„In Gaza steht eine Hungersnot bevor.
Die internationale Gemeinschaft sollte sich schämen, dass sie es nicht geschafft hat, dies zu verhindern.“
Martin Griffiths, Unter-Generalsekretär für humanitäre Angelegenheiten, Leiter des OCHA und UN-Nothilfekoordinator, am
18. März 2024
Im Norden des Gazastreifens leiden die Menschen unter einem "katastrophalen Ausmaß an Hunger".
Die erschütternde Situation wird in einem gestern erschienen Bericht als "menschengemachter Hunger" bezeichnet. Die Integrierte Klassifizierung der Ernährungssicherheitsphase (IPC), einer Gruppe, der das Welternährungsprogramm und die Weltgesundheitsorganisation angehören, erklärt, dass 1,1 Millionen Menschen, die Hälfte der Bevölkerung des Gazastreifens, aufgrund der israelischen Blockade von „katastrophalem Hunger“ betroffen sind, der höchsten Stufe von Hunger, die nach der international standardisierten Skala für Ernährungsunsicherheit möglich ist.
Seit Beginn der Aufzeichnungen vor zwanzig Jahren war noch nie eine so hohe Zahl einer Bevölkerung von einer Hungerkatastrophe betroffen.
Das bedeutet, dass im Gazastreifen bereits eine Hungersnot ausgebrochen ist. Die ersten Opfer einer Hungersnot sind Kleinkinder und alte Menschen. Die Zahl der akut unterernährten Kinder und der Hungertoten steigt mit jedem Tag.
Im Bericht wird festgehalten, dass "die Hungersnot, selbst im nördlichen Gazastreifen, gestoppt werden kann, wenn den Hilfsorganisationen der uneingeschränkte Zugang zur Versorgung der gesamten Zivilbevölkerung mit Nahrungsmitteln, Wasser, Medikamenten, Gesundheits- und Sanitärdiensten ermöglicht wird. Dazu ist ein humanitärer Waffenstillstand erforderlich.“
Es wird betont, dass die Hungersnot dadurch verursacht wird, dass die Hilfsorganisationen aufgrund der Militärblockade Israels nicht in die Region gelangen können. Seit Januar konnten nur neun WFP-Konvois in die Region einreisen. Die Organisation schätzt jedoch, dass zur Deckung des Grundnahrungsmittelbedarfs täglich 300 Hilfsgütertransporter in den Gazastreifen einfahren müssten.
In pictures: ‘Catastrophic’ hunger in Gaza (Achtung: Verstörende Aufnahmen)
UNICEF-Chefin Catherine Russell: „Wir wissen, dass Kinder jetzt in Gaza an Unterernährung sterben.“
Transkribierte, übersetzte Auszüge aus dem Interview der UNICEF-Exekutivdirektorin Catherine Russell mit Margaret Brennan von CBS am 17. März 2024 (Original-Interview in englischer Sprache)
MARGARET BRENNAN: Nach Angaben von UNICEF haben 81 % der Haushalte in Gaza keinen ausreichenden Zugang zu sauberem Wasser, und neun von zehn Menschen haben nicht genug zu essen, um zu überleben. Catherine Russell, die Exekutivdirektorin der Organisation, ist hier bei uns. Willkommen bei "Face the Nation".
CATHERINE RUSSELL: Vielen Dank.
MARGARET BRENNAN: Sie konzentrieren sich besonders auf die Kinder. Wir haben diese Woche von führenden Vertretern der US-Geheimdienste gehört, dass das, was in Gaza passiert, Auswirkungen auf eine ganze Generation haben wird. Sie betrachteten die Auswirkungen unter dem Aspekt der nationalen Sicherheit. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht? Was bedeutet die Auswirkung auf eine ganze Generation?
CATHERINE RUSSELL: Nun, es bedeutet, dass bereits mehr als 13.000 Kinder ums Leben gekommen sind, was eine astronomische, entsetzliche Zahl ist. Tausende weitere wurden verletzt, oder wir können nicht einmal feststellen, wo sie sind, sie könnten unter Trümmern liegen. Tausende weitere haben ein oder beide Elternteile verloren, einige dieser Kinder haben Sie in den Nachrichten gesehen. Sie sind ganz allein und kümmern sich um ihre jüngeren Geschwister. Es ist eine entsetzliche Situation. Wenn man bedenkt, welche Auswirkungen das auf diese Kinder hat, wenn sie aufwachsen, sogar auf ihre Kinder, dann sind die Auswirkungen so tiefgreifend, weil sie unter Stress, Trauer, Verlust und Angst leben. Das hat zwangsläufig Auswirkungen auf sie für den Rest ihres Lebens.
