Folter durch und Komplizenschaft von Gesundheitspersonal in israelischen Haftanstalten
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Von Dr. Sara el-Solh, Dr. James Smith, Dr. Amira Nimerawi, Dr. Mads Gilbert, BMJ, 7. November 2025
(Originalbeitrag in englischer Sprache)
Seit 2023 sind mehrere vertrauenswürdige Berichte erschienen, die die Folter und unmenschliche Behandlung von Palästinenser*innen in israelischen Haftanstalten detailliert beschreiben. Seit Oktober 2023 sind mindestens 75 Palästinenser – darunter auch Kinder – während ihrer Haft in israelischen Haftanstalten gestorben oder getötet worden. Diese Berichte schildern anschaulich das Ausmaß der staatlich sanktionierten Gewalt Israels gegen das palästinensische Volk und legen eindeutig wiederholte Verstöße gegen das Völkerrecht offen. Kürzlich freigelassene palästinensische Geiseln, die ohne Anklage festgehalten wurden, berichten von wiederholten Schlägen und schrecklichen Bedingungen in israelischen Gefängnissen und Haftanstalten. Mehrere Berichte äußern außerdem dringende Bedenken hinsichtlich der Rolle israelischer Gesundheitspersonal bei Folterhandlungen und dem Versagen, solche Handlungen zu verhindern.
Folterpraktiken und die Komplizenschaft israelischer medizinischer Fachkräfte
Folter durch israelische Soldat*innen und medizinisches Personal ist nichts Neues. Seit mehreren Jahrzehnten werden diese abscheulichen Taten von unabhängigen Expert*innen der Vereinten Nationen und vielen Menschenrechtsorganisationen, darunter die United Against Torture Coalition, Amnesty International, Human Rights Watch und B’Tselem, ausführlich dokumentiert. Nach eigenen Angaben der israelischen Regierung wurde Folter „systematisch” gegen Palästinenser*innen eingesetzt. Zu den historischen und aktuellen Verstößen gehören extreme physische, psychische und sexuelle Gewalt, die Verweigerung medizinischer Versorgung, Schlafentzug, die Anwendung von längerer Einzelhaft, Angriffe durch Hunde unter der Kontrolle ihrer Hundeführer, das Anurinieren und das längere Fesseln von Gliedmaßen – in einigen Fällen mit Verletzungen, die eine Amputation erforderlich machten – sowie andere Formen extremer und erniedrigender Behandlung.
Nach einem barbarischen Vorfall im Juli 2024 wurden neun israelische Soldaten wegen ihrer gemeinsamen Beteiligung an der Folter und sexuellen Nötigung eines palästinensischen Mannes, der sich in israelischer Haft befand, festgenommen. Der Angriff war so brutal, dass der Mann mit Darmruptur, gebrochenen Rippen und einem Lungentrauma in kritischem Zustand zurückblieb. Trotz monatelanger Berichte der UNO und von investigativen Journalist*innen, in denen die Misshandlung palästinensischer Häftlinge detailliert beschrieben wurde, war dies das erste Mal, dass israelische Soldaten im Zusammenhang mit solchen Verbrechen verhaftet wurden. Gewählte Mitglieder der israelischen Knesset schlossen sich Protesten in Israel zur Unterstützung der Soldaten an, während eine vom israelischen Institut für Nationale Sicherheitsstudien durchgeführte Umfrage ergab, dass 65 Prozent der israelischen Jüdinnen und Juden der Meinung waren, dass die verhafteten Soldaten nicht strafrechtlich verfolgt werden sollten, beides unterstreicht eine tief verwurzelte Kultur der breiten politischen und öffentlichen Unterstützung für solche Gewalt. Die israelische Anwältin Yifat Tomer-Yerushalmi, die das Filmmaterial des Angriffs veröffentlicht hatte, wurde daraufhin verhaftet. Die Regierung und mehrere Politiker warfen der Anwältin vor, Israels Ansehen in der Welt zu schädigen, und stellten Tomer-Yerushalmis Bemühungen, Gewalt strafrechtlich zu verfolgen, als ein Projekt dar, das darauf abziele, den Staat zu untergraben.
Besonders beunruhigend ist die seit langem bekannte und gut dokumentierte Komplizenschaft israelischer Gesundheitsfachkräfte bei Folter, weitreichenden Inhaftierungspraktiken und den allgemeinen Bedingungen der Besatzung und Apartheid. Sowohl The BMJ als auch The Lancet haben bereits über Verstöße berichtet, die insgesamt gegen eine Vielzahl von Gesetzen, Konventionen, Berufsordnungen und den Grundsätzen der medizinischen Ethik verstoßen. Überlebende, die kürzlich aus der Haft entlassen wurden, berichten, dass israelische Gesundheitsfachkräfte gegenüber Häftlingen körperliche Gewalt angewendet, ihnen wissentlich medizinische Behandlung verweigert und ihre Verletzungen vernachlässigt haben.
