"Ein neuer Kommandant kam zu uns. Wir gingen mit ihm auf die erste Patrouille nach sechs Uhr morgens. Er blieb stehen. Auf den Straßen war keine Menschenseele zu sehen, nur ein kleiner vierjähriger Junge, der im Sand in seinem Garten spielte. Plötzlich rannte der Kommandant los, packte den Jungen und brach ihm den Arm am Ellbogen und das Bein. Er trat ihm dreimal auf den Bauch und ging weg. Wir standen alle mit offenen Mündern da. Schockiert starrten wir ihn an. Ich fragte den Kommandanten: „Was soll das?“ Er antwortete mir: „Diese Kinder müssen von dem Tag an, an dem sie geboren werden, getötet werden.“ Wenn ein Kommandeur das tut, dann wird es legitim.“
---
„Ein Araber ging einfach die Straße entlang, etwa 25 Jahre alt, er warf keinen Stein, tat nichts. Peng, eine Kugel in den Bauch. Man schoss ihm in den Bauch, und er lag sterbend auf dem Bürgersteig, und wir fuhren gleichgültig davon.“
---
„Es ist wie eine Droge... man hat das Gefühl, dass man das Gesetz ist, dass man die Regeln macht. Als ob man von dem Moment an, in dem man den Ort namens Israel verlässt und den Gazastreifen betritt, Gott ist.“
---
„Ich habe kein Problem mit Frauen. Eine hat einen Pantoffel nach mir geworfen, also habe ich ihr hier einen Tritt verpasst (zeigt auf die Leiste) und alles hier zertrümmert. Sie kann heute keine Kinder bekommen.“
---
„X schoss einem Araber viermal in den Rücken und kam mit dem Argument der Notwehr davon. Vier Schüsse in den Rücken aus einer Entfernung von zehn Metern... kaltblütiger Mord. Wir haben solche Sachen jeden Tag gemacht.“
Alle Aussagen stammen von israelischen Soldaten, gesammelt vom Militärpsychologen Yoel Elizur für den Haaretz-Artikel „'When You Leave Israel and Enter Gaza, You Are God': Inside the Minds of IDF Soldiers Who Commit War Crimes“ (23.12.2024)
Ein moralischer Abgrund.
Kein juristischer Begriff – nicht einmal Völkermord – kann Israels Gräueltaten im Gazastreifen beschreiben.
Von Rob Howse, Novaramedia, 2. Januar 2025
(Originalbeitrag in englischer Sprache)
Seit Oktober letzten Jahres verdichten sich die Beweise, dass Israel im Gazastreifen einen Völkermord begeht. Völkermord hat im internationalen Recht eine genaue Definition: die vorsätzliche Vernichtung eines Volkes „im Ganzen oder in Teilen“. Das Erbe des Holocaust lässt uns an „Völkermord“ als den ultimativen Begriff zur Beschreibung einer solchen Gräueltat denken. Doch die Verwendung dieses juristischen Begriffs allein zur Erklärung und zum Ausdruck der Unmenschlichkeit dessen, was in Gaza geschieht, hat ihre Grenzen. Für mich kann kein juristischer Begriff oder Straftatbestand die Schrecken von Gaza vollständig erfassen. Es ist mehr als Völkermord – es ist ein scham- und hemmungsloses Töten.
Ich beziehe mich hier vor allem auf die feierliche Art und Weise, in der israelische SoldatInnen ihre Zerstörungswut in Gaza auf ihren Smartphones festhalten, eine Praxis, die so allgegenwärtig ist, dass sie sogar die Aufmerksamkeit von Mainstream-Medien wie der Washington Post erregt hat, die Israel normalerweise nur ungern intensiv unter die Lupe nehmen (natürlich bedeutet allgegenwärtig nicht ubiquitär – einige israelische Soldaten haben beim Töten eher gezögert, als darin zu schwelgen). Es ist eine Sache, Kinder vor den Augen ihrer Familien zu töten, heilige Stätten zu zerstören und zu entweihen und sogar die Mittel zum Überleben wie Nahrung und Kleidung zu brandschatzen. Aber dann damit zu prahlen und darüber zu scherzen?
