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„Mit jeder Stunde wächst die Gefahr“: Ein Bericht aus dem Al-Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt

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  • 30. Sept.
  • 5 Min. Lesezeit

Die israelische Armee hat während ihrer Militäroffensive auf Gaza-Stadt wiederholt Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen angegriffen.


Von Abdel Qader Sabbah und Sharif Abdel Kouddous, Dropsite News, 29. September 2025

(Originalbeitrag in englischer Sprache und dazugehörendem Bildmaterial)

 

GAZA-STADT – In der überfüllten Notaufnahme des Al-Shifa-Krankenhauses liegen am Samstag verwundete Männer, Frauen und Kinder auf Metallbetten und stöhnen vor Schmerzen. Einige liegen auf dem blutverschmierten Boden und sind nur mit Lumpen verbunden. Ein Mann hält einen Infusionsbeutel in der Hand für einen verletzten Patienten auf dem Boden. Ein Baby, kaum ein paar Monate alt, mit blutverschmiertem Gesicht und blauen Flecken an den Beinen, kämpft um sein Leben. Auf einem nahe gelegenen Feldbett weint ein Mann, während er den Leichnam eines jungen Mädchens umarmt hält, das in Jeans und einem schwarzen Oberteil tot daliegt.

Die Lage im Al-Shifa-Krankenhaus ist katastrophal geworden, da das israelische Militär eine ethnische Säuberungskampagne in Gaza-Stadt durchführt, mit unerbittlichen Luftangriffen, wiederholten Angriffen auf Gesundheitseinrichtungen und israelischen Panzern und Truppen, die immer tiefer in die Stadt vordringen.


Krankenwagen treffen in einem stetigen Strom vor dem Krankenhaus ein und bringen Tote und Verwundete. Sanitäter bringen Leichen in Leichensäcken und legen sie in einer Reihe vor dem Eingang des Krankenhauses auf den Boden, darunter ein kleines Kind, das bis zur Unkenntlichkeit verkohlt und in eine Plane gewickelt ist. Ein großes verlassenes Lagerhaus innerhalb der Anlage ist mit Metallpritschen und leeren Vorratsschränken gefüllt.


Adam Mohammad Abu Karsh liegt verwundet auf einem Bett im Flur und kann kaum sprechen, ohne Versorgung durch das überforderte medizinische Personal. „Ich bin mit meiner Familie in das Café am Meer gegangen, um etwas zu unternehmen. Ein Panzer hat angefangen, auf uns zu schießen. Mein Cousin und ich wurden verletzt. Sie haben mich hierher ins Al-Shifa-Krankenhaus gebracht“, erzählt Abu Karsh Drop Site und verzieht vor Schmerz das Gesicht. „Ich habe Granatsplitter im Körper. Die Operation sollte eigentlich vor zwei Stunden stattfinden“, sagt er, ehe ihn die Schmerzen überwältigen.


Draußen auf den Straßen rund um Al-Shifa steigt dichter schwarzer Rauch von Luftangriffen in der Nähe in die Luft, während Drohnen laut über uns summen. Trümmer und zerstörte Gebäude umgeben das Krankenhaus, daneben stehen mehrere Zelte und provisorische Unterkünfte aus Stoff und Planen.


Yasmin Bakr, eine Mutter aus Gaza-Stadt, floh mit ihrer Familie in den Süden, wo sie auf der Straße leben, da sie sich die hohen Preise für ein Zelt nicht leisten können. Als sie hörte, dass das Haus ihrer Schwester bombardiert worden war, kehrte sie nach Gaza-Stadt zurück. „Ich kam aus dem Süden und fand im Al-Shifa ein Massaker vor – keine Heilung [„shifa“ bedeutet auf Arabisch Heilung, Anm.]“, erzählt Bakr Drop Site aus dem Krankenhaus. „Die Tochter meiner Schwester liegt auf der Intensivstation. Meine Schwester wurde getötet, ebenso zwei ihrer Söhne. Und das sind ihre beiden älteren Kinder“, sagt sie und zeigte auf zwei junge Buben, die neben ihr auf einem Feldbett liegen, beide bandagiert. „Es gibt keine Behandlung, keine Medikamente, nicht einmal einen Stift zum Schreiben.“


Bakr sagte, sie versuche, ihre verletzten Familienmitglieder in den Süden zu bringen, könne aber keinen Krankenwagen finden, um sie zu transportieren. „Die Lage hier ist extrem, extrem schlimm. Und wir haben Angst, dass die Israelis jetzt kommen und uns angreifen werden. Meine Schwestern und die Kinder meiner Schwester und ich flehen Gott an, uns in den Süden zu bringen. Geben Sie uns einfach das Papier und stellen Sie uns einen Krankenwagen zur Verfügung, um sie zu transportieren. Das hier ist der Tod selbst – wir leben hier den Tod“, sagt sie. „Jeden Moment könnten sie das Krankenhaus stürmen. Innerhalb von Sekunden oder Minuten werden sie über uns herfallen. Gerade eben haben sie den gesamten Wohnblock hinter Al-Shifa bedroht, wo meine Familie lebt. Wir kämpfen hier mit dem Tod. Und wenn wir versuchen, in den Süden zu gelangen, schießen sie von hinten auf uns.“


Während seiner Mitte August begonnenen Militäroffensive auf Gaza-Stadt hat Israel wiederholt Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen angegriffen und eine Reihe von ihnen zur vollständigen Schließung gezwungen, darunter das Al-Rantisi-Kinderkrankenhaus, die Augenklinik und das jordanische Feldlazarett im Stadtteil Tel al-Hawa. Allein in den letzten zwei Wochen verzeichnete die UNO mindestens 17 israelische Angriffe auf oder in der Nähe von Gesundheitseinrichtungen in Gaza-Stadt.