Israelische Whistleblower haben berichtet, dass Häftlingen im Sde Teiman-Gefangenenlager in Israel während schmerzhafter Eingriffe Schmerzmittel verweigert wurden, während den dort tätigen Ärzten untersagt wurde, ihre Namen auf offiziellen Dokumenten anzugeben. Ein Arzt gab an, dass „die Verantwortlichen befürchteten, identifiziert und wegen Kriegsverbrechen angeklagt zu werden”. Andere berichteten, dass ihnen die Ausbildung für die Behandlungen und Eingriffe fehlte, die sie durchführen mussten. In einem vom New York Times-Team geprüften Strategiepapier des israelischen Gesundheitsministeriums wurde ausdrücklich festgelegt, dass Häftlinge, die im Feldlazarett von Sde Teiman behandelt werden, die Augen verbunden und mit Handschellen an ihre Betten gefesselt werden sollten. Auf der Grundlage umfangreicher Zeug*innenaussagen und Beweise hat Physicians for Human Rights Israel einen Bericht über medizinische Ethik und Palästinenser*innen in Haft erstellt, in dem es zu dem Schluss kommt, dass „die Bedingungen und Standards der medizinischen Versorgung in Sde Teiman einen Tiefpunkt der medizinischen Ethik und Professionalität darstellen“ und „das israelische Gesundheitssystem die zuvor beschriebenen ethischen Verstöße im Zusammenhang mit der medizinischen Behandlung von Häftlingen aus Gaza ermöglicht hat“.
Angriffe auf palästinensische Gesundheitsfachkräfte
Die Gesamtzahl der in israelischen Gefängnissen und Haftanstalten inhaftierten Palästinenser*innen belief sich im Oktober 2025 auf über 9 100. Ein detaillierter Bericht von Healthcare Workers Watch Palestine, der im Juli 2025 veröffentlicht wurde, identifizierte 405 Fälle rechtswidriger Inhaftierung palästinensischer Gesundheitsfachkräfte seit Oktober 2023. Mindestens fünf palästinensische Gesundheitsfachkräfte sind bekanntermaßen im gleichen Zeitraum in israelischer Haft ums Leben gekommen. Unter den Getöteten war Adnan al-Bursh, ein angesehener Orthopäde, der im Dezember 2023 von israelischen Streitkräften rechtswidrig inhaftiert worden war. Er wurde ohne Anklage festgehalten und starb im April 2024 nach schwerer Misshandlung im Gefängnis. Im Oktober 2025 befanden sich mindestens 95 palästinensische Gesundheitsfachkräfte weiterhin in Haft, darunter Hussam Abu Safiyeh, Kinderarzt und Direktor des Kamal-Adwan-Krankenhauses, der im Dezember 2024 von israelischen Streitkräften entführt und rechtswidrig inhaftiert worden war.
Dies sind keine Einzelfälle, sondern müssen im Zusammenhang mit Hinweisen auf eine umfassendere Strategie gesehen werden, die sich gegen medizinisches Fachpersonal richtet und darauf abzielt, das palästinensische Gesundheitssystem zu untergraben und dem palästinensischen Volk größtmöglichen Schaden zuzufügen. Diese Strategie geht über die Inhaftierung und Folterung von medizinischem Personal hinaus und umfasst die Tötung von mehr als 1700 palästinensischen Mitarbeiter*innen des Gesundheitswesens in Gaza seit Oktober 2023 sowie eindeutig dokumentierte Muster der systematischen und gezielten Zerstörung der Gesundheitsinfrastruktur, darunter Krankenhäuser, Kliniken, Krankenwagen und wichtige medizinische Geräte. Diese Handlungen stellen eindeutige Verstöße gegen die Vierte Genfer Konvention dar, die medizinisches Personal während bewaffneter Konflikte schützen soll.
Rechtliche Rahmenbedingungen und ethische Verpflichtungen
Die Beihilfe zur Folter stellt nicht nur einen Verstoß gegen mehrere Rechtsvereinbarungen und ratifizierte Abkommen dar, sondern auch einen schwerwiegenden Verstoß gegen die medizinische Ethik, wodurch die Medizin von einer Handlung der Fürsorge zu einer Handlung der Unterdrückung wird. Internationale Ethikkodizes verbieten eine solche Beteiligung ausdrücklich; die Grundsätze der medizinischen Ethik der Vereinten Nationen betrachten die Beteiligung an Folter als grobe Verletzung, während der Internationale Kodex für medizinische Ethik der Weltärztevereinigung (WMA) bekräftigt, dass Ärzt*innen ihr medizinisches Wissen niemals zur Verletzung der Menschenrechte missbrauchen dürfen. Diese Standards stellen eine klare Verpflichtung zu beruflicher Integrität und ethisch verantwortungsvoller medizinischer Praxis dar.
