Dr. James Smith: Israels Massaker an den Sanitätern im Gazastreifen war kein Einzelfall
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Nur wenn die Staaten ihre aktive und passive Komplizenschaft beenden, können sie der völkermörderischen Gewalt Israels ein Ende setzen.
Von James Smith, The New Humanitarian, 6. Mai 2025
(Originalbeitrag in englischer Sprache)
Anmerkung der Redaktion: Der Name der internationalen Organisation, für die der Autor im vergangenen Jahr als Freiwilliger in Gaza tätig war, wird nicht genannt, um ihre weitere Tätigkeit nicht zu gefährden.
In einem dreieinhalbminütigen Dauerfeuer massakrierte das israelische Militär am 23. März in Rafah im südlichen Gazastreifen 15 palästinensische Rettungskräfte. Acht von ihnen waren medizinisches Personal der Palästinensischen Rothalbmondgesellschaft (PRCS).
Ich kannte einige dieser Männer. Wir arbeiteten im April und Mai letzten Jahres zusammen, als ich als Teil eines kleinen internationalen medizinischen Notfallteams in Gaza war, um die Traumaversorgung zu unterstützen.
Der Angriff, bei dem sie ums Leben kamen, war kein „Ausrutscher“. Er war auch nicht das Ergebnis von „professionellem Versagen“, wie die israelische Militäruntersuchung behauptet hat. Er war eine Ausweitung von Israels Strategie der gezielten Gewalt gegen Mitarbeiter*innen des Gesundheitswesens und humanitärer Organisationen, die ich während meiner Zeit in Palästina aus erster Hand miterlebt habe. Der Vorfall ist eine weitere Dimension der massenhaften Gräueltaten, die Israel im Gazastreifen begeht und die zu einer dauerhaften Vertreibung und Ausrottung der palästinensischen Bevölkerung in der Enklave führen.
Am Abend des 24. März fragte mich ein Freund, der für das PRCS arbeitet, ob ich gehört habe, dass zehn seiner Kollegen verschwunden sind, als sie versuchten, Menschen zu bergen, die am Morgen zuvor bei einem israelischen Angriff in Rafah verletzt worden waren. „Ich kenne sie alle. Sie sind unsere Kollegen. Ich hoffe, dass sie sicher zu ihren Familien zurückkehren", schrieb er.
In den folgenden Tagen tauschten wir weiterhin Nachrichten und Gebete aus, zusammen mit Fotos vom letzten Mal, als wir uns gesehen hatten. Sechs Tage später änderten sich die Nachrichten: „Heute wurden meine Kollegen gefunden, aber leider wurden sie alle kaltblütig hingerichtet. Sie wurden hingerichtet, Bruder, absichtlich, nicht zufällig.“
Zu den Fotos, die er teilte, gehörte auch die offizielle PRCS-Ankündigung - ein Bild mit Fotos der acht getöteten PRCS-Mitarbeiter, alle in schlichten PRCS-Uniformen, viele lächelnd. Das folgende Foto zeigte die Leiche eines dieser Männer in einem Plastiksack, noch immer in seiner leuchtend roten, reflektierenden Uniform, mit dem großen PRCS-Emblem auf dem Rücken seiner Jacke. Seine Kleidung war mit der Erde bedeckt, unter der er und die 14 anderen von israelischen Soldaten in einem Massengrab verscharrt worden waren.
Die vorliegenden Beweise deuten darauf hin, dass viele von ihnen aus nächster Nähe durch Schüsse in den Kopf oder die Brust getötet wurden.
Willkürliche Zerstörung
Als ich letztes Jahr in Gaza war, waren in nur sieben Monaten bereits mindestens 232 humanitäre Helfer*innen – fast ausschließlich Palästinenser*innen – getötet worden, darunter 27 PRCS-Mitarbeiter und Freiwillige. Dies übertraf bei weitem die Gesamtzahl der Toten in 17 anderen Ländern, die im selben Zeitraum Gewalt gegen humanitäre Helfer*innen verzeichneten.
Angriffe auf palästinensische Mitarbeiter*innen des Gesundheitswesens und der humanitären Hilfe haben bestenfalls eine kurzzeitige Verurteilung hervorgerufen, bevor sie von neueren Gräueltaten in anderen Ländern überschattet wurden. Diese weit verbreitete Straffreiheit hat dazu geführt, dass die Tötungen weitergehen. Seit Oktober 2023 sind mindestens 418 Menschen getötet worden. Alle bis auf acht waren Palästinenser*innen.
Während meiner Zeit in Gaza waren die schlimmsten Angriffe Israels auf die Stadt Khan Younis beendet. Die israelischen Soldaten hatten sich aus der Stadt selbst zurückgezogen und richteten ihre Aufmerksamkeit auf die südliche Stadt Rafah, die sie drei Wochen später belagerten, angriffen und schließlich besetzten. So konnte ich Gesundheitseinrichtungen in Khan Younis besichtigen, darunter das Al-Amal-Krankenhaus, ein einstmals pulsierender Komplex, der vom PRCS gebaut und verwaltet wurde und durch wiederholte israelische Militärangriffe zerstört und außer Betrieb gesetzt worden war.