„Die militärischen Angriffe Israels auf Krankenhäuser in Gaza-Stadt und Umgebung führen dazu, dass kranke und verletzte Zivilist*innen keine Möglichkeit mehr haben, lebensrettende Hilfe zu erhalten, da die eskalierenden Angriffe auf Zivilist*innen und zivile Infrastruktur zu unzähligen Opfern führen“, erklärte das UN-Menschenrechtsbüro am Montag in einer Stellungnahme. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums von Gaza sind nur noch sieben von 13 Krankenhäusern in Gaza-Stadt in Betrieb, und das auch nur noch höchst eingeschränkt. Unterdessen haben die wiederholten Angriffe einen sicheren Zugang zu den noch funktionierenden medizinischen Einrichtungen nahezu unmöglich gemacht.


„Die Intensivierung der israelischen Militärangriffe auf zivile Infrastruktur in Gaza-Stadt, einschließlich direkter Angriffe auf Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen, hat dramatische Auswirkungen auf das ohnehin schon marode Gesundheitssystem in Gaza und verschlimmert die ohnehin schon katastrophale humanitäre Lage von Hunderttausenden Palästinenser*innen, die in Gaza-Stadt gefangen sind“, fügt das UN-Menschenrechtsbüro hinzu.

Am 26. September gab die Hilfsorganisation Médecins Sans Frontières (MSF, Ärzte ohne Grenzen) bekannt, dass sie ihre Aktivitäten in Gaza-Stadt aufgrund der eskalierenden israelischen Angriffe einstellen werde. „Wir haben keine andere Wahl, als unsere Aktivitäten einzustellen, da unsere Kliniken von israelischen Streitkräften umzingelt sind“, erklärte Jacob Granger, Notfallkoordinator von MSF in Gaza, in einer Stellungnahme. „Das ist das Letzte, was wir wollten, denn die Not in Gaza-Stadt ist enorm, und die schwächsten Menschen – Säuglinge in der Neugeborenenpflege, Schwerverletzte und Menschen mit lebensbedrohlichen Krankheiten – können sich nicht fortbewegen und sind in größter Gefahr.“


In einer Aktion, die viele als Vorbote eines umfassenden Angriffs auf Al-Shifa befürchteten, veröffentlichte das israelische Militär letzte Woche Luftaufnahmen, die angeblich Hamas-Kämpfer beim Schießen aus dem Inneren des Krankenhauses zeigen.


Al-Shifa war einst das größte Krankenhaus in Palästina. Die israelische Armee überfiel Al-Shifa erstmals zu Beginn des Krieges Mitte November 2023, nachdem sie fälschlicherweise behauptet hatte, die Hamas betreibe unter dem Krankenhaus ein Kommando- und Kontrollzentrum. Zehn Tage später zog sie sich während einer vorübergehenden Waffenruhe zurück. Mitte März 2024 drang sie zum zweiten Mal in Al-Shifa ein, besetzte es und verhaftete Hunderte von Menschen. Anfang April kehrten die Mitarbeiter*innen zurück und fanden das Krankenhaus vollständig zerstört vor – die Gebäude waren niedergebrannt, die Stationen und die Ausstattung schwer beschädigt. Auf dem Krankenhausgelände wurden außerdem Massengräber mit Hunderten von Leichen entdeckt. Einige der Opfer „waren offensichtlich ältere Menschen, Frauen und Verwundete, während andere mit gefesselten Händen gefunden wurden … gefesselt und ihrer Kleidung beraubt“, berichtete Ravina Shamdasani, die Sprecherin des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, damals.


Dem Gesundheitsministerium gelang es in Zusammenarbeit mit lokalen Gemeinden und internationalen Nichtregierungsorganisationen im September 2024, die Funktionsfähigkeit des Krankenhauses teilweise wiederherzustellen. Doch inmitten der jüngsten Angriffe Israels kursierten in den letzten Tagen Gerüchte, dass Al-Shifa erneut geschlossen worden sei, woraufhin das Gesundheitsministerium am Montag eine Erklärung veröffentlichte, in der es versicherte, dass Al-Shifa „trotz der derzeitigen schwierigen Lage und der großen Herausforderungen, denen der Gesundheitssektor insbesondere in Gaza-Stadt gegenübersteht“, weiterhin medizinische Leistungen erbringe.


Derzeit ist Al-Shifa mit Dutzenden von neuen Opfern pro Tag, einem gravierenden Mangel an Hilfsgütern und medizinischem Personal sowie dem Vormarsch der israelischen Armee völlig überlastet.


„Im Allgemeinen wird die Lage von Stunde zu Stunde gefährlicher“, erklärte ein Sanitäter vom Roten Kreuz am Samstag gegenüber Drop Site, als er vor dem Haupteingang von Al-Shifa stand. Aus Sicherheitsgründen bat er darum, anonym zu bleiben. „Seit heute Morgen haben wir Getötete und viele Verletzte aus dem Gebiet Ansar, dem Gebiet Abbas und dem Hafengebiet geborgen – dort, wo sich die verbliebenen Zivilist*innen sammeln, diejenigen, die nicht flüchten konnten, weil sie kein Geld, keinen Platz und keine Ressourcen haben“, sagt er. „Wenn wir ankommen, um die Verwundeten und Getöteten ins Al-Shifa-Krankenhaus zu transportieren, finden wir keine Krankenpfleger*innen, keine Ärzt*innen, kein Personal vor, das die Fälle aufnehmen könnte. Das liegt daran, dass sie aufgrund der großen Angst und der ununterbrochenen Bombardierung der nördlichen Gebiete geflohen sind. Sie sind alle in die südlichen Gebiete gezogen, weil es hier keine Sicherheit mehr gibt.“


ree

 

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