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Palästinensisches Krankenhauspersonal angekettet, ausgehungert, sexuell missbraucht: Neuer Bericht von Human Rights Watch über israelische Gefängnisse

„Der Sanitäter Walid Khalili (36) berichtet, dass er, nachdem ihm die Soldaten in Sde Teiman die Augenbinde abgenommen hatten, gesehen habe, dass er sich in einem großen Gebäude „wie in einem Lagerhaus“ befand, in dem Ketten von der Decke hingen. Dutzende von Gefangenen in Windeln hingen von der Decke, wobei die Ketten an ihren quadratischen Metallhandschellen befestigt waren. Er berichtete weiters, dass das Personal der Einrichtung ihn dann ebenfalls an einer Kette aufgehängt habe, so dass seine Füße den Boden nicht mehr berührten. Ihm wurden ein Kleidungsstück und ein Stirnband angezogen, die an Drähten befestigt waren, um ihn so mit Stromschlägen zu traktieren.“

 

„Drei Mitarbeiter des Gesundheitswesens gaben an, dass israelische Behörden ihnen mit sexuellen Übergriffen gedroht haben. Khader Abu Nada, 30, Krankenpfleger im Krankenhaus Beit Hanoun im nördlichen Gazastreifen, berichtet, dass, als er bei seinem ersten Verhör auf einem Militärstützpunkt in Gaza jegliche Hamas-Zugehörigkeit von sich wies, der Kommandant damit gedroht habe, ihn mit einem „Elektrostab“ zu vergewaltigen. Als Abu Nada weiterhin jegliche Hamas-Zugehörigkeit von sich wies, schlugen ihn die Soldaten, bis er aus Nase, Händen und Mund blutete. Abu Nada berichtet zudem, dass der Kommandeur ihn dann gefragt habe, wo seine Mutter sei, und gedroht habe, sie von dem Kontrollpunkt, an dem er festgenommen worden war, zu holen und sie vor allen Leuten zu entkleiden. „Als ich das hörte, war ich seelisch gebrochen. Ich fühlte mich gedemütigt“, so Abu Nada. Vor seiner Freilassung wurde ihm erneut mit Vergewaltigung gedroht.“

 

„Alle medizinischen Fachkräfte berichteten über schreckliche Bedingungen in der Haft. Abed, ein Chirurg, berichtet, dass das Essen „schrecklich“ und unzureichend gewesen sei, so habe er in anderthalb Monaten Haft 22 Kilogramm abgenommen. Die Toiletten waren „nicht einmal für Tiere geeignet“. Die Matratzen und Decken waren dünn, und die kalten Nächte „unerträglich“. In den Zellen gab es nur eine Stunde am Tag Wasser für die Toiletten und zum Trinken, und aus den nicht spülbaren Toiletten strömte ein „ekelhafter“ Gestank. „Sie gaben uns einen Sack für den Müll.  Wir füllten ihn mit Wasser und tranken später daraus. Es roch furchtbar, aber wir hatten keine andere Wahl“, so Abed.“

Auszüge aus dem Bericht von Human Rights Watch: Folter von palästinensischem Gesundheitspersonal

 

„Sie dürfen nur im Bereich der Matratze sitzen und die ganze Zeit in Handschellen und mit verbundenen Augen. Und man begreift, was das mit ihnen macht. Man sieht den Unterschied deutlich. (...) Die Menschen verlieren unter solchen Bedingungen den Verstand. (…) Ich habe zu Hause ein Experiment gemacht, (...) ich wollte das ausprobieren. Ich saß mit einem Tuch auf dem Kopf, ohne Handschellen und nicht hungrig. Nur mit einer Augenbinde und einer Uhr, die in einer Stunde läuten würde. Nach zehn Minuten hatte ich das Gefühl, dass ich sterben wollte. Nach weiteren zehn Minuten brach ich zusammen. Stellen Sie sich das vor, Tag für Tag, eine Woche, einen Monat.“

 

„Es waren viele Leute da, auch Polizisten, es war nichts, das im Dunkeln gemacht wurde. (...) Jeder sah, was vor sich ging. Es waren zwei oder drei Oberstleutnants von der Militärpolizei da. Es war nicht etwas, das hinter dem Rücken des Lagerkommandanten gemacht wurde.“

