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Mindestens 135 verstümmelte Leichen von Palästinensern wurden in einem berüchtigten israelischen Gefängnis festgehalten, sagen Behördenvertreter in Gaza

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  • 27. Okt.
  • 5 Min. Lesezeit

Aus den Dokumenten geht hervor, dass sie aus Sde Teiman stammen, wo bereits Vorwürfe wegen Folter und rechtswidriger Tötungen erhoben wurden.


Von Lorenzo Todo und Seham Tantesh, The Guardian, 20. Oktober 2025


(Originalbeitrag in englischer Sprache)

 

Mindestens 135 verstümmelte Leichen von Palästinensern, die von Israel nach Gaza zurückgebracht wurden, waren in einem berüchtigten Gefangenenlager untergebracht, gegen das bereits Vorwürfe wegen Folter und rechtswidriger Todesfälle in Haft erhoben worden waren, wie Sprecher des Gesundheitsministeriums in Gaza gegenüber dem Guardian angaben.

Der Generaldirektor des Gesundheitsministeriums, Dr. Munir al-Bursh, und ein Sprecher des Nasser-Krankenhauses in Khan Younis, wo die Leichen untersucht werden, sagten, dass ein Dokument, das in jedem Leichensack gefunden wurde, darauf hindeute, dass alle Leichen aus Sde Teiman stammten, einer Militärbasis in der Negev-Wüste, wo laut Fotos und Zeugenaussagen, die der Guardian im vergangenen Jahr veröffentlicht hatte, palästinensische Häftlinge in Käfigen festgehalten, mit verbundenen Augen und Handschellen gefesselt, an Krankenhausbetten gekettet und gezwungen wurden, Windeln zu tragen.

„Die Dokumentenetiketten in den Leichensäcken sind auf Hebräisch verfasst und weisen eindeutig darauf hin, dass die Leichen in Sde Teiman aufbewahrt wurden“, sagt Bursh. „Die Etiketten zeigten auch, dass an einigen von ihnen dort bereits DNA-Tests durchgeführt worden waren.“

Im vergangenen Jahr leitete die israelische Armee eine strafrechtliche Untersuchung zum Tod von 36 Gefangenen, die in Sde Teiman inhaftiert waren, ein. Die dauern noch an. Im Rahmen des von den USA vermittelten Waffenstillstands in Gaza hat die Hamas die Leichen einiger der während des Krieges getöteten Geiseln übergeben, und Israel hat bisher die Leichen von 150 Palästinensern überführt, die nach dem Angriff vom 7. Oktober 2023 getötet wurden.

Einige der Fotos von palästinensischen Leichen, die dem Guardian vorliegen – und die aufgrund ihrer drastischen Natur nicht veröffentlicht werden können –, zeigen mehrere der Opfer mit verbundenen Augen und hinter dem Rücken gefesselten Händen. Ein Bild zeigt ein Seil, das um den Hals eines Mannes gebunden ist.

Ärzte in Khan Yunis berichten, dass offizielle Untersuchungen und Beobachtungen vor Ort „eindeutig darauf hindeuten, dass Israel Morde, summarische Hinrichtungen und systematische Folterungen an vielen Palästinensern verübt hat“. Gesundheitsbeamte sagten, dass die dokumentierten Befunde „eindeutige Anzeichen für direkte Schüsse aus nächster Nähe und unter israelischen Panzerketten zerquetschte Leichen“ enthielten.

Eyad Barhoum, Verwaltungsdirektor des Nasser-Krankenhauskomplexes, sagt, die Leichen trügen „keine Namen, sondern nur Codes“, und dass ein Teil des Identifizierungsprozesses bereits begonnen habe.

