Das Abkommen mag die Intensität von Israels Massaker verringern, aber es wird wahrscheinlich eine neue Phase der ethnischen Säuberung einläuten – mit Trumps voller Unterstützung.
Von Tariq Kenney-Shawa, +972Mag in Kooperation mit The Nation, 16. Januar 2025
(Originalbeitrag in englischer Sprache)
Steven Witkoff, der neue Nahost-Beauftragte von Donald Trump, hat sich Berichten zufolge nicht um Höflichkeiten gekümmert, als er die Israelis darüber informierte, dass er am vergangenen Samstag zu einem Treffen mit Premierminister Benjamin Netanjahu eintreffen würde. Als Witkoff erfuhr, dass sein Besuch mit dem Schabbat zusammenfiel, was bedeutete, dass der Premierminister bis zum Abend nicht erreichbar sein würde, stellte er klar, dass der jüdische Feiertag seinen Zeitplan nicht durchkreuzen würde. Netanjahu, dem klar war, was auf dem Spiel stand, begab sich am Nachmittag in sein Büro, um den Gesandten zu treffen, der anschließend nach Katar flog, um weiter auf eine Waffenstillstandsvereinbarung für den Gazastreifen einzuwirken.
Über die Einzelheiten ihres Gesprächs ist wenig bekannt, aber es steht fest, dass es Witkoff gelang, Netanjahu in einem einzigen Treffen zu mehr zu bewegen als die gesamte Regierung Biden in über fünfzehn Monaten. Am 15. Jänner einigten sich Israel und die Hamas auf ein mehrstufiges Waffenstillstandsabkommen, das den Austausch israelischer Geiseln gegen palästinensische Häftlinge und Gefangene sowie den vollständigen Rückzug der Israelis aus dem Gazastreifen vorsieht.
Es ist noch zu früh, um zu sagen, ob diese Vereinbarung Bestand haben wird. Die lange Tradition Israels, Waffenstillstände zu brechen, und die Forderungen israelischer Minister, den Völkermord fortzusetzen, lassen uns skeptisch bleiben. Aber die Nachricht von der Waffenruhe hat Millionen von Menschen in Gaza, die seit über einem Jahr einer Vernichtungskampagne ausgesetzt sind, eine unbeschreibliche Erleichterung gebracht.
Wenn der Waffenstillstand im Gazastreifen hält, wird er das wesentliche Resultat der von der neuen Trump-Administration eingeleiteten Dynamik sein – eine Erinnerung daran, wie leicht Washington Israels Handeln beeinflussen kann, wenn es das tatsächlich will. Präsident Joe Biden, geblendet von seinem Bekenntnis zu einem mythischen Zionismus, der nur in seiner Vorstellung existiert, war nicht bereit zu erkennen, dass der Krieg nicht nur moralisch grotesk ist, sondern auch den amerikanischen und israelischen Interessen in der Region schadet. In vielerlei Hinsicht wurden Israels Völkermord im Gazastreifen und seine Kampagne zur Destabilisierung der Region auch zum eigenen Krieg der Regierung Biden.
Trump agiert ohne dieselben ideologischen Zwänge, und er ist viel mehr darauf bedacht, was er aus einer bestimmten Beziehung gewinnen kann. Trump strebte ein Waffenstillstandsabkommen an, nicht nur, weil es als massiver PR-Coup dienen würde – er kann damit prahlen, dass er ein Problem gelöst hat, das Biden nie lösen konnte, und das zu Recht –, sondern vor allem, weil es seiner Regierung erlauben wird, sich anderen Prioritäten zu widmen, wie etwa der Vermittlung eines Normalisierungsabkommens zwischen Israel und Saudi-Arabien.
Mit anderen Worten: Für den designierten Präsidenten ist ein Waffenstillstand keine Frage des Prinzips oder der Moral, sondern eine Frage der Transaktion. Während Biden zuließ, dass Israels Völkermord im Gazastreifen eine Vielzahl von US-amerikanischen und regionalen Interessen behindert, war Trump entschlossen, alle Hindernisse zu beseitigen, die seiner umfassenderen Agenda im Wege standen.