„Es gab eine Soldatin, die uns am Tag unserer Ankunft ein Briefing gab. Sie sagte: ‚Es wird schwer für euch sein. Ihr werdet sie bemitleiden wollen, aber das ist verboten. Denkt daran, dass sie keine Menschen sind. Von eurem Standpunkt aus gesehen sind sie keine Menschen.‘“

Zeugenaussagen von israelischen Soldaten, die in Sde Teiman stationiert waren (Breaking the Silence; Haaretz)



Amy Goodman von Democracy Now im Interview mit Milena Ansari von Human Rights Watch

27. August 2024

(Originalbeitrag bzw. -video in englischer Sprache)

 

Wir sprechen mit der Human Rights Watch-Mitarbeiterin Milena Ansari über den neuen Bericht der Organisation, in dem die Folterung von palästinensischem medizinischem Personal in israelischen Gefängnissen beschrieben wird. HRW sprach mit acht Ärzten, Sanitätern und Pflegepersonal, die im Gazastreifen verhaftet und in das berüchtigte Lager Sde Teiman sowie in andere Einrichtungen gebracht wurden, wo sie nach eigenen Angaben Schläge, Hunger, Demütigungen, Elektroschocks und andere Formen der Misshandlung erlitten. Die Männer beschreiben auch die Androhung sexueller Gewalt während brutaler Verhöre, einer wurde Zeuge davon, wie ein anderer Gefangener aus dem Gesäß blutete, nachdem er von drei Soldaten mit einem M16-Gewehr vergewaltigt worden war.


Die Ergebnisse decken sich mit anderen Untersuchungsberichten und Aussagen von Überlebenden. Human Rights Watch hat den Internationalen Strafgerichtshof dazu aufgefordert, gegen Israel wegen seiner Angriffe auf medizinisches Personal zu ermitteln. „Wir schlagen wirklich Alarm wegen der Situation in den israelischen Haftanstalten“, so Ansari, die berichtet, dass sich die Beweise für ein „systematisches Muster von Misshandlung und Missbrauch“ häufen.

 

AMY GOODMAN: Hier ist Democracy Now!, democracynow.org. Mein Name ist Amy Goodman.

Wir beginnen die heutige Sendung mit einem Aufruf von Human Rights Watch an den Internationalen Strafgerichtshof, gegen Israel wegen willkürlicher Inhaftierung und Folter von palästinensischen Gesundheitsmitarbeitern zu ermitteln. Ein neuer Bericht von Human Rights Watch beschreibt die erschütternden Erlebnisse von acht Ärzten, Krankenpflegern und Sanitätern, die bis vor Kurzem in israelischen Gefängnissen festgehalten worden sind. Sie berichteten, dass ihnen die Augen verbunden, sie geschlagen, sie in Zwangshaltung gehalten und ihnen über längere Zeit Handschellen angelegt wurden. Sie berichteten auch von Folter, einschließlich Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch, durch israelische Streitkräfte.

Eyad Abed, ein 50-jähriger Chirurg, der im November von den israelischen Streitkräften aus dem Indonesien-Krankenhaus in Beit Lahia verschleppt wurde, berichtete gegenüber Human Rights Watch, Zitat: „Jede Minute wurden wir geschlagen. Ich meine am ganzen Körper, an empfindlichen Stellen zwischen den Beinen, auf die Brust, auf den Rücken. Wir wurden am ganzen Körper und im Gesicht getreten. Sie benutzten die Vorderseite ihrer Stiefel, die eine Metallspitze hatten, und dann ihre Waffen. Sie hatten Feuerzeuge: Ein Soldat versuchte, mich zu verbrennen, aber er verbrannte die Person neben mir. Ich habe ihnen gesagt, dass ich Arzt bin, aber das war ihnen egal“, Zitat Ende.

Andere berichteten, dass sie in Metallkäfigen festgehalten wurden und zusehen mussten, wie andere inhaftierte Palästinenser zu Tode geprügelt wurden. In dem Bericht von Human Rights Watch wird auch geschildert, wie der 36-jährige Sanitäter Walid Khalili in das berüchtigte Sde Teiman-Gefängnis gebracht wurde, wo die israelischen Streitkräfte ihn und Dutzende anderer Häftlinge, von denen die meisten entkleidet waren und Windeln trugen, mit Ketten, die an ihren Handschellen befestigt waren, an die Decke hängten. Anschließend versetzten die israelischen Streitkräfte ihm Elektroschocks. In dem Bericht wird auch von einem palästinensischen Gefangenen berichtet, der von israelischen Soldaten mit einem M16-Gewehr vergewaltigt wurde.