Dokumentation und institutionelles Schweigen
Trotz jahrzehntelanger umfangreicher Dokumentation, die den systematischen Einsatz von Folter durch den israelischen Staat aufdeckt, wurden diese schweren Verstöße beharrlich ignoriert, was eine Kultur der Straflosigkeit fördert, die wiederholte und eklatante Verletzungen der grundlegenden Menschenrechte des palästinensischen Volkes ermöglicht. Besonders alarmierend ist die dokumentierte Komplizenschaft und in vielen Fällen die aktive Beteiligung israelischer Gesundheitsfachkräfte an Folterhandlungen. Die Israelische Ärztekammer (IMA) hat es versäumt, Vorwürfe der Komplizenschaft unter ihren Mitgliedern zu untersuchen, während die WMA und viele nationale Ärztekammern es versäumt haben, rechtzeitig und entschlossen auf die zunehmenden Beweise für Folter und medizinische Komplizenschaft zu reagieren, die sich nun über mehrere Jahrzehnte erstrecken. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu beachten, dass Ärzteverbände (einschließlich der WMA), verbundene Gewerkschaften und Fachgremien wie Royal Colleges, Gesellschaften und Registrierungsstellen alle die Verantwortung tragen, ethische Verhaltenskodizes für ihre Mitglieder festzulegen, zu fördern und durchzusetzen.
Wir sind der Ansicht, dass es eine Mittäterschaft darstellt, wenn Verstöße nicht rechtzeitig ausdrücklich verurteilt, die Täter nicht klar benannt und keine Rechenschaftspflicht und Abhilfemaßnahmen gefordert werden. Medizinische Einrichtungen wie die WMA, viele nationale medizinische Einrichtungen, Berufsverbände, akademische Einrichtungen, renommierte Fachzeitschriften und andere haben es versäumt, eindeutige Gewaltmuster nachdrücklich zu verurteilen und dagegen vorzugehen. Ihr Versäumnis, die Beziehungen zu mitschuldigen Institutionen abzubrechen und sich den Forderungen nach internationaler Rechenschaftspflicht und Gerechtigkeit anzuschließen, wirft dringende Fragen hinsichtlich Doppelmoral, der Politisierung und selektiven Anwendung der medizinischen Ethik sowie unserer allgemeinen beruflichen Werte als globale Gesundheitsfachkräfte auf.
Die IMA muss dazu gedrängt werden, die Systeme der Gewalt und Unterdrückung, an denen ihre Mitglieder aktiv beteiligt sind oder in anderer Weise mitschuldig sind, anzuerkennen, unabhängig zu untersuchen und – was am wichtigsten ist – sinnvoll in Frage zu stellen. Da die IMA bisher wiederholt untätig geblieben ist, müssen globale Netzwerke medizinischer Einrichtungen wie die WMA unverzüglich den Status der IMA widerrufen und ihre Beziehungen zu israelischen medizinischen Einrichtungen abbrechen, wie dies 1970 mit dem Ausschluss der Ärzteverbände der Apartheidstaaten Südafrika und Rhodesien geschehen ist. Zu diesem Zweck haben die Mitglieder der BMA in einem längst überfälligen Schritt auf der jährlichen Vertreterversammlung im Juni 2025 dafür gestimmt, „die Zusammenarbeit mit der IMA auszusetzen“, allerdings mit der Einschränkung, dass dies nur „bis zur Bekräftigung der medizinischen Neutralität und der Verurteilung der Angriffe auf das Gesundheitswesen in Gaza“ gilt.
Die Kultur der Straflosigkeit, die es ermöglicht hat, dass eklatante, wiederholte Rechtsverletzungen fortbestehen, muss beendet werden. Die Tausenden von Palästinenser*innen, die in israelischen Haftanstalten festgehalten werden, müssen unverzüglich freigelassen und mit der erforderlichen medizinischen Versorgung unterstützt werden. Unter ihnen befinden sich mindestens 95 palästinensische Mitarbeiter*innen des Gesundheitswesens, deren Gesundheit und Sicherheit weiterhin bedroht sind.
Es darf keinen Platz für den Missbrauch der Medizin als Mittel der staatlichen Unterdrückung und Gewalt geben. Solche Praktiken stellen eine abscheuliche Verletzung unserer beruflichen Werte und Pflichten dar und sind grobe Verstöße gegen das Grundrecht unserer palästinensischen Kolleg*innen auf Leben, Gesundheit und Würde. Folter zerstört nicht nur das Leben ihrer Opfer, sondern die Beteiligung und Komplizenschaft von Gesundheitspersonal an solchen Handlungen untergräbt auch die Integrität der Gesundheitsberufe und all jener Personen und Institutionen, die dies ermöglichen. Angesichts solcher Verstöße haben wir die moralische und rechtliche Verpflichtung, nicht nur unsere Stimme zu erheben, sondern auch zu handeln.
Dr. Sara el-Solh, Medact, London, UK
Dr. James Smith, Centre for Humanitarianism and Social Inclusion, Institute of Epidemiology and Health Care, University College London, UK
Dr. Amira Nimerawi, Health Workers for Palestine, London, UK
Dr. Mads Gilbert, University Hospital of North Norway, Tromsoe, Norway




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