Aber der designierte Präsident und die Menschen, mit denen er sich umgibt, haben auch deutlich gemacht, dass sie Netanjahus Bereitschaft zur Zusammenarbeit belohnen werden. Wenn der israelische Premierminister den Waffenstillstand auch nur in seiner ersten Phase durchsetzt, wird er eine Rendite für seine Investition erwarten – und der Preis dafür wird eine weitere Massenvertreibung von PalästinenserInnen aus dem Gazastreifen und dem Westjordanland sein.
Ein Geschenksackerl für den Waffenstillstand
Dennoch sollten wir Trump nicht zu viel Anerkennung geben. Es hat sich grundlegend wenig geändert, wenn es um das Druckmittel geht, das er einzusetzen bereit war, um Israels Verhalten zu beeinflussen. Soweit wir wissen, hat Trump nie damit gedroht, die Militärhilfe für Israel zu unterbinden. Er hat auch nicht angedeutet, dass er die Praxis seines Vorgängers, das Völkerrecht zu ignorieren, um Israel vor der Rechenschaftspflicht auf der Weltbühne zu schützen, überdenken würde.
Einige werden argumentieren, dass Trumps Drohungen und der Zusammenbruch mehrerer Widerstandsfronten in der Region die Hamas zu Zugeständnissen im Verhandlungsprozess gezwungen haben. Aber es war nicht die Hamas, die überzeugt werden musste – sie hatte bereits früheren Waffenstillstandsvorschlägen zugestimmt, die von der jetzigen Vereinbarung kaum zu unterscheiden waren und bis Mai 2024 zurückreichten. Letztendlich war es Israel, das den Druck brauchte, und Witkoff signalisierte Netanjahu wahrscheinlich, dass Trump, obwohl er Bidens blinde Loyalität gegenüber Israel nicht teilt, tatsächlich mehr tun würde, um Kooperation zu belohnen.
Die Tatsache, dass Netanjahu bisher davon abgesehen hat, das Waffenstillstandsabkommen wieder aufzukündigen, zeigt, dass er zuversichtlich ist, im Gegenzug etwas Bedeutendes bekommen zu können. Israelische Medien berichten bereits, dass Trumps „Geschenksackerl“ für Netanjahu eine lange Liste von Leckerbissen enthalten könnte, von der Aufhebung der Sanktionen gegen die israelische Spionagesoftware Pegasus der NSO Group und gegen gewalttätige israelische SiedlerInnen bis hin zur Erteilung von Washingtons Segen für einen größeren Landraub im Westjordanland oder eine direkte Annexion und der Erlaubnis oder sogar Erleichterung eines direkten Angriffs auf den Iran.
Aber es geht nicht nur darum, was Israel im Gegenzug für einen Waffenstillstand erhält. Es geht auch darum, was es bereits erhalten hat.
In den acht Monaten seit der ersten Ablehnung eines fast identischen Abkommens, dem die Hamas im Prinzip zugestimmt hatte, hat Israels Armee Zehntausende von PalästinenserInnen abgeschlachtet und große Teile des Gazastreifens zerstört. Dies war der Preis für die Verwirklichung der wahren Ziele Israels: nicht die Beseitigung der Hamas oder die Freilassung der Geiseln – von denen viele getötet wurden, während Israel einen Waffenstillstand hinauszögerte –, sondern die Zerstörung und „Ausdünnung“ des Gazastreifens und die Neugestaltung des Nahen Ostens.
Inzwischen hat Israel den so genannten Plan der Generäle – die ethnische Säuberung des gesamten nördlichen Gazastreifens oberhalb von Gaza-Stadt – weitgehend abgeschlossen. Beit Hanoun, Beit Lahiya und Jabalia, Städte, in denen einst über 300.000 Menschen lebten, wurden in Schutt und Asche gelegt, um das Gebiet zu entvölkern und die israelische Kontrolle zu festigen, während gleichzeitig die Grundlage für den Bau jüdischer Siedlungen geschaffen wurde.
Die Fakten vor Ort im Gazastreifen zeichnen heute ein Bild, das wir noch nicht ganz begreifen können. Die israelischen Streitkräfte haben ganze Stadtviertel zerstört, um die Pufferzone um den Gazastreifen zu erweitern, den Netzarim-Korridor, der das Gebiet in zwei Hälften teilt, auszubauen und die Enklave schließlich für eine Zukunft unter ständiger Kontrolle zu zerschneiden. Auf diese Weise haben sie mehr als 30 Prozent des Gazastreifens aus der Zeit vor dem Völkermord in Besitz genommen und einen Großteil des restlichen Gebiets unbewohnbar gemacht.