Die Ergebnisse von Human Rights Watch decken sich mit anderen Berichten von medizinischem Personal aus dem Gazastreifen, das seit dem 7. Oktober von Israel festgehalten wird. Im Juli berichtete Dr. Muhammad Abu Salmiya, der Direktor des Al-Shifa-Krankenhauses, über seine siebenmonatige Inhaftierung in einem israelischen Gefängnis ohne Anklage. Dr. Said Abdulrahman Maarouf über seine Inhaftierung:

Die Folter in israelischen Gefängnissen war sehr schlimm. Ich bin Arzt. Mein Gewicht betrug 87 Kilogramm. Ich habe in 45 Tagen mehr als 25 Kilogramm meines Gewichts verloren. Ich habe das Gleichgewicht verloren. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren. Ich habe jedes Gefühl verloren. Wir waren 45 Tage lang gefesselt, 45 Tage lang mit Handschellen gefesselt. Wie auch immer man das Leiden und die Beleidigungen im Gefängnis beschreiben mag, man kann es nicht nachempfinden, wie es war, wenn man sie nicht selbst erlebt hat.“

Weitere Informationen erhalten wir in Ramallah von Milena Ansari, der stellvertretenden Forschungsbeauftragten für Israel und Palästina bei Human Rights Watch und Juristin. Sie ist Mitverfasserin des neuen Human Rights Watch-Berichts „Israel: Palestinian Healthcare Workers Tortured“.

Vielen Dank, dass Sie da sind. Sie melden sich aus Ramallah im besetzten Westjordanland. Können Sie allgemein über Ihre Erkenntnisse sprechen? Und wer sind die Menschen, mit denen Sie gesprochen haben?


MILENA ANSARI: Vielen Dank, Amy, und vielen Dank, dass wir hier sein dürfen.

Der Bericht über die Folterung und Inhaftierung von palästinensischem Krankenhausmitarbeitern enthält acht Zeugenaussagen von palästinensischen Sanitätern, Krankenpflegern, Ärzten und Chirurgen, die in den letzten zehn Monaten während des aktuellen Krieges in Gaza gearbeitet und dort gelebt haben. Viele der Ärzte und Krankenpfleger - sechs von ihnen - wurden verhaftet und festgenommen, als sie gerade im Krankenhaus waren, um ihre Pflichten zu erfüllen und alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit verletzte Palästinenserinnen und Palästinenser medizinische Hilfe erhalten. Sechs der Ärzte wurden also während der Belagerung der Krankenhäuser sowie während koordinierter Evakuierungseinsätze von den Krankenhäusern im nördlichen Gazastreifen zu den Krankenhäusern im südlichen Gazastreifen festgenommen. Worauf ich damit hinaus will, ist, dass diese Mitarbeiter des Gesundheitswesens eindeutig festgenommen wurden, während sie ihre Arbeit machten, und zwar in einer Situation, in der die Palästinenser in Gaza dringend medizinische Versorgung und medizinische Hilfe benötigen.

Die Aussagen stimmen mit vielen anderen Aussagen überein, die von OHCHR gesammelt wurden, zum Beispiel von palästinensischen und israelischen Menschenrechtsorganisationen, und geben uns einen Einblick in die Behandlung von Palästinensern in Haft durch die israelischen Behörden. Die Inhaftierung und Folterung von medizinischem Personal im Gazastreifen verschlimmert die katastrophale Gesundheitsinfrastruktur im Gazastreifen nur noch.

Es gibt also Berichte über Folter, Schläge, Tritte mit Stahlkappenstiefeln durch israelische Soldaten, den Einsatz von Militärhunden, um Gefangene anzugreifen und einzuschüchtern, aber auch über Stresspositionen über einen längeren Zeitraum, während ihnen die Augen verbunden sind und sie an Händen und Füßen gefesselt sind. Viele der Mitarbeiter des Gesundheitswesens, mit denen wir gesprochen haben, berichteten uns, dass sie selbst medizinische Vernachlässigung erlebt haben und Zeugen davon wurden, wie Häftlinge mit sichtbaren Verletzungen und stumpfen Traumata am Körper sowie sichtbaren Bisswunden von Hunden am Körper nicht behandelt wurden. Sie sagten uns auch, dass sie aufgrund ihrer Wunden während ihrer Festnahme und Verhaftung keine angemessene medizinische Behandlung erhalten haben. Und wenn ich von medizinischer Behandlung in der Haft spreche, dann ist das das absolute Minimum, das nach dem humanitären Völkerrecht garantiert ist, denn die Genfer Konventionen verpflichten die Haftbehörde, für eine angemessene medizinische Versorgung zu sorgen und die Haftbedingungen zu überwachen. Aber es gibt Zeugenaussagen und Berichte, die von Amputationen der Gliedmaßen aufgrund von langen Fesselungen und von Amputationen ohne Betäubung sprechen.

