„Für die Frauen, die im Dunkeln geboren haben“: Ein Porträt der Mutterschaft in Gaza
- office16022
- vor 3 Tagen
- 4 Min. Lesezeit
Diana Shams hat ein Buch geschrieben, weil „niemand erklärt, wie man sein Baby durch Feuer, Hunger und Angst trägt – und ihm trotzdem noch vor dem Schlafengehen etwas vorsingt“.
Von Aseel Mousa, The Guardian, 8. November 2025
(Originalbeitrag in englischer Sprache)
Früher machte sie sich Gedanken über die Bildschirmzeit. Früher sorgte sie sich um Zucker. Früher grübelte sie darüber nach, welche Zeichentrickfigur die richtige für die nächste Geburtstagstorte ihres Sohnes sein könnte.
„Ich dachte, Mutter zu sein bedeute schlaflose Nächte, wählerische Esser, Schulwege, unordentliche Zimmer und zu viel Wäsche“, schreibt die Autorin Diana Shams. „Früher dachte ich, Mutterschaft sei schwer.“
Das war vor Beginn des Krieges, der Gaza zerstört hat. Mehr als 68 000 Menschen wurden getötet, die meisten davon Zivilist*innen, und ganze Städte wurden durch die Offensive Israels, die laut einer Untersuchung der Vereinten Nationen einen Völkermord darstellt, in Schutt und Asche gelegt.
Während einer Waffenruhe Anfang 2025 kehrten Shams und ihre Familie in ihr Haus zurück und begannen, Trümmer wegzuräumen und Reparaturen durchzuführen. Eine ihrer Freundinnen im Ausland schlug ihr vor, ein Buch über ihre Erfahrungen als Mutter zu schreiben. Da ihr Laptop unter den Trümmern ihres Familienhauses verloren gegangen war, schrieb sie es auf ihrem Handy.
In ihrem Buch „A Different Kind of Motherhood“ erzählt die 27-jährige Shams die Geschichte ihres Lebens als Mutter angesichts von Gewalt und fast ständiger Gefahr. „Niemand bereitet dich darauf vor, Kinder inmitten von Sirenen, Rauch und Schreien großzuziehen. Niemand bringt dir bei, wie du ein Kind beruhigen kannst, während der Himmel einstürzt. Niemand erklärt dir, wie du dein Baby durch Feuer, Hunger und Angst tragen und ihm trotzdem noch ein Schlaflied singen kannst“, schreibt sie.
Shams' Buch gibt keine Antworten auf diese unbeantwortbaren Fragen, sondern schildert stattdessen die Erfahrungen ihrer Familie sowie anderer palästinensischer Mütter, die sie kannte und die ihre Kinder verloren haben oder getötet wurden.
„Ich habe dieses Buch nicht nur für mich selbst geschrieben“, so Shams, „sondern für jede Mutter in Gaza, die ihr Baby in den Armen hielt, während die Decke bebte. Für die Frauen, die in Notunterkünften, im Dunkeln und ohne Medikamente geboren haben. Für die Mütter, die ein Kind verloren haben und weitergelebt haben – weil sie keine andere Wahl hatten. Weil es andere gab, die sie beschützen mussten.“
Das Leben vor dem Krieg war für Shams und ihre kleine Familie keineswegs normal. Der belagerte Gazastreifen war weithin als das größte Freiluftgefängnis der Welt bekannt. Trotz der Belagerung führte sie ein Leben, das in vielen kleinen Details nach Normalität strebte. Shams und ihr Mann lebten bei ihren Schwiegereltern, als ihr erstes Kind, Karim, zur Welt kam, aber sie sparten und liehen sich Geld, um ein eigenes Haus zu kaufen. Sie strichen ihr neues Zuhause rechtzeitig für ihr zweites Kind, Rose, die Anfang 2023 geboren wurde. Sieben Monate später, einen Tag nach Beginn des jüngsten Krieges, mussten sie fliehen, nachdem das Haus eines Nachbarn bombardiert worden war. Sie zogen mehrmals um, bevor sie schließlich in den Süden gingen und in ihrem Auto schliefen, bis ein Zelt verfügbar war. Seitdem leben sie in einem Zelt.
„Manchmal, wenn ich nicht schlafen konnte, dachte ich an Mütter in anderen Ländern - Mütter im Ausland, die ihre Kinder in komfortablen Häusern großziehen, mit einem Kühlschrank voller kaltem Wasser, die einen Knopf drücken und ein Ventilator oder eine Klimaanlage kühlt den Raum“, schreibt sie. „Mütter, die ihre Kinder in weiche Betten mit sauberen Laken stecken und ihnen zusehen, wie sie ohne Angst einschlafen.“ In einem Telefonat aus Gaza sagt Shams, dass selbst die Nachrichtenberichte, die die Menschen sehen, nicht vollständig widerspiegeln können, was die Menschen in Gaza tatsächlich durchleben, insbesondere Mütter. „Wer kann verstehen, was es für meine Tochter Rose bedeutet, ihre ersten Schritte in Schlamm und Dreck zu machen?“, sagt sie.
Shams hatte nicht vor, ein Buch zu schreiben, sondern sammelte ihre Gedanken, indem sie Notizen auf ihrem Handy machte. „Dieses Buch ist nicht in Ruhe geschrieben worden. Es ist in gestohlenen Momenten zwischen Überleben und Trauer geschrieben worden, in den stillen Stunden, wenn meine Kinder endlich schlafen und die Last von allem auf mich einstürzte“, schreibt sie in ihrem Buch.
Ihr Vater war Journalist, und Shams fand auch Trost darin, ihr tägliches Leben auf TikTok zu dokumentieren – das Kochen über dem Feuer, die Suche nach Babymilch und Windeln und das Spielen ihrer Kinder im Sand.
„In einer regnerischen Nacht – vor dem Krieg habe ich den Regen geliebt – habe ich fast den Verstand verloren, als unser Zelt überflutet wurde“, berichtet sie. „Alles war durchnässt und ich hatte große Angst, dass meine Kinder krank werden könnten. Ich griff nach meinem Handy und nahm ein Video auf.“ Sie war überrascht, als das Video viral ging und sie viel Mitgefühl und unterstützende Kommentare von westlichen Zuschauer*innen erhielt. „Ich war von jedem Wort berührt, das die Menschen zur Unterstützung für mich geschrieben haben. Da wurde mir klar, dass ich eine Stimme für alle Mütter in Gaza sein muss, die keine haben“, so Shams.
Soziale Medien bieten einigen Menschen in Gaza ein Ventil, erinnern aber auch an ein grausames Ungleichgewicht, da diejenigen, die mit Tod und Zerstörung konfrontiert sind, in Echtzeit das einfachere Leben der Menschen in ihrer Umgebung sehen können. „In anderen Ländern machen sich Mütter Gedanken über Hausaufgaben, Noten und Bildschirmzeit. Sie besuchen Schulen, wählen Nachhilfelehrer*innen aus und planen den Weg zur Universität“, schreibt sie in ihrem Buch. „Sie posten Fotos vom ‚ersten Schultag‘ und dekorieren Lunchboxen. Hier hoffen wir nur, dass unsere Kinder lange genug überleben, um wieder einen ersten Schultag zu erleben.“
„A Different Kind of Motherhood“ von Diana Shams ist als E-Book erhältlich




Kommentare