Das moderne Kriegsrecht und die moderne militärische Disziplin beruhen auf der Vorstellung, dass Soldaten mit einer angemessenen Ausbildung, einschließlich einer Unterweisung in humanitärem Recht, Befehle zur Zerstörung und zum Töten ausführen und dabei professionelle Zurückhaltung üben können. Sie können so tödlich sein, wie es zur Erreichung militärischer Ziele erforderlich ist, und gleichzeitig nach einem moralischen und rechtlichen Kodex handeln.
Wie wir jetzt in Afghanistan und im Irak sehen, ist der psychischen Preis für Soldaten, die diese Anforderungen unter einen Hut bringen müssen, enorm – PTBS [Post-Traumatisches Belastungssyndrom, Anm.] scheint die Regel zu sein, nicht die Ausnahme. Wir wissen auch, dass einige Soldaten auf dem Schlachtfeld durchdrehen, spontan Amok laufen und jede Zurückhaltung hinter sich lassen. Bei anderen wiederum ist das nicht der Fall.
Ford Madox Ford, ein englischer Schriftsteller, der die Schützengräben des Ersten Weltkriegs miterlebte, lässt den Erzähler in einer seiner Kurzgeschichten dies so formulieren: „Es gab viele, die über den Grat der Vernunft gingen – aber es gab auch viele, die durch die Gnade Gottes auf dieser Seite des Grates blieben.“ Gewissen und Krieg sind nicht per se unvereinbar. „Sind wir Bestien? Sind wir zu weit gegangen?“ fragte Winston Churchill, als er den Befehl zur Bombardierung ziviler Gebiete in deutschen Städten erteilen sollte. Später vergoss er Tränen über die unschuldigen Opfer seiner eigenen Kriegsstrategie.
Und was ist nun mit den israelischen Führern? Wie Südafrika in den ersten Phasen seiner Völkermordklage gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof dokumentiert hat, haben Israels militärische und politische Führer ihren Soldaten wiederholt befohlen, alles zu zerstören, jede Zurückhaltung aufzugeben – eine Einladung, über den Grat der Vernunft zu gehen, um es mit Madox Fords Worten auszudrücken.
Hier geht es nicht nur um Völkermord. Es geht auch um Legizid – die Zerstörung des gesamten Konzepts der rechtlichen Grenzen im Krieg – sowie um die massive Zerstörung des moralischen Lebens der Soldaten, ihrer Seelen und ihres Gewissens.
Die pervertierte Freude am Töten hat nicht in Gaza begonnen. Dem deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche zufolge kannten die antiken Gesellschaften „die schiere Befriedigung, ohne Skrupel Macht über einen Ohnmächtigen ausüben zu können ... die große Freude und Wonne [der Grausamkeit]“. „Ohne Grausamkeit“, schrieb Nietzsche, „kein Fest“.
Diese uralte menschliche Neigung zur Grausamkeit ist auch nach mehreren Völkermorden und zwei Weltkriegen nicht aus der menschlichen Existenz verschwunden. Unvergesslich sind die grausamen Fotos aus Abu Ghraib – US-Soldaten, die auf Selfies mit den Leichen von Gefangenen lächeln, die von der CIA zu Tode gefoltert wurden. Wie der kürzlich erschienene kanadische Thriller Red Rooms – über einen fiktiven Mann, der seine Ermordung dreier Teenager-Mädchen in einem dunklen Internet-Chatroom übertragen haben soll – uns daran erinnert, gibt es so etwas auch ohne die Bedingungen eines Krieges. Das fröhliche Töten zieht sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte, und egal wie schwerwiegend der Vorwurf auch sein mag, der Völkermord ist nicht der einzige Grund dafür (und auch nicht notwendig – für Hannah Arendt war Eichmann die Banalität des Bösen).