Leider ist das, was Human Rights Watch dokumentieren konnte, offen gestanden nur ein kleiner Einblick. Aber wir wissen von Hunderten von anderen Fällen, die entweder von UN- oder israelischen Menschenrechtsorganisationen bezeugt worden sind und die von einem systematischen Muster von Misshandlung und Missbrauch in der Haft sprechen.

Und es ist wirklich wichtig zu betonen, dass zum Beispiel diese acht Mitarbeiter des Gesundheitswesens nicht wegen irgendeiner Straftat angeklagt wurden. Sie wurden nicht vor Gericht gestellt. Deshalb sind wir zu dem Schluss gekommen, dass die Inhaftierung unrechtmäßig war. Sie wurden entweder sieben Wochen oder fünf Monate lang festgehalten, ohne dass sie darüber informiert wurden, warum sie festgehalten oder wie lange sie festgehalten werden. Sie wurden von den israelischen Behörden misshandelt und gefoltert, was wiederum nur einen kleinen Einblick in die allgemeinen Haftbedingungen für palästinensische Gefangene und Häftlinge gibt. Derzeit befinden sich etwa 9.000 PalästinenserInnen in israelischem Gewahrsam. Dreitausend von ihnen befinden sich in Verwaltungshaft, d. h. sie werden ohne Gerichtsverfahren und ohne Anklage auf unbestimmte Zeit inhaftiert. Darunter sind Hunderte von Kindern, Dutzende von Frauen, ältere Menschen, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten.

Wir müssen also wirklich Alarm wegen der Situation in den israelischen Gewahrsams- und Inhaftierungseinrichtungen schlagen. Und wenn wir über Militärbasen oder Hafteinrichtungen sprechen, in denen Palästinenser festgehalten werden, so handelt es sich um Palästinenser, die aus dem Gazastreifen verschleppt wurden. Sie wurden also gewaltsam aus dem Gazastreifen in Hafteinrichtungen und Militärstützpunkte innerhalb Israels verschleppt. Dies wird nach dem humanitären Völkerrecht als Kriegsverbrechen betrachtet, nämlich als gewaltsame Deportation. Und diejenigen Palästinenser, die im besetzten Westjordanland oder in den besetzten palästinensischen Gebieten inhaftiert waren, wurden gewaltsam aus dem besetzten Gebiet verbracht, was ebenfalls ein Kriegsverbrechen nach dem humanitären Völkerrecht darstellt.

Die Alarmglocken schrillen also. Aus diesem Grund fordert Human Rights Watch die Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofs auf, die Behandlung palästinensischer Häftlinge und Gefangener in ihre offene Untersuchung der Lage in Palästina einzubeziehen. Wir wissen, dass die Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofs Haftbefehle gegen zwei hochrangige israelische Politiker sowie gegen Hamas-Funktionäre beantragt hat. Gegen die beiden israelischen Politiker werden also Haftbefehle wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlassen. Wir mussten jedoch feststellen, dass die Misshandlungen, die Inhaftierungen und die Folter von Palästinensern in israelischen Gefängnissen in den Anträgen auf Haftbefehle gar nicht erwähnt wurden. Wir müssen wirklich Druck auf Staaten und Regierungen ausüben, um sicherzustellen, dass es eine Rechenschaftspflicht für die Behandlung von PalästinenserInnen in israelischer Haft gibt.