Der Direktor des Krankenhauses zeigte uns Einschusslöcher in seinem Büro, hebräische Graffiti, die von israelischen Soldaten, die das Hauptgebäude besetzt hatten, in die Wände geätzt worden waren, den zerfetzten Generator, der von einem israelischen Panzer zerstört worden war, eine verkohlte Krankenstation und abgetrennte Ultraschallsonden, von denen jede einzelne akribisch zerschnitten worden war, um sicherzustellen, dass das medizinische Gerät nie wieder verwendet werden konnte.
Bevor wir die Notaufnahme betraten, wurde uns das Grab von Hedaya Hamad, der PRCS-Direktorin für Jugend und Freiwillige, gezeigt. Sie war am 2. Februar 2024 von israelischen Soldaten erschossen worden, als sie versuchte, Verletzten zu helfen, die in der an das Krankenhaus angrenzenden PRCS-Zentrale Zuflucht suchten. Ihre Kolleg*innen hatten keine andere Wahl, als sie in einem flachen Grab zu bestatten, da es zu gefährlich war, das Krankenhausgelände zu verlassen. Ihr Grab war mit ihrer orange-weißen PRCS-Weste gekennzeichnet.
Im Haupthof hatten israelische Soldaten alle PRCS-Krankenwagen zerstört, bevor sie sie unter Tonnen von Erde vergruben.
Israel hat wiederholt behauptet, dass Gesundheitseinrichtungen und Krankenwagen für militärische Zwecke genutzt wurden. Diese Anschuldigungen wurden nie schlüssig oder unparteiisch belegt. Tatsächlich widersprechen die verfügbaren Beweise häufig den israelischen Behauptungen. Die akribische Zerstörung von Ultraschallgeräten deutet darauf hin, dass ein anderes Motiv im Spiel ist: Die systematische Zerstörung des palästinensischen Gesundheitssystems, um es funktionsunfähig zu machen. Warum sonst sollten Soldaten medizinische Geräte sabotieren, die keinen erkennbaren militärischen Nutzen haben?
Indem Israel die Fähigkeit des palästinensischen Gesundheitswesens und der humanitären Helfer*innen untergräbt, die Menschen zu versorgen und am Leben zu erhalten, hat es die Voraussetzungen für die Vernichtung der Bevölkerung geschaffen – entweder durch ethnische Säuberung oder Ausrottung – und gleichzeitig die direkten Auswirkungen seiner militärischen Gewalt dramatisch verstärkt.
Engagement der Mitarbeiter des Palästinensischen Roten Halbmonds
Als ich in Gaza war, waren viele PRCS-Teams während der israelischen Angriffe auf Khan Younis gezwungen gewesen, ihren Standort zu wechseln. Ein solches Team hatte auf einem Tennisplatz in al-Mawasi, jener Küstenregion, die Israel kurzerhand zur humanitären Zone erklärt hatte, um den Eindruck zu erwecken, dass es seinen Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht nachkommt, einen Traumastabilisierungspunkt (TSP) eingerichtet.
Wenn es die Treibstoffvorräte zuließen, wurden PRCS-Krankenwagen zu Notfalleinsätzen im gesamten zentralen und südlichen Gazastreifen entsandt. Während der israelischen Belagerung von Khan Younis zwischen Februar-Dezember 2023 und April 2024 wurden an diesem TSP fast ständig Verletzte empfangen, behandelt und dann zusammen mit Sanitätern in Krankenhäuser in Rafah oder Deir al-Balah gebracht.
Als die Intensität der Belagerung im April letzten Jahres nachließ und eine weitgehend zerstörte und entvölkerte Stadt zurückblieb, war das PRCS-Team weiterhin mit israelischen Luftangriffen, Beschuss durch israelische Kriegsschiffe, dem Einsturz instabiler Gebäude und Unfällen auf der Hauptstraße konfrontiert.
Unser kleines Team aus palästinensischem und internationalem medizinischem Personal arbeitete Seite an Seite mit den PRCS-Teams, und wir verbrachten mehrere Wochen damit, gemeinsam Patient*innen zu behandeln und von den Medizin- und Krankenpflegeschüler*innen, die jeden Tag freiwillig in der Klinik arbeiteten, zu lernen und sie zu unterrichten.
Viele PRCS-Mitarbeiter und ihre Familien waren vertrieben worden und wohnten in Zelten entlang der Strandstraße. Als es relativ sicher war, kehrte unsere engste Teamkollegin in ihre Nachbarschaft in Khan Younis zurück und fand dort, wo einst das Haus ihrer Familie gestanden hatte, nur noch Absolventenschals, andere Erinnerungsstücke und Trümmer vor.