Netanjahu ließ das Waffenstillstandsabkommen zu, wohl wissend, dass die Voraussetzungen dafür geschaffen sind, dass Israel sich der Annexion des Westjordanlands, der Konfrontation mit dem Iran und der Festigung seiner Zukunft als umkämpfter Festungsstaat zuwenden kann.
Zementierung einer neuen Realität
Selbst wenn das Waffenstillstandsabkommen nicht über den anfänglichen Zeitraum von 42 Tagen hinaus Bestand haben sollte, wird es zweifellos unzählige Leben retten und den PalästinenserInnen die Möglichkeit geben, zu atmen, zu essen, zu trauern und sich medizinisch behandeln zu lassen. Der stufenweise Ansatz des Abkommens soll es Israel zwar erschweren, das Abkommen zu brechen, doch hängt dies von der Durchsetzung ab. Im Moment steht der Wiederaufnahme der Vernichtung nur eine internationale Gemeinschaft im Wege, die die PalästinenserInnen – sobald der Waffenstillstand greift – schon seit mehr als einem Jahr im Stich gelassen hat.
Wichtige Mitglieder von Netanjahus rechtsextremer Koalition haben bereits gewarnt, dass sie nichts Geringeres als eine Fortsetzung der israelischen Angriffe auf den Gazastreifen nach Abschluss der ersten Phase des Abkommens akzeptieren werden, selbst auf Kosten der verbleibenden Geiseln. Und nachdem er die Lorbeeren für das Zustandekommen des Waffenstillstands geerntet hat, gibt es keine Anzeichen dafür, dass Trump Israel zur Verantwortung ziehen oder Netanjahu unter Druck setzen wird, die zweite und dritte Phase des Abkommens einzuhalten.
Der Waffenstillstand mag zwar das unmittelbare Blutvergießen stoppen, aber er zementiert auch eine neue Realität: Gaza ist ein zerstückeltes, unbewohnbares Gefängnis. Die große Mehrheit der Bevölkerung des Gazastreifens wurde in streng gesicherte und überwachte konzentrierte Lager im Süden und im Zentrum des Streifens gezwungen, wo ihr Überleben von Israels Laune abhängt.
Völkermord wird nicht nur mit Bomben und Kugeln verübt, und er endet auch nicht, wenn die Waffen schweigen. Krankheiten, Unterernährung und Traumata – unbehandelt von einem in Schutt und Asche gelegten Gesundheitssystem – werden noch jahrelang Menschenleben fordern, und es wird Jahrzehnte dauern, das Land nach der Verwüstung und Verpestung wieder bewohnbar zu machen. Und Israel ist noch nicht fertig: Es hat die Voraussetzungen für eine vollständige und dauerhafte ethnische Säuberung des Gazastreifens geschaffen, die von dem jahrhundertealten zionistischen Ethos „maximales Land, ein Minimum an Araber“ geleitet wird.
Dieser Waffenstillstand wird die Intensität des israelischen Mordens verringern, aber er wird wahrscheinlich eine zermürbende neue Phase dieses andauernden Völkermords einläuten, die wir noch nicht ganz begreifen können – eine Phase, die von der neuen Trump-Regierung voll unterstützt wird. Die ethnische Säuberung des Gazastreifens wird möglicherweise nicht in einem Zug erfolgen, sondern eher in einem schrittweisen Prozess, der Gestalt annimmt, wenn wir das Ausmaß von Israels systematischer Zerstörung von allem, was das Leben im Gazastreifen erhält, erfassen.
Unabhängig davon, was die Zukunft bringt, sollten wir uns an die Worte des getöteten Refaat Alareer halten: „Als Palästinenser haben wir nicht versagt, egal, was dabei herauskommt. Wir haben unser Bestes getan. Und wir haben unsere Menschlichkeit nicht verloren ... Wir haben uns ihrer Barbarei nicht unterworfen.“
Tariq Kenney-Shawa ist US Policy Fellow bei Al-Shabaka, einem palästinensischen Think Tank und Politiknetzwerk. Er hat einen Master-Abschluss in internationalen Beziehungen von der Columbia University und einen Bachelor-Abschluss in Politikwissenschaft und Nahoststudien von der Rutgers University. Twitter: @tksshawa.

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