Wie Sie vielleicht wissen, ist es dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, das den Auftrag hat, die Haftbedingungen zu überwachen, um sicherzustellen, dass sie den internationalen Standards entsprechen, seit Beginn des Krieges im Oktober 2023 untersagt, israelische Gefängnisse und Haftanstalten zu untersuchen, was die Alarmglocken noch lauter schrillen lässt. Wir hören von Berichten über palästinensische Todesfälle in der Haft. Laut Haaretz gab es seit Beginn des Krieges 48 Fälle von palästinensischen Todesopfern in Haft, 48 Fälle von Palästinensern, die für tot erklärt wurden oder in der Haft getötet wurden. Über die Gründe und Umstände, die zu ihrem Tod geführt haben, herrscht Unklarheit. Physicians for Human Rights Israel konnte an der Autopsie von fünf Fällen palästinensischer Gefangener teilnehmen, die in israelischer Haft für tot erklärt wurden. In einigen Fällen wurde eindeutig medizinische Vernachlässigung festgestellt, in anderen Fällen war der Tod auf Folter und Misshandlung zurückzuführen. Ich möchte hervorheben, dass zwei dieser Todesfälle palästinensisches medizinisches Personal betrafen, einmal Dr. Adnan al-Bursh, der im April von der israelischen Gefängnisbehörde für tot erklärt wurde, und beim zweiten Mal Dr. Iyad al-Rantisi, der ebenfalls während der Haft getötet wurde.

Wir brauchen mehr Klarheit und ein besseres Verständnis für die Vorgänge in der Haft, aber auch die Gewissheit, dass wir die Frage stellen können: „Warum sind diese Palästinenser überhaupt in Haft, wenn sie über längere Zeiträume festgehalten werden, ohne dass sie einem Richter vorgeführt oder sogar angeklagt werden?“ Es gibt also eine Menge Fragen, die gestellt werden müssen.


AMY GOODMAN: Lassen Sie mich Sie fragen, Milena - vorhin haben wir einen Clip von Dr. Said Abdulrahman Maarouf im Februar gezeigt. Er wurde inhaftiert. Er ist ein palästinensischer Arzt, der von Israel 45 Tage lang inhaftiert wurde, er beschrieb, dass er in israelischer Haft gefoltert wurde, er wurde inhaftiert, nachdem israelische Kräfte das arabische Krankenhaus al-Ahli in Gaza-Stadt überfallen hatten. Und jetzt möchte ich Ihnen einen Clip von Dr. Muhammad Abu Salmiya vorspielen. Wir haben ihn bereits erwähnt. Im Juli beschrieb er - er ist der Direktor des Al-Shifa-Krankenhauses in Gaza - seine siebenmonatige Inhaftierung in einem israelischen Gefängnis ohne Anklage:

„Wir wurden schwer gefoltert, und mein kleiner Finger wurde gebrochen. Ich wurde wiederholt mit Schlägen auf den Kopf traktiert, was zu mehrfachen Blutungen führte. In den israelischen Gefängnissen wurde fast täglich gefoltert. Wenn die Zellen der Gefangenen täglich durchsucht wurden, wurden die Gefangenen dabei jeden Tag massiv geschlagen. Ich sage dies mit absoluter Gewissheit, denn ich habe es mit großer Bitterkeit selbst durchlebt. (…) Kollegen, die im Gesundheitsministerium arbeiten, und andere Gefangene sind heute mit uns herausgekommen, etwa 50 Gefangene. Wir haben viele Gefangene zurückgelassen, Zehntausende von Gefangenen, die in Not sind und psychische und physische Folter erleben, wie sie kein palästinensischer Gefangener seit der Nakba im Jahr 1948 erlebt hat. Unsere tapferen Gefangenen sind hinter Gittern allen Arten von Folter ausgesetzt. Selbst die älteren Gefangenen, die schon Dutzende von Jahren in den Gefängnissen der Besatzer verbracht haben, wurden ihrer grundlegenden Rechte beraubt. Viele Gefangene sind während der Verhöre gestorben und haben keine Medikamente und keine Lebensmittel erhalten.“