Es gibt zwar zahlreiche Hinweise darauf, dass viele der zurückgegebenen toten Palästinenser hingerichtet wurden, doch ist es viel schwieriger festzustellen, wo die Opfer getötet wurden. Sde Teiman ist eine Lagerstätte für Leichen aus Gaza, aber auch ein Gefangenenlager, das für Todesfälle in Gefangenschaft berüchtigt ist. Menschenrechtsaktivist*innenen fordern eine Untersuchung, um herauszufinden, ob dort Tote zu beklagen sind und wenn ja, wie viele.

Die Leiche des 34-jährigen Mahmoud Ismail Shabat aus dem Norden Gazas wies Spuren von Erhängen um den Hals auf, seine Beine waren von Panzerketten zerquetscht, was darauf hindeutet, dass er in Gaza getötet oder verletzt wurde und seine Leiche später nach Sde Teiman gebracht wurde. Sein Bruder Rami, der die Leiche seines Bruders anhand der Narbe einer früheren Kopfoperation identifizierte, sagt: „Was uns am meisten schmerzte, war, dass seine Hände gefesselt waren und sein Körper deutliche Spuren von Folter aufwies.“

„Wo ist die Welt?“, sagte Shabats Mutter. „Alle unsere Geiseln kehrten gefoltert und gebrochen zurück.“

Einige palästinensische Ärzte sagen, dass die Tatsache, dass viele der Leichen mit verbundenen Augen und gefesselt waren, darauf hindeutet, dass sie während ihrer Haft in Sde Teiman gefoltert und dann getötet wurden – wo Israel laut israelischen Medienberichten und Aussagen von Whistleblowern aus dem Gefängnis fast 1 500 Leichen von Palästinensern aus Gaza festhält.

Ein Informant, der mit dem Guardian sprach und die Haftbedingungen in Sde Teiman miterlebt hatte, sagt: „Ich habe gesehen, wie ein Patient aus Gaza mit einer Schusswunde in der linken Brust eingeliefert wurde. Er war ebenfalls mit verbundenen Augen und Handschellen gefesselt und nackt, als er in der Notaufnahme ankam. Ein weiterer Patient mit einer Schusswunde am rechten Bein wurde unter ähnlichen Umständen in mein Krankenhaus eingeliefert.“

Ein anderer Whistleblower hat zuvor beschrieben, wie Patienten, alle aus Gaza, mit Handschellen an die Betten gefesselt wurden. Sie waren alle mit Windeln bekleidet und hatten Augenbinden.

Ihm wurde gesagt, dass einige Patienten aus Krankenhäusern in Gaza gekommen seien. „Das waren Patienten, die während ihrer Behandlung in Krankenhäusern in Gaza von der israelischen Armee gefangen genommen und hierher gebracht worden waren. Sie hatten Gliedmaßen und infizierte Wunden. Sie stöhnten vor Schmerzen.“

Er berichtete weiters, das Militär habe keine Beweise dafür, dass alle Inhaftierten Mitglieder der Hamas seien, und einige Insassen hätten wiederholt gefragt, warum sie dort seien.

In einem Fall, so berichtete er, habe er erfahren, dass einem Häftling die Hand amputiert worden sei, „weil die Handgelenke aufgrund von Verletzungen durch Handschellen gangränös geworden waren“.

Shadi Abu Seido, ein palästinensischer Journalist aus Gaza, der für Palestine Today arbeitet und nach 20 Monaten Haft in Sde Teiman und einem anderen israelischen Gefängnis freigelassen wurde, sagte, er sei am 18. März 2024 von israelischen Streitkräften im Al-Shifa-Krankenhaus verschleppt worden.

