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Neuer Bericht von Breaking the Silence: Die israelische Armee zerstörte systematisch Häuser und Felder an der Grenze zum Gazastreifen

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  • 11. Apr.
  • 7 Min. Lesezeit

Die Menschenrechtsorganisation Breaking the Silence veröffentlichte Zeugenaussagen von israelischen Soldaten, die sagten, dass systematisch Gebäude für eine Pufferzone zerstört wurden.


Von Claire Parker, The Washington Post, 7. April 2025


(Originalbeitrag in englischer Sprache)

 

Israelische Soldaten, die im Gazastreifen waren, Berichten, dass sie in den ersten Monaten des Krieges systematisch Gebäude und landwirtschaftliche Felder zerstörten, um eine weitläufige Pufferzone innerhalb der Enklave zu schaffen. Rechtsexperten erklären, dass diese Taktik gegen internationales Recht verstößt.

Die Aussagen der Soldaten wurden am Montag (7. April 2025) von Breaking the Silence, einer Organisation ehemaliger israelischer Soldaten, veröffentlicht und enthalten auch den Bericht eines Majors, der bei den Gesprächen zur Planung der Pufferzone anwesend war. Sie bieten einen seltenen Einblick in die Beweggründe und das Verhalten des Militärs, das nach den Anschlägen vom 7. Oktober 2023 einen durchschnittlich eine halbe Meile breiten Streifen palästinensischen Gebiets dem Erdboden gleichmachen und räumen sollte.

Die israelischen Streitkräfte reagierten nicht auf Anfragen zur Pufferzone, aber die befehlshabenden Offiziere erklärten den Soldaten, dass die Räumung von Gebieten mit Sichtverbindung zu israelischen Ortschaften notwendig sei, um einen ähnlichen Angriff zu verhindern. Am 7. Oktober durchbrachen militante Hamas-Kämpfer den Zaun, der die Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen markiert, und verübten den Anschlag.

Der Bericht beschreibt jedoch die methodischen Schritte des israelischen Militärs, Wohngebiete, Industriezonen und landwirtschaftliche Flächen entlang der Grenze zu zerstören, die „für das Leben im Gazastreifen von entscheidender Bedeutung“ sind. Ziel und Zweck, so der Bericht, bestanden darin, die bestehende Pufferzone innerhalb des Gazastreifens mehr als zu verdoppeln und Gaza, das nur 25 Meilen lang und durchschnittlich sechs Meilen breit ist, weiter einzuschränken.

Die Zeugenaussagen kommen auch zu einem Zeitpunkt, an dem die israelische Armee ihre Bodenoperationen im Gazastreifen wieder ausweiten und planen, „große Gebiete einzunehmen, die den israelischen Sicherheitszonen hinzugefügt werden“, so Verteidigungsminister Israel Katz letzte Woche. Die israelische Armee erließ weitere Evakuierungsbefehle, und der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu kündigte die Einrichtung eines neuen Militärkorridors bei Rafah im südlichen Gazastreifen an. „Wir zerschneiden den Gazastreifen, und wir erhöhen den Druck Schritt für Schritt“, sagte er.

Am Donnerstag berichtete die israelische Nachrichtenagentur Maariv, dass die israelische Armee in den letzten Tagen die Sperrzone bereits erweitert hat und nun etwa 30 Prozent des Gazastreifens hält. Joel Carmel, ein ehemaliger IDF-Soldat und Direktor von Breaking the Silence, sagt, dass die in dem Bericht beschriebenen Taktiken eine Grundlage für das Vorgehen des Militärs bei der Einnahme von noch mehr Land sein könnten.

„Im Gegensatz zu vielen anderen Kampfgebieten im Gazastreifen erfolgte die Zerstörung der Infrastruktur und der Gebäude im Umkreis manchmal erst nach der Einnahme des Gebiets, wenn keine unmittelbare oder konkrete Bedrohung für die Streitkräfte bestand“, heißt es in dem Bericht.

Der Bericht stützt sich auf ein Dutzend Aussagen von Soldaten, die zwischen Oktober 2023 und August 2024 an der Peripherie eingesetzt waren, sowie auf einen Offizier, der in der Einsatzzentrale war, als die Pufferzone geplant wurde. Ihre Namen wurden in dem Bericht nicht genannt, und zwei der Soldaten sprachen mit der Washington Post und anderen Reportern unter der Bedingung der Anonymität, um sensible militärische Operationen zu beschreiben. Es handelt sich um Angehörige von Infanteriebrigaden, technischen Einheiten und des Panzerkorps.

Zu Beginn des Krieges wurden technische Kampfeinheiten in das nördliche und östliche Grenzgebiet des Gazastreifens verlegt und angewiesen, mehr als 3 500 Gebäude mit Sprengstoff oder Bulldozern zu zerstören, wie Soldaten in dem Bericht und in Interviews mit einer kleinen Gruppe von ReporterInnen letzte Woche aussagten. Sie zerstörten auch Obstgärten und Felder, auf denen die PalästinenserInnen einst Weizen, Gerste, Oliven, Mandeln, Erdbeeren und Zitrusfrüchte anbauten, hieß es.