Diese Aussage kommt also von Dr. Muhammad Abu Salmiya, dem Direktor des Al-Shifa-Krankenhauses in Gaza, der sieben Monate ohne Anklage festgehalten wurde. CNN hat diese Woche auch berichtet, dass ein ehemaliger palästinensischer Häftling aussagte, er sei in einem israelischen Gefängnis sexuell missbraucht worden. Sein Name ist Ibrahim Salem. Er ist 34 Jahre alt und wurde vier Tage nach einem israelischen Luftangriff auf sein Haus im Flüchtlingslager Jabaliya im nördlichen Gazastreifen am 8. Dezember verhaftet, bei dem acht seiner Verwandten getötet, seine Frau und zwei seiner drei Kinder verletzt wurden. CNN berichtet, Zitat: „Während der Verhöre, sagte Salem, wurde er gefragt: 'Wo sind die Geiseln? Wo sind die Waffen der Hamas? Sind Sie Hamas? Seid ihr Qassam (der militärische Flügel der Hamas)? Seid ihr der Islamische Dschihad?' Salem gibt an, geschlagen und beschimpft und mit heißem Wasser übergossen worden zu sein und von Soldaten gesagt bekommen zu haben, dass der Rest seiner Familie getötet worden sei. Aber das Schlimmste sei der sexuelle Missbrauch gewesen. Wie hat die israelische Regierung auf Ihren Bericht reagiert?


MILENA ANSARI: Die israelischen Behörden haben auf unterschiedliche Weise reagiert. Wir schickten ihnen Briefe mit unseren ersten Ergebnissen, bevor wir den Bericht veröffentlicht haben, und baten um Kommentare oder Antworten auf bestimmte Fragen. Aber wie üblich erhält Human Rights Watch keine Antworten von den israelischen Behörden, wenn wir sie um Kommentare oder detaillierte Informationen zu den Berichten und Untersuchungen bitten, die wir durchgeführt haben.

Aber ich kann Ihnen von Antworten israelischer Beamter oder israelischer Minister in Bezug auf die Inhaftierung oder Behandlung palästinensischer Häftlinge berichten. Wie Sie bereits erwähnten, haben wir den Fall eines palästinensischen Gefangenen erlebt, der in Sde Teiman vergewaltigt wurde. Die israelische Militärpolizei, die diesen Fall untersuchte, ging nach Sde Teiman, um jene zehn Soldaten zu verhaften, die an der sexuellen Gewalt gegen den palästinensischen Gefangenen beteiligt gewesen sein sollen. Es kam zu massiven Konfrontationen und Gegenreaktionen mit rechtsgerichteten israelischen Demonstranten und israelischen Soldaten, die derselben Einheit angehörten wie die verhafteten Soldaten. In den israelischen Medien gab es eine Debatte: Wie behandeln die israelischen Behörden palästinensische Gefangene? Und es gab Minister, die sagten, israelische Soldaten seien die Helden Israels, also hätten sie das Recht, zu tun, was immer sie wollen, einschließlich der Vergewaltigung palästinensischer Gefangener in israelischem Gewahrsam.

Dies sind zutiefst alarmierende Aussagen und Reaktionen. Aber leider spiegeln sie eine allgemeine Politik wider, wie die israelischen Behörden mit palästinensischen Gefangenen und Foltervorwürfen umgehen. Human Rights Watch hat jahrzehntelang zu diesem Thema Berichte erstellt - wir haben sogar einen Bericht aus dem Jahr 1948, der sich mit Folter und Misshandlung von palästinensischen Häftlingen während des Verhörs beschäftigt. Seitdem haben wir und auch palästinensische und israelische Menschenrechtsorganisationen wie B'Tselem nicht gesehen, dass echte Rechenschaftspflicht und Gerechtigkeit umgesetzt wurden. Nach Ansicht von B'Tselem handelt es sich bei diesen sogenannten Untersuchungen vor allem um Schönfärberei – und um eine Möglichkeit, diese Soldaten oder Gefängniswärter nicht wirklich zur Rechenschaft zu ziehen, sondern ihnen noch mehr Straffreiheit und rechtlichen Schutz zu verschaffen. (…)


AMY GOODMAN: Milena Ansari, am Montag haben Sie für Human Rights Watch einen Artikel über Walid Khalili veröffentlicht, einem Sanitäter und Krankenwagenfahrer für die Palestinian Medical Relief Society, 36-jähriger Vater von drei Kindern. Ihr Artikel trägt die Überschrift „Die Tortur eines palästinensischen Sanitäters in israelischer Haft“. Können Sie uns erzählen, was Walid Khalili am Morgen des 10. November widerfahren ist, bevor wir zum Schluss kommen?


MILENA ANSARI: Walid Khalili ist Krankenwagenfahrer und Sanitäter bei der Palestinian Medical Relief Society. Er folgte einem Notruf von vier verletzten Männern und wurde auf dem Weg zu den vier Verletzten Zeuge davon, wie die israelischen Streitkräfte die vier Männer töteten. Dann wurde er festgenommen. Er wurde verhört und befragt, was er dort mache. Er erklärte, dass er sich auf einer Rettungsmission befand, nachdem er gerufen worden war, um die vier verletzten Männer zu retten.