„Wir wissen, dass Kinder jetzt in Gaza an Unterernährung sterben.“
MARGARET BRENNAN: Ihre Organisation sagt, dass 31 % der Kinder, eines von drei Kindern unter zwei Jahren, im nördlichen Gazastreifen an akuter Unterernährung leiden. Das ist nicht nur ein Trauma, das ist eine lebenslange Beeinträchtigung.
CATHERINE RUSSELL: Nun, wenn sie überleben. Und ich muss sagen, dass ich in meiner Arbeit auf der ganzen Welt leider viele Kinder gesehen habe, die an Unterernährung leiden, und es ist schockierend, so etwas zu sehen. Ich meine, der Körper fängt an, sich selbst zu verdauen, weil er nichts anderes hat, und das ist ein schmerzhafter, schmerzhafter Tod für Kinder. Ich war schon auf Stationen mit Kindern, die an schwerer Anämie und Unterernährung leiden, und auf der ganzen Station ist es absolut still. Denn die Kinder haben nicht einmal mehr die Kraft zu weinen. Ich meine, es ist erschütternd, das zu sehen. Und Sie haben Recht, wenn sie es überleben, wenn wir es schaffen, sie mit therapeutischer Nahrung zu versorgen. Wenn wir sie damit versorgen können, können sie überleben, aber oft bleiben sie ein Leben lang beeinträchtigt. Beeinträchtigung bedeutet, dass auch ihre Fähigkeiten, ihre kognitiven Fähigkeiten, beeinträchtigt sind. Es ist also eine lebenslange Herausforderung für diese Kinder, wenn sie überleben. Aber wir wissen, dass Kinder jetzt in Gaza an Unterernährung sterben.
MARGARET BRENNAN: Was können Sie zu diesem Zeitpunkt tatsächlich hineinbringen? Wir wissen, dass es Luftabwürfe gibt. Man kann keine Impfstoffe abwerfen, man kann keine Dinge abwerfen, die gekühlt werden müssen. Was kommt also rein, und was müssen Sie besorgen?
CATHERINE RUSSELL: Nun, zunächst einmal wissen wir mit Sicherheit, dass nicht genug ankommt, und die Abwürfe aus der Luft und der Seekorridor sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Was wir für die Kinder brauchen würden, wäre eine therapeutische Nahrung, die Plumpy'nut heißt, sie kann Leben retten. [Anm.: Plumpy’nut ist eine energiereiche Paste aus Erdnussbutter zur Behandlung von Unterernährung] Aber wir müssen sie zu den Kindern bringen, und wir haben im Moment so wenig Zugang dazu. Und das ist eine große Herausforderung. Lastwagen und Transporte auf dem Landweg sind bei weitem der effizienteste und effektivste Weg, um Hilfsgüter zu transportieren. Aber es gibt eine Menge Herausforderungen, die wir nicht bewältigen können. Dinge mit doppeltem Verwendungszweck werden manchmal zurückgewiesen, so dass wir keine Plastikrohre oder medizinische Kits mit einer kleinen Schere darin hinein bekommen können. (…) Ich denke, die Bevölkerung dort leidet auf schreckliche Art und Weise. (…)
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Anmerkung: Israel verbietet die Einfuhr von Narkosemitteln und Narkosegeräten, Sauerstoffflaschen, Beatmungsgeräten, Wasserfiltersystemen, Datteln, Schlafsäcken, Krebsmedikamenten, Wasserreinigungstabletten und medizinischen Paketen für Entbindungen. (Siehe dazu Link)
Dem Leiter des Palästinensischen Flüchtlingshilfswerks (UNRWA), Philippe Lazzarini, wurde von den israelischen Behörden gestern die Einreise nach Gaza verweigert. Dies stellt für einen UN-Vertreter in dieser hohen Position einen bisher beispiellosen Schritt dar. Lazzarini selbst kommentierte dies auf X (Twitter) mit: „An dem Tag, an dem neue Daten über die Hungersnot in Gaza veröffentlicht werden, verweigern mir die israelischen Behörden die Einreise nach Gaza.“
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