„Sie haben mich zehn Stunden lang in der Kälte komplett nackt ausgezogen“, sagte er in einem Videointerview, das vom türkischen öffentlich-rechtlichen Sender TRT auf Instagram veröffentlicht wurde. „Dann wurde ich nach Sde Teiman gebracht und dort 100 Tage lang festgehalten, während ich mit Handschellen gefesselt und mit verbundenen Augen war. Viele starben in Haft, andere verloren ihren Verstand. Einigen wurden Gliedmaßen amputiert. Sie wurden sexuell und körperlich missbraucht. Sie brachten Hunde mit, die auf uns urinierten. Als ich fragte, warum ich verhaftet worden sei, antworteten sie: ‚Wir haben alle Journalisten getötet. Sie sind einmal gestorben. Aber wir haben dich hierher gebracht, und du wirst hunderte Male sterben.‘“

Naji Abbas, Leiter der Abteilung für Gefangene und Häftlinge bei Physicians for Human Rights Israel (PHRI), sagte: „Die Spuren von Folter und Misshandlung, die an den Leichen der Palästinenser gefunden wurden, die kürzlich von Israel nach Gaza zurückgebracht wurden, sind erschreckend - aber leider keineswegs überraschend. Diese Erkenntnisse bestätigen, was Physicians for Human Rights Israel in den letzten zwei Jahren über die Zustände in israelischen Haftanstalten – insbesondere im Lager Sde Teiman – aufgedeckt hat, wo Palästinenser systematisch von Soldaten und Gefängniswärtern gefoltert und getötet wurden.“

PHRI erklärte weiters: „Die beispiellose Zahl von Palästinensern, die in israelischer Haft gestorben sind, zusammen mit den dokumentierten Beweisen für Todesfälle infolge von Folter und medizinischer Vernachlässigung – und nun die Erkenntnisse über die zurückgebrachten Leichen – lassen keinen Zweifel: Es ist dringend eine unabhängige internationale Untersuchung erforderlich, um die Verantwortlichen in Israel zur Rechenschaft zu ziehen.“

The Guardian legte Fotos der Leichen einem israelischen Arzt vor, der ebenfalls Zeuge der Behandlung von Gefangenen im Feldlazarett in Sde Teiman war. Unter der Bedingung der Anonymität sagte der Arzt, eines der Bilder „zeigt, dass dem Mann wahrscheinlich mit Kabelbindern die Hände gefesselt waren. Es gibt eine Farbveränderung zwischen den Armen und den Händen auf Höhe der Kabelbinder, was wahrscheinlich auf ischämische [minderdurchblutete, Anm.] Veränderungen aufgrund übermäßiger Fesselung hindeutet.“

Er fügte hinzu: „Es könnte sich um jemanden handeln, der entweder verletzt und gefangen genommen wurde (und somit in israelischer Haft starb) oder um jemanden, der aufgrund von Verletzungen starb, die ihm nach seiner Gefangennahme zugefügt wurden.“

Dr. Morris Tidball-Binz, ein auf Forensik spezialisierter Arzt und UN-Berichterstatter, sagte: „Es sollte ein Aufruf zu unabhängiger und unparteiischer forensischer Unterstützung erfolgen, um die Bemühungen zur Untersuchung und Identifizierung der Toten zu unterstützen.“

Auf die Vorwürfe der Folter angesprochen, erklärte die israelische Armee, sie habe den israelischen Strafvollzugsdienst gebeten, Ermittlungen einzuleiten. Der Strafvollzugsdienst reagierte nicht auf eine Bitte um Stellungnahme.

Zu den mutmaßlichen Misshandlungen in Sde Teiman und der Folter von Gefangenen erklärte die israelische Armee zuvor, sie behandle die Häftlinge „angemessen und sorgfältig“ und „jeder Vorwurf bezüglich Fehlverhaltens von Soldaten der israelischen Armee werde untersucht und entsprechend behandelt. In geeigneten Fällen werden strafrechtliche Ermittlungen durch die Militärpolizei eingeleitet.“

Auf die Frage, ob die palästinensischen Leichen aus Sde Teiman stammten, erklärte die IDF, sie „äußere sich nicht zu dieser Angelegenheit“.

Nach Angaben der Vereinten Nationen sind seit dem 7. Oktober 2023 mindestens 75 palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen gestorben.


ree

 

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