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Rede vor dem UN-Sicherheitsrat: „Die Lebensbedingungen im Gazastreifen sind für das menschliche Überleben nicht geeignet.“

Briefing des UN-Sicherheitsrats über den Schutz der Zivilbevölkerung im Gazastreifen durch Joyce Msuya, amtierende Unter-Generalsekretärin für humanitäre Angelegenheiten und Nothilfekoordinatorin.

12. November 2024 (Originalbeitrag in englischer Sprache)

 


Herr Präsident, sehr geehrte Mitglieder des Sicherheitsrates, ich danke Ihnen für die Gelegenheit, Sie über die katastrophale Lage in Gaza informieren zu können.


Unser Dank gilt auch unseren KollegInnen vom Büro des Hochkommissars für Menschenrechte und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation. Wir teilen die ernsten Bedenken, die sie heute geäußert haben, ohne Wenn und Aber.


Seit der Eskalation dieses Konflikts im Oktober 2023 haben wir diesen Rat bei nicht weniger als 16 Gelegenheiten unterrichtet.


Wir haben den Tod, die Zerstörung und die Entmenschlichung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen verurteilt, die aus ihren Häusern vertrieben, ihrer Heimat und ihrer Würde beraubt und gezwungen wurde, mit anzusehen, wie ihre Familienmitglieder getötet, verbrannt und lebendig begraben wurden.


Verletzten Kindern wurde der Schriftzug „Wounded Child No Surviving Family“ (WCNSF; „Verwundetes Kind, keine überlebende Familie“) am Arm angebracht.


Der größte Teil des Gazastreifens ist heute eine Trümmerlandschaft. Welche Unterscheidungen und welche Vorkehrungen wurden getroffen, wenn mehr als 70 % der zivilen Unterkünfte entweder beschädigt oder vollkommen zerstört sind?


Die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen, einschließlich der Stromversorgung, ist nahezu vollständig eingestellt. Dies hat zu zunehmendem Hunger, Verhungern und nun, wie wir gehört haben, wahrscheinlich zu einer Hungersnot geführt. Wir sind ZeugInnen von Handlungen, die an schwerste internationale Verbrechen erinnern.

Herr Präsident, die jüngste Offensive, die Israel im vergangenen Monat im nördlichen Gazastreifen begonnen hat, ist eine verschärfte, extreme und beschleunigte Version der Schrecken des vergangenen Jahres.


Notunterkünfte, Häuser und Schulen wurden niedergebrannt und in Schutt und Asche gebombt.

Zahlreiche Familien sind nach wie vor unter den Trümmern eingeschlossen, weil die israelischen Behörden den Treibstoff für die Grabungsgeräte blockieren und die Rettungskräfte nicht zu ihnen durchdringen können.


Krankenwagen sind zerstört worden. Und Krankenhäuser wurden angegriffen.

Die Versorgung des Nordens wurde unterbrochen und die Menschen werden weiter in den Süden vertrieben.


Die tägliche Grausamkeit, die wir in Gaza erleben, scheint keine Grenzen zu kennen. Beit Hanoun wird seit mehr als einem Monat belagert. Gestern wurden Notunterkünfte mit Lebensmitteln und Wasser versorgt, doch heute haben israelische Soldaten die Menschen gewaltsam aus denselben Gebieten vertrieben.


Die belagerten BewohnerInnen berichten uns, dass sie Angst haben, dass sie angegriffen werden, wenn sie Hilfe erhalten.


Während ich Sie informiere, verhindern die israelischen Behörden, dass humanitäre Hilfe in den nördlichen Gazastreifen gelangt, wo die Angriffe weitergehen und etwa 75.000 Menschen mit immer knapper werdenden Wasser- und Lebensmittelvorräten ausharren.


Die Lebensbedingungen im Gazastreifen sind für das menschliche Überleben nicht geeignet. Die Lebensmittel sind unzureichend. Die vor dem Winter benötigten Unterkünfte sind äußerst knapp. Gewalttätige bewaffnete Plünderungen unserer Konvois haben entlang der Routen von Kerem Shalom zugenommen, angetrieben durch den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung und Sicherheit.


Viele Suppenküchen für die Nahrungsmittelhilfe mussten schließen. Im Oktober 2024 ging die tägliche Lebensmittelverteilung im Vergleich zum September 2024 um fast 25 Prozent zurück.