Was treibt israelische Soldaten zu solchen Taten? Vielleicht der nietzscheanische Lust-Trip, die Machtlosen zu eliminieren – vielleicht aber auch andere Dinge. Jack Saul, ein Traumatherapeut und Wissenschaftler, der die psychischen Verletzungen untersucht hat, die Soldaten durch Kriegsgewalt erleiden, hat auf das Bedürfnis der Soldaten hingewiesen, sich gegenseitig zu zeigen, dass sie stark und den ihnen gestellten schrecklichen Aufgabe gewachsen sind – dass sie es „auf die Reihe bekommen können“. Dies könnte einige der lächelnden Selfies vor zerstörten Häusern, Krankenhäusern, Schulen und Moscheen erklären: ein verzweifelter Versuch, die psychische Verletzung zu verdrängen, zu leugnen, dass die eigenen Verbrechen einen von innen heraus zerstören.
In einem Brief an den deutschen Philosophen Karl Jaspers schrieb Arendt um die Zeit des Eichmann-Prozesses, dass Verbrechen des Völkermords „die Grenzen des Rechts sprengen und gerade das ihre Ungeheuerlichkeit ausmacht“.
Wenn heute von Völkermord die Rede ist, ist es sowohl rechtlich als auch moralisch korrekt, die Menschen in Gaza als Hauptopfer hervorzuheben. Doch der Schaden, den Israel an Recht und Moral angerichtet hat, geht über sie hinaus – es hat einen moralischen Abgrund geschaffen, der keinen juristischen Namen hat.
Das humanitäre Völkerrecht kennt zwar Straftatbestände, die Praktiken wie die Erniedrigung von Opfern und die Verletzung ihrer Menschenwürde umfassen. Einiges von dem, was wir auf den Smartphones der israelischen Soldaten sehen, dürfte darauf hinauslaufen. Bei der Strafzumessung vor internationalen Gerichtshöfen kann die Einstellung, mit der Soldaten töten, bis zu einem gewissen Grad berücksichtigt werden – zu den „erschwerenden Faktoren“ gehört „besondere Grausamkeit“.
Aber nichts davon erfasst vollständig oder präzise den Zusammenbruch der Moral, den diese Selfies und die Taten, die sie mit erheiternder Freude dokumentieren, darstellen. Nicht nur das palästinensische Volk wird sich von diesem Völkermord – der mehr als „nur“ ein Völkermord ist – erholen müssen, sondern die gesamte Menschheit selbst.
Rob Howse ist Professor für internationales Recht an der New York University und hat in Harvard, an der Sorbonne, an der Hebräischen Universität Jerusalem und an der London School of Economics gelehrt.
__________________
Hinweis: Der Autor bezieht sich in seinem Beitrag auf folgenden Artikel der Washington Post:
Revenge, fire and destruction: A year of Israeli soldiers’ videos from Gaza
Von Loveday Morris, Sarah Cahlan, Jonathan Baran and Louisa Loveluck; The Washington Post, 3.12.2024
Die Washington Post überprüfte mehr als 120 Fotos und Videos vom Krieg in Gaza, die zwischen Oktober 2023 und Oktober 2024 veröffentlicht wurden. Die meisten davon wurden von Soldaten aufgenommen oder auf ihren persönlichen Konten in den sozialen Medien veröffentlicht. Sie zeigen Soldaten, die Gebäude in die Luft sprengen oder in Brand stecken - und die Zerstörung oft feiern -, zerstörte Gebäude besetzen, Palästinenser verhöhnen und die israelische Umsiedlung des Gazastreifens fordern. Die Post befragte außerdem sieben Soldaten zu ihren Erfahrungen in Gaza und untersuchte öffentliche Kommentare von Kommandeuren.
Comments