Ein Sergeant, ein Reservist, sagte, dass seine Kampfeinheit ab Ende Oktober 2023 in einer Stadt im Norden des Gazastreifens Aufträge erhielt, bei denen es im Wesentlichen darum ging, Häuser oder das, was von den Häusern übrig war, in die Luft zu sprengen.

Mehrere Wochen lang folgten ihre Tage einem vorhersehbaren Muster, berichtet er: „Morgens aufstehen. Jeder Zug bekommt fünf, sechs, sieben Orte – sieben Häuser –, an denen er arbeiten soll." Sie bekamen Sprengstoff, darunter Panzerabwehr- und Tellerminen, die sie auslegen sollten. Die Truppen zogen sich dann in eine sichere Entfernung zurück und sprengten mehrere Häuser auf einmal.

Von einem Aussichtspunkt im Süden Israels aus sahen die Reporter der Washington Post letzte Woche eine Reihe von Gebäuden, die sich entlang des östlichsten Randes von Gaza-Stadt nach Norden in Richtung Jabalya und Beit Hanoun erstreckten. Soweit das Auge reichte, bietet das Grenzgebiet einen Anblick der Verwüstung. Die Stille wird nur durch gelegentliches Artilleriefeuer aus einer israelischen Panzerstellung im Norden durchbrochen.

Metall- und Betonhaufen liegen direkt hinter einem langen Erdwall mehrere hundert Meter vom Grenzzaun entfernt. Laut Google Maps schien dies alles zu sein, was von einem ehemaligen Industriegebiet übrig geblieben ist.

Ein anderer Reservist, ein Sergeant First Class in einer Infanteriebrigade, wurde Ende 2023 in den nördlichen Perimeter entsandt. Er erzählt den Reportern, dass er zu einer Einheit gehörte, die Kampfingenieure schützte, als diese die Industriegebäude in dem Gebiet „eins nach dem anderen, auf sehr methodische Weise“ zerstörten. Er erinnert sich, dass er Berge von Glasscherben sah, wo einst eine Coca-Cola-Fabrik stand.

Die Soldaten sagten aus, dass ihnen nicht immer eine klare Begründung für diese Zerstörungsaktionen gegeben wurde. Die Rechtfertigung, die von den befehlshabenden Offizieren am häufigsten vorgebracht wurde, war, dass es zu gefährlich sei, die Gebäude so nahe an der Grenze stehen zu lassen; Hamas-Kämpfer könnten die Strukturen nutzen, um sich zu verstecken, Waffen zu verstecken oder Angriffe zu starten, sagten sie.

Diese Argumentation beunruhigte den Combat Engineering Sergeant. „Man kann behaupten, dass man den Gazastreifen von Menschen säubern muss, um die Sicherheit Israels zu gewährleisten, oder dass alles flach sein sollte“, sagte er. „Aber ist das gerechtfertigt und steht es im Verhältnis zu der Gefahr, die von diesen Orten ausgeht?“

Das humanitäre Völkerrecht „verbietet jede Zerstörung von Zivileigentum durch die Besatzungsmacht, es sei denn, sie ist für militärische Operationen absolut notwendig“, schrieb Adil Haque, Professor für internationales Recht an der Rutgers University, in einer E-Mail. Diese Notwendigkeit sei in diesem Fall nicht erreicht worden.

Landwirtschaftliche Flächen, die für die Versorgung der Zivilbevölkerung von entscheidender Bedeutung sind, genießen nach internationalem Recht einen besonderen Schutz. Außerdem ist es illegal, ZivilistInnen gewaltsam umzusiedeln, so Haque, und jede Evakuierung dürfe nur vorübergehend sein. Sollte sie dauerhaft sein, so warnt Breaking the Silence, „ist es schwer, dies als etwas anderes als ethnische Säuberung zu bezeichnen“.

Als der Infanteriesergeant an der Zerstörung des Industriegebiets beteiligt war, erzählten Offiziere seiner Einheit, dass die Hamas am 7. Oktober von dort aus einen Angriff gestartet hatte, erinnerte er sich. Aber vor Ort, so sagte er, „trafen wir dort nicht auf die Hamas – wir fanden überhaupt nichts, was mit der Hamas in Verbindung stand.“

Er schätzt den Wert der Industrieanlagen auf mehrere Milliarden Dollar. "Das war zu viel. Es war übertrieben", sagt er über deren Zerstörung.

Der Combat Engineering Sergeant sagte unterdessen, dass die befehlshabenden Offiziere angaben, dass nur zwei oder drei der Dutzende von Häusern, die seine Einheit in Gaza in die Luft jagte, Hamas-Kämpfern gehörten. Aber in den meisten Fällen, sagte er, „würden sie es nicht rechtfertigen“. Die Einheit habe nur bei wenigen Gelegenheiten Anzeichen für militante Aktivitäten gefunden: einmal Granaten in einem Auto und ein paar Tunneleingänge, berichtete er in einem Interview.

