Israels Ökozid in Gaza sendet folgende Botschaft: Selbst wenn wir keine Bomben mehr abwerfen, so könnt ihr hier nicht überleben.
- office16022
- vor 6 Tagen
- 5 Min. Lesezeit
Betrachtet man die Vernichtung landwirtschaftlicher Flächen neben dem Völkermord, dann begreift man auch die erschreckende Gesamtheit des Versuchs, alles Leben auszulöschen.
Von George Monbiot, The Guardian, 27. September 2025
(Originalbeitrag in englischer Sprache)
Ein landloses Volk und ein menschenleeres Land: Das scheinen die Ziele der israelischen Regierung in Gaza zu sein. Es gibt zwei Mittel, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen. Das erste ist die Massenvernichtung und Vertreibung der Palästinenser*innen. Das zweite ist die Unbewohnbarmachung des Landes. Neben dem Verbrechen des Völkermords vollzieht sich ein weiteres großes Grauen: der Ökozid.
Während die Zerstörung von Gebäuden und Infrastruktur in Gaza in jedem Video sichtbar ist, das wir sehen, ist die parallele Zerstörung von Ökosystemen und Lebensgrundlagen weniger sichtbar. Vor den Gräueltaten vom 7. Oktober, die den aktuellen Angriff auf Gaza auslösten, wurden etwa 40 Prozent des Landes landwirtschaftlich genutzt. Trotz seiner extremen Bevölkerungsdichte war Gaza weitgehend autark in Bezug auf Gemüse und Geflügel und deckte einen Großteil des Bedarfs der Bevölkerung an Oliven, Obst und Milch. Im vergangenen Monat berichtete die UNO jedoch, dass nur noch 1,5 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche zugänglich und unbeschädigt sind. Das sind etwa 200 Hektar – die einzige noch verbleibende Fläche, die direkt zur Ernährung von mehr als 2 Millionen Menschen zur Verfügung steht.
Ein Grund dafür ist die systematische Zerstörung von Ackerland durch das israelische Militär. Bodentruppen haben Gewächshäuser zerstört, Bulldozer haben Obstgärten umgepflügt, Ernten vernichtet und den Boden zertrümmert, und Flugzeuge haben Herbizide über die Felder gesprüht.
Die israelischen Streitkräfte rechtfertigen diese Angriffe mit der Behauptung, dass „die Hamas häufig von Obstgärten, Feldern und landwirtschaftlichen Flächen aus operiert“. Und offenbar auch von Krankenhäusern, Schulen, Universitäten, Industriegebieten und allen anderen Ressourcen, auf die die Palästinenser*innen angewiesen sind. Um die Zerstörung zu rechtfertigen, muss die israelische Armee lediglich behaupten, dass die Hamas von dem Ort aus operiert hat oder operieren könnte, den sie zerstören will. Und wenn es keine Beweise gibt – sorry, zu spät.
Die Armee erweitert stetig die „Pufferzone“ entlang der östlichen Grenze des Gazastreifens, in der sich zufällig ein Großteil der landwirtschaftlichen Flächen des Gazastreifens befindet. Wie der Menschenrechtsexperte Hamza Hamouchene betont, verwandelt sie fruchtbares und produktives Land in Wüste, anstatt „die Wüste zum Blühen zu bringen“ – ein Hauptpfeiler der israelischen Staatspropaganda.
Die israelische Regierung fällt seit Jahrzehnten die alten Olivenbäume der Palästinenser*innen, um ihnen ihre Lebensgrundlage zu entziehen, sie zu demoralisieren und ihre Verbindung zum Land zu zerstören. Oliven sind sowohl materiell von entscheidender Bedeutung, da sie 14 Prozent der palästinensischen Wirtschaft ausmachen, als auch symbolisch wichtig: Ohne Olivenbäume kann es keinen Olivenzweig geben. Israels Politik der verbrannten Erde in Verbindung mit seiner Blockade der Lebensmittelversorgung garantiert eine Hungersnot.
Der Angriff der israelischen Streitkräfte auf Gaza hat außerdem zu einem Zusammenbruch der Abwasseraufbereitung geführt. Ungeklärtes Abwasser überschwemmt das Land, sickert in Grundwasserleiter ein und vergiftet die Küstengewässer. Das Gleiche gilt für die Entsorgung fester Abfälle: Berge von Müll verrotten und schwelen nun zwischen den Trümmern oder werden auf informelle Mülldeponien gekippt, wo sie Schadstoffe freisetzen. Vor dem aktuellen Angriff hatten die Menschen in Gaza Zugang zu etwa 85 Litern Wasser pro Person und Tag, was zwar wenig ist, aber dem empfohlenen Mindestbedarf entspricht. Im Februar dieses Jahres war der Durchschnitt auf 5,7 Liter gesunken. Der wichtige Küstenaquifer [Ein Küstenaquifer ist eine Grundwasserschicht unter Küstengebieten, die Süßwasser speichert und als wichtigste Trinkwasserquelle dient, Anm.] von Gaza ist zusätzlich durch die Flutung der Hamas-Tunnel mit Meerwasser durch die israelische Armee bedroht: Ab einem bestimmten Punkt macht das Eindringen von Salz den Aquifer unbrauchbar.
Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen schätzte im vergangenen Jahr, dass auf jedem Quadratmeter in Gaza durchschnittlich 107 kg Trümmer von Bombardierungen und Zerstörungen lagen. Ein Großteil dieser Trümmer ist mit Asbest, Blindgängern, menschlichen Überresten und den durch Waffen freigesetzten Giftstoffen vermischt. Munition enthält Metalle wie Blei, Kupfer, Mangan, Aluminiumverbindungen, Quecksilber und abgereichertes Uran. Es gibt glaubwürdige Berichte darüber, dass die israelische Armee illegal weißen Phosphor einsetzt: eine abscheuliche chemische und brandstiftende Waffe, die auch eine weitreichende Kontamination von Boden und Wasser verursacht. Das Einatmen von giftigem Staub und Rauch hat erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen.
Zusätzlich zu den verheerenden unmittelbaren Auswirkungen auf das Leben der Menschen in Gaza sind die CO2-Emissionen des israelischen Angriffs astronomisch hoch: eine Kombination aus enormen direkten Emissionen, die durch den Krieg verursacht werden, und den erschreckenden Klimakosten für den Wiederaufbau Gazas (falls dieser jemals genehmigt wird) – allein der Wiederaufbau würde Treibhausgase in einer Menge produzieren, die den jährlichen Emissionen eines mittelgroßen Landes entspricht.
Wenn man den Ökozid neben dem Völkermord betrachtet, beginnt man, die Gesamtheit der Versuche des israelischen Staates zu begreifen, sowohl die Palästinenser*innen als auch ihre Heimat zu vernichten. Wie der palästinensische Ökologe Mazin Qumsiyeh argumentiert: „Die Umweltzerstörung ist kein Zufall – sie ist absichtlich, langwierig und zielt darauf ab, die ökologische Standhaftigkeit (eco-sumud) des palästinensischen Volkes zu brechen.“
Ich habe im Laufe der Jahre nur sehr wenig über die Umweltauswirkungen von Streitkräften geschrieben, da ich der Meinung bin, dass man Entscheidungsträger, die nicht davon überzeugt werden können, dass das Töten von Menschen falsch ist, auch niemals davon überzeugen kann, dass das Töten anderer Lebensformen ebenfalls falsch ist. Ich glaube, dass viele andere genauso denken, was ein Grund dafür ist, dass das Militär tendenziell von der Umweltkontrolle ausgenommen ist, der andere Sektoren unterliegen. Aber selbst in Friedenszeiten ist sein ökologischer Fußabdruck enorm. Das Conflict and Environment Observatory schätzt, dass die Streitkräfte weltweit etwa 5,5 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verursachen. Doch aufgrund der Lobbyarbeit der US-Regierung sind sie von der Meldepflicht im Rahmen des Pariser Klimaabkommens ausgenommen. Auch für ihre vielfältigen anderen Umweltschäden, von Entwaldung über Umweltverschmutzung und Bodenzerstörung bis hin zu unkontrollierter Müllentsorgung, werden sie nicht angemessen zur Rechenschaft gezogen.
Niemand, der sich für dieses Thema interessiert, fordert „grüne Kugeln“ oder „grüne Bomben“, aber immer wieder versuchen Militärforscher*innen und Verteidigungsministerien uns davon zu überzeugen, dass sie Menschen nun auf nachhaltige Weise in Stücke sprengen können. Seit vielen Jahren weisen Umweltaktivist*innen darauf hin, dass Frieden und Umweltschutz Hand in Hand gehen müssen. Krieg ist für Ökosysteme ebenso verheerend wie für Menschen, und Umweltzerstörung ist eine der Hauptursachen für Krieg.
Für die israelische Regierung scheint die Auslöschung von Ökosystemen und der Lebensgrundlagen der Menschen ein zentrales strategisches Ziel zu sein. Sie scheint das anzustreben, was manche als „Holozid“ bezeichnen: die vollständige Zerstörung aller Aspekte des Lebens in Gaza. Auch ohne ein spezifisches Gesetz zum Ökozid, das viele von uns fordern, verstößt die Zerstörung der palästinensischen Ökosysteme eindeutig gegen Artikel 8 des Römischen Statuts und sollte neben dem schweren Verbrechen des Völkermords berücksichtigt werden.
Aber wenn der letztendliche Plan darin besteht, eine „Gaza-Riviera“ oder ein ähnliches Projekt zu schaffen, um eine unheimliche Elite-Technopolis zu errichten, die ihres Ortes und ihrer Geschichte beraubt ist, wie sie Donald Trump und einige hochrangige israelische Politiker bevorzugen – nun, wer braucht dafür schon Bäume, Boden oder Getreide? Für die Täter entstehen keine Kosten. Zumindest nicht, bis sie vor Gericht gestellt werden.
George Monbiot (*1963) ist ein britischer Journalist, Autor, Universitätsdozent, Umweltschützer und politischer Aktivist. Seine Kolumne erscheint wöchentlich in der Zeitung The Guardian.

Kommentare