben, nur um am Leben zu bleiben, und von einem Tod zum nächsten zu fliehen. „Manchmal beneideten wir die Märtyrer*innen“, sagt sie. „Sie hatten ihre Prüfung bestanden. Aber für uns, die wir überlebt haben, geht die Prüfung weiter.“

Der Völkermord raubte ihr nicht nur ihr Zuhause, sondern auch ihr Selbstbewusstsein. Ihre Großmutter, ihre Freund*innen, ihre Kunst, ihre Träume – alles ist verloren. „Heute trauere ich nicht mehr um die materiellen Dinge, die ich verloren habe, sondern um ihre Bedeutung“, sagt sie. Aber inmitten all dieser Verluste veränderte sich etwas. „Ich fand eine Art Freiheit – frei von Illusionen, frei von Anhaftungen. Ich lernte, dass Leere nur mit Licht gefüllt werden kann“, sagt sie. In den Trümmern entdeckte sie Fragmente ihrer Vergangenheit wieder, darunter den unterschriebenen Vertrag für ihr erstes Buch.

Shublaq erinnert sich noch immer an Bilder des Völkermords: barfüßige Kinder, die Wasserwagen hinterherlaufen, Rauch aus Holzöfen, der die Luft verpestet, überfüllte Eselskarren und das ständige Summen israelischer Drohnen. Jetzt möchte sie die Gesichter der Soldaten, die Panzer und die Nächte, in denen sie barfuß durch die Straßen rannte, um dem Tod zu entkommen, für immer vergessen.

Im Rahmen des Waffenstillstandsabkommens wurden im Oktober mehr als 1 700 palästinensische Gefangene aus israelischen Gefängnissen entlassen, darunter auch zwei Brüder von Shublaq, Anas und Abdullah. Sie waren ein Jahr und acht Monate lang inhaftiert und mussten brutale physische und psychische Folter erdulden. Ein weiterer Bruder, Omar, befindet sich weiterhin in Gefangenschaft. „Als an diesem Abend mein Telefon klingelte und ich hörte: ‚Walaa? Hier ist Anas – dein Bruder‘, brach ich in Tränen aus“, erzählt sie. „An diesem Tag warteten wir viele Stunden lang auf meine Brüder, bis wir uns schließlich um 21 Uhr in völliger Dunkelheit trafen. Das Wiedersehen war bittersüß – die Freude wurde durch die Abwesenheit unseres dritten Bruders getrübt.“

„Sie kamen älter und gezeichnet zurück, aber immer noch voller Lebensfreude“, sagt sie. Auf die Frage nach der Zukunft zögert sie. „Ich habe die Fähigkeit und den Wunsch zu planen verloren“, sagt sie. „Alles, was wir jetzt tun können, ist zu warten und um eine umfassende und barmherzige Erleichterung zu beten.“

 

„Unsere Körper haben überlebt, aber unsere Seelen nicht“

Asem Alnabih, 35, ehemaliger Sprecher der Stadtverwaltung von Gaza und heute Korrespondent für Al-Araby TV, stand dem Waffenstillstand mit zurückhaltender Skepsis gegenüber. „Es gibt keine Sicherheit“, sagt er. „Die Stadt befindet sich immer noch in einer Krise: Wasserknappheit, blockierte Straßen, kaputte Abwassersysteme. Selbst nach dem Waffenstillstand leben die Menschen in einem Zustand des Zusammenbruchs und kämpfen um grundlegende Versorgungsleistungen.“ Die Menschen in Gaza sagen oft: „Nach dem Krieg kommt ein weiterer Krieg.“ Das ist derzeit die Realität.

Wie Al-Shaghnobi blieb auch Alnabih in Gaza-Stadt und zog nie in den Süden. „Ich schlief im Auto, im Park, im Keller eines Gebäudes, in kommunalen Einrichtungen, bei Freunden und sogar bei Fremden. Die Vertreibung wurde Teil meines Alltags“, sagt er. Er beschreibt, was Heimat für ihn bedeutet: ein Ort, an dem seine Familie friedlich beisammensitzen, plaudern, lachen und sich sicher fühlen kann.

Für Alnabih bedeutete der Krieg den Verlust von Verwandten, Freund*innen und Normalität. „Er hat mir die Nähe zu meiner Frau und meinen Kindern genommen – ich bin schon seit vor dem Krieg von ihnen getrennt, sie waren im Ausland. Er hat mir meinen Neffen Ahmed, meine Nichte Rasha und meinen Schwager Motaz genommen. Er hat mir meinen lieben Freund Dr. Refaat Alareer genommen, einen der klügsten Menschen, die ich gekannt habe. Er hat mich mit Verlust, Einsamkeit und Trauer zurückgelassen.“

Er beschreibt das Überleben als „aufgeschobenen Tod“. „Vielleicht haben unsere Körper überlebt, aber unsere Seelen nicht“, sagt er. Wie alle Menschen in Gaza sind auch Asems Träume einfach geworden: eine friedliche Nachtruhe, eine Mahlzeit ohne Angst und ein Treffen, das nicht durch Bombenangriffe zerstört wird. „Aber mein tiefster Traum ist, dass unsere Opfer endlich zu etwas führen – dass wir frei leben können, in unserem eigenen Land, in Würde“, fährt er fort. „Frieden ist nur möglich, wenn die Palästinenser*innen ihre vollen Rechte erhalten.“

Der Waffenstillstand mag die Bomben zum Schweigen gebracht haben, aber er hat den Krieg nicht beendet – weder den Krieg in den Menschen noch den Krieg gegen ihr Existenzrecht. In Gaza ist Frieden nicht der Klang eines ruhigen Himmels, sondern der Traum von Gerechtigkeit, der weiterhin aufgeschoben bleibt.

Jeder Überlebende trägt nun die Last des Überlebens, nicht als Triumph, sondern als Zeugnis. Sie leben inmitten von Ruinen, verfolgt von dem, was ihnen genommen wurde und was jeden Moment zurückkehren könnte. Aber selbst hier, zwischen Trauer und Beharrlichkeit, greifen sie nach den kleinsten Zeichen des Lebens: dem Lachen eines Kindes, einem nach Hause zurückgekehrten Bruder oder der Morgensonne, die über zerbrochenen Mauern aufgeht.

 

Huda Skaik ist Studentin der englischen Literatur und journalistische Autorin aus Gaza. Sie ist Mitglied von We Are Not Numbers und schreibt außerdem für The New Arab, Electronic Intifada, Middle East Eye und WRMEA.

 

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