Wenn sie eine Person in der Umzäunung entdeckten, waren die Einsatzregeln oft unklar, so die Soldaten gegenüber Breaking the Silence. Mehrere berichteten, dass sie angewiesen wurden, jeden zu erschießen, der das Gebiet betrat. Es gab jedoch keine klaren Markierungen auf dem Boden, die anzeigten, wo genau die erweiterte Pufferzone - die an verschiedenen Stellen zwischen einer halben und einer Meile misst - begann.

 

„Niemand kümmerte sich darum, ob es sich bei den Personen, auf die geschossen wurde, um Zivilisten oder Kämpfer handelte“, wird ein Hauptmann des Panzerkorps, der im Oktober und November 2023 im südlichen Gazastreifen eingesetzt war, in dem Bericht zitiert. „Wir haben uns für eine Linie entschieden, die die Grenzlinie ist, hinter der jeder verdächtig ist, aber mir ist nicht klar, wie vertraut die Palästinenser mit dieser Linie sind.“

Wenn sie eine Person in der Pufferzone entdeckten, waren die Einsatzregeln oft unklar, so die Soldaten gegenüber Breaking the Silence. Mehrere berichteten, dass sie angewiesen wurden, jeden zu erschießen, der das Gebiet betrat. Es gab jedoch keine klaren Markierungen auf dem Boden, die anzeigten, wo genau die erweiterte Pufferzone – die an verschiedenen Stellen zwischen einer halben und einer Meile misst – begann.

„Niemand kümmerte sich darum, ob es sich bei den Personen, auf die geschossen wurde, um ZivilistInnen oder Kämpfer handelte“, wird ein Hauptmann des Panzerkorps, der im Oktober und November 2023 im südlichen Gazastreifen eingesetzt war, in dem Bericht zitiert. „Wir haben uns für eine Linie entschieden, die die Grenzlinie ist, hinter der jeder verdächtig ist, aber mir ist nicht klar, inwieweit die PalästinenserInnen mit dieser Linie vertraut sein hätten sollen.“

Eliav Lieblich, Professor für internationales Recht an der Universität Tel Aviv, sagt, dass solche Befehle „illegal sind“.

„Die Konfliktparteien müssen jederzeit zwischen ZivilistInnen und Kombattanten unterscheiden, und diese Unterscheidung sollte auf einer konkreten Bewertung beruhen – man kann nicht einfach davon ausgehen, dass alle Personen in einem bestimmten Gebiet Kombattanten sind“, schreibt er.

In einer ausführlichen Erklärung, die im Dezember 2023 auf der Website des israelischen Außenministeriums veröffentlicht wurde, schrieb das Ministerium, dass sich das Militär verpflichtet habe, das Völkerrecht einzuhalten und den Schaden für die Zivilbevölkerung so gering wie möglich zu halten.

„Um eine wirksame Vorwarnung zu geben und den Schaden für die Zivilbevölkerung zu minimieren, hat die IDF die Zivilbevölkerung dazu ermutigt, vorübergehend aus Gebieten mit intensiven Feindseligkeiten und aus einzelnen Zielen zu evakuieren“, heißt es in der Erklärung.

Auch mehr als ein Jahr später gibt es keine Anzeichen dafür, dass Israel die Pufferzone verlässt. PalästinenserInnen, die dort lebten, arbeiteten oder Felder bestellten, durften noch nicht zurückkehren.

Die Zerstörung, insbesondere die Dezimierung des Ackerlandes, werde langfristige Auswirkungen auf die Autonomie des Gazastreifens haben, so Carmel.

„Wir reden hier von 35 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche des Gazastreifens, die komplett vernichtet wurde“, sagt er. "Das bedeutet, dass die palästinensische Bevölkerung des Gazastreifens nur noch sehr geringe Chancen hat, sich selbst zu versorgen.“

 

Ein Opfer der israelischen Säuberungsaktion war die Erdbeerplantage von Mahmoud Al-Shafei in Beit Lahia. Der 42-jährige Landwirt und Vater von vier Kindern hatte gerade die Setzlinge gepflanzt, als die Hamas am 7. Oktober ihre Angriffe auf Israel begann. Al-Shafei hörte an diesem Morgen auf dem Weg zur Farm Raketenbeschuss und kehrte um. Während des darauffolgenden Krieges wurde er mit seiner Familie mehrmals vertrieben und überlebte mit Hilfe von Hilfsgütern und gelegentlichen Gelegenheitsjobs, berichtet er gegenüber der Washington Post.

Er hat seine Erdbeerplantage nie wieder gesehen. Als Freunde von ihm das Gebiet während eines Waffenstillstands im November 2023 besuchten, sagten sie ihm, dass es dem Erdboden gleichgemacht wurde.




 

 

 

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