Vom ersten Moment an war er Misshandlungen ausgesetzt. Er wurde aufgefordert, sich in der Öffentlichkeit vollständig zu entkleiden. Er wurde sofort an Händen und Füßen gefesselt und mit verbundenen Augen in ein israelisches Gefängnis gebracht, wo er wiederholt verhört und zu einem Geständnis gezwungen werden sollte. Wie uns Walid Khalili erklärte, ging es bei den Verhören hauptsächlich um folgende Fragen: „Sind Sie ein Mitglied der Hamas?“ „Wissen Sie, wo die Hamas Geiseln festhält?“ Als er Sde Teiman erreichte, hörte er Stimmen und Schreie anderer Gefangener. Dann  nahmen ihm die israelischen Soldaten die Augenbinde ab.

Die Aussagen von Walid Khalili waren für mich selbst extrem erschütternd. Er berichtete, dass er nach dem Entfernen der Augenbinde sah, wie Hunderte – er sagte, Dutzende – von palästinensischen Gefangenen an Ketten aufgehängt wurden, die an der Decke des Lagerhauses in Sde Teiman befestigt waren. Er sah, wie Männer Windeln trugen und weder vollständig noch richtig bekleidet an den Ketten hingen. Und dann verstand er, woher diese Schreie und Foltergeräusche kamen.

Dann erzählte er uns, wie die israelischen Streitkräfte ihn zwangen, ein Kleidungsstück mit Drähten zu tragen und ein Stirnband, das ebenfalls mit Drähten versehen war. Später wurde er, ähnlich wie die anderen Gefangenen, an den Ketten aufgehängt, die an der Decke angebracht waren. Und dieses Kleidungsstück, dieser weiße Overall, war im Grunde genommen dazu da, Walid Khalili während der Verhöre immer wieder Stromschläge zu versetzen und ihn zu schocken. Er wurde also mit Stromschlägen traktiert und er berichtete davon, dass er mit Benzin übergossen wurde.

Während seiner Verlegung in eine andere Haftanstalt in der Al-Naqab-Gegend saß ein palästinensischer männlicher Häftling neben ihm, der sichtbar aus dem Gesäßbereich blutete. Der Mann erzählte Walid Khalili, dass er von drei Soldaten während der Leibesvisitation und des Verhörs mit einem M16-Sturmgewehr vergewaltigt worden war.

Am Ende des Interviews mit Walid Khalili bat er uns, die internationale Gemeinschaft, wirklich zu verstehen, wie es um die palästinensischen Gefangenen steht. Es geht um sexuelle Gewalt. Es geht um Vergewaltigung. Medizinische Vernachlässigung. Essensentzug. Und all das geschieht permanent, ohne Unterlass. Es sind äußerst erschütternde Zeugnisse. Ich habe drei Jahre lang mit einer palästinensischen Gefangenenorganisation zusammengearbeitet, aber wir haben noch nie so detaillierte, so brutale und extrem gewalttätige Berichte gehört.

Und um noch einmal auf den Punkt zurückzukommen: 9.000 palästinensische Gefangene und Häftlinge befinden sich derzeit in israelischem Gewahrsam. Das ist eine noch nie dagewesene Zahl. Diese Zahl haben wir seit der zweiten Intifada im Jahr 2000 nicht mehr gesehen. Und auch hier gilt, dass es sich bei diesen Berichten nicht um Einzelfälle handelt. Wir hören dies vom OHCHR. Wir hören es von israelischen und palästinensischen Menschenrechtsorganisationen. Die Haftbedingungen müssen also so schnell wie möglich und unverzüglich überwacht und kontrolliert werden, und die israelischen Behörden müssen dazu gedrängt werden, PalästinenserInnen freizulassen, die unrechtmäßig inhaftiert sind, gegen die keine Anklage erhoben wurde und denen kein Prozess gemacht wird.

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Zum Weiterlesen:

 

Bericht von Human Rights Watch: Palestinian Healthcare Workers Tortured

ICC Prosecutor Should Investigate Attacks on Health Care, Detainee Abuses

26. August 2024

 

Von Milena Ansari, 26. August 2024





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