Trotz der täglichen Bedrohung ihres Lebens, der wiederholten Vertreibung und der nicht enden wollenden Suche nach Wasser, Nahrung, Brennholz und Unterkünften arbeiteten die PRCS-Teams rund um die Uhr vom TSP aus. Am 27. April warf ein israelisches Kampfflugzeug eine Rakete in der Nähe der medizinischen Zelte ab, etwa 150 Meter von dem Ort entfernt, an dem wir Patient*innen behandelten, und genau im Zentrum der vermeintlich humanitären Zone.
Die Besatzung des TSP zeigte sich davon unbeeindruckt. Sie wussten von der „Double-Tap“-Strategie des israelischen Militärs, bei der Rettungskräfte oft durch nachfolgende Angriffe getötet oder verletzt werden, und trotzdem startete sofort ein Team in einem Krankenwagen in Richtung des Rauchs los.
Die Straflosigkeit muss beendet werden
Seit Oktober 2023 sind PRCS-Mitarbeiter – und alle Ersthelfer – einer noch nie dagewesenen Bedrohung durch israelische Gewalt ausgesetzt, sowohl im Gazastreifen als auch im Westjordanland. Mit dem israelischen Massaker an den Rettungskräften in Rafah sind nun 44 PRCS-Mitarbeiter getötet worden, 29 davon im Dienst, darunter zwei im Westjordanland.
Bei jedem Mord haben UN-Organisationen, humanitäre Organisationen, Menschenrechtsgruppen und gelegentlich auch eine Handvoll Regierungen zumindest ein gewisses Maß an Verurteilung geäußert.
Nach den Morden in Rafah zeigte sich das Internationale Komitee vom Roten Kreuz „entsetzt“ und Ärzte ohne Grenzen verurteilte erneut derartige Angriffe. Der Leiter von OCHA, der UN-Koordinierungsstelle für Nothilfe, forderte „Antworten und Gerechtigkeit“, während der britische Außenminister David Lammy versuchte, von der anhaltenden Unterstützung der britischen Regierung für Israel abzulenken, indem er erklärte, dass „die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden müssen“.
Diese Pressemitteilungen und Beiträge in den sozialen Medien offenbaren eine Strategie, deren Einfluss sich weitgehend auf das Recycling von Sprache beschränkt: Wir verurteilen, wir fordern Rechenschaft, wir rufen zur Einhaltung auf, wir trauern, und dann wiederholen wir.
Während es zweifellos viel Lobbyarbeit hinter verschlossenen Türen gibt, die nicht in den kuratierten Social-Media-Posts der humanitären Organisationen auftaucht, zeigt sich in der Öffentlichkeit das Bild eines Bereichs, der vollständig von denselben Kriegstreibern abhängig ist, deren Gewalt humanitäre Hilfe überhaupt erst notwendig macht, sowie von den multinationalen Apparaten, die diese Gewalt erst ermöglichen.
In den letzten zehn Jahren wurden die Bemühungen um ein Ende der Angriffe auf humanitäre und medizinische Helfer*innen von der Überzeugung getragen, dass die Dokumentation des wahren Ausmaßes und der Auswirkungen der Angriffe kollektives Handeln auslösen wird. Es wird davon ausgegangen, dass Verstöße gegen das Völkerrecht eine Frage des Bewusstseins und des Verständnisses sind, für die die Soldaten geschult und an ihre Pflichten erinnert werden.
Die israelischen Angriffe im Gazastreifen und in ganz Palästina können jedoch nicht als isolierte Fehler einzelner Soldaten abgetan werden, die mit mehr Bewusstsein oder besserer Ausbildung korrigiert werden können.
Die palästinensischen humanitären Helfer*innen und das medizinische Personal wurden gerade wegen ihrer Arbeit angegriffen. Die medizinische Versorgung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen überleben und im Gazastreifen bleiben können. Äußerungen israelischer und amerikanischer Politiker haben deutlich gemacht, dass der Verbleib und die Rückkehr der Palästinenser*innen in ihre Häuser nicht in ihre Visionen für ein Gaza nach dem Völkermord passt.
Die Hinnahme von Israels Strategie der hemmungslosen Gewalt und der Kultur der bewussten Straflosigkeit, die sie ermöglicht, erfordert eine ganz andere – und viel proaktivere – Art der Reaktion als die Dokumentation und das Vertrauen auf die Mechanismen der Rechenschaftspflicht, die sich bisher als völlig unwirksam erwiesen haben.
Nur durch die Beendigung ihrer aktiven und passiven Komplizenschaft – und durch den Einsatz aller ihnen zur Verfügung stehenden politischen, wirtschaftlichen und diplomatischen Maßnahmen – werden die Staaten in der Lage sein, der völkermörderischen Gewalt Israels ein Ende zu setzen. Angesichts der Tatsache, dass die Situation in Gaza einen unvorstellbaren Tiefpunkt erreicht hat, sind solche Maßnahmen umso dringender erforderlich, um das palästinensische Volk vor Massenabschlachtung und dauerhafter Vertreibung zu schützen.
James Smith ist Notarzt in London und Dozent für Humanitäre Politik und Praxis am University College London.

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