Dies sind keine logistischen Probleme – sie können mit dem richtigen politischen Willen gelöst werden. Die Ankündigung des israelischen Militärs, dass der Kissufim-Übergang ins Zentrum des Gazastreifens geöffnet wurde, kann gar nicht rechtzeitig genug kommen.


Unsere Fähigkeit, auf diese Probleme zu reagieren wird sabotiert, unter anderem durch das Gesetz der israelischen Knesset, das ab Januar ein Verbot der UNRWA-Aktivitäten vorsieht. Sollte dieses Gesetz umgesetzt werden, wäre dies ein weiterer verheerender Schlag gegen die Bemühungen, lebensrettende Hilfe zu leisten und die drohende Hungersnot abzuwenden. Keine andere Organisation kann diese Lücken füllen.


Herr Präsident, wir sind auch weiterhin besorgt über die sich verschlechternde Lage der Palästinenserinnen und Palästinenser im Westjordanland. Die israelische Armee wendet weiterhin tödliche Taktiken an, die offensichtlich nicht den Standards der internationalen Gesetzgebung entsprechen. Außerdem verursachen sie Schäden an den Wasser- und Abwassernetzen und anderen Infrastrukturen.


Auch der Abriss von Häusern, die PalästinenserInnen gehören, geht weiter. Am 5. November wurden im Gebiet Silwan außerhalb der Jerusalemer Altstadt neun Häuser abgerissen, wodurch 42 Menschen, fast die Hälfte von ihnen Kinder, vertrieben wurden, um Platz für ein illegales Siedlungsprojekt zu schaffen.


Israelische SiedlerInnen setzen ihre Angriffe auf PalästinenserInnen und deren Eigentum fort. Allein im Oktober wurden mehr als 160 Vorfälle im Zusammenhang mit der Olivenernte dokumentiert, von denen die meisten zu Verletzten [auch mit Todesfolge, Anm.] oder Sachschäden führten.


Bewegungseinschränkungen erschweren den Zugang der Zivilbevölkerung zu grundlegenden Diensten, insbesondere zur Gesundheitsversorgung, in den Flüchtlingslagern und im Gebiet C, wo Hilfsorganisationen die palästinensischen Gemeinden bei der Deckung des Bedarfs unterstützen.


Herr Präsident, die grundlegendsten Anforderungen der Menschlichkeit werden missachtet.

Dies sind Anforderungen, die die Mitglieder dieses Rates und in der Tat alle Mitgliedstaaten im internationalen humanitären Recht und in den Menschenrechten verankert haben. Sie müssen respektiert werden.


Bei militärischen Operationen muss stets darauf geachtet werden, dass die Zivilbevölkerung geschont wird.


ZivilistInnen müssen die Möglichkeit haben, anderswo Schutz zu suchen, und es muss ihnen das Recht auf freiwillige Rückkehr garantiert werden, wie es das Völkerrecht verlangt. Berichte, die darauf schließen lassen, dass die Menschen nicht zurückkehren dürfen, sollten diesen Rat mit großer Sorge erfüllen.


Die Parteien müssen sicherstellen, dass die Grundbedürfnisse der Zivilbevölkerung erfüllt werden, und müssen den ungehinderten humanitären Zugang zu den Bedürftigen ermöglichen, wo immer sie sich befinden.


Geiseln und willkürlich festgehaltene Personen müssen unverzüglich freigelassen werden. In der Zwischenzeit müssen sie menschlich behandelt werden und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz muss sie besuchen dürfen. Der wahllose Raketenbeschuss auf Israel muss aufhören.


Für internationale Verbrechen muss Rechenschaft abgelegt werden. Die vorläufigen Anordnungen des Internationalen Gerichtshofs im Fall der Anwendung der Völkermordkonvention im Gaza-Streifen und die Feststellungen in seinem Gutachten vom Juli 2024 müssen jetzt umgesetzt werden.


Herr Präsident, es ist jetzt an der Zeit, dass die Mitgliedstaaten ihren Einfluss geltend machen, um Verletzungen des humanitären Völkerrechts zu verhindern und zu beenden – durch diplomatischen und wirtschaftlichen Druck, verantwortungsvolle Waffentransfers und die Bekämpfung der Straflosigkeit.


Jetzt ist es an der Zeit, dass der Sicherheitsrat seine Befugnisse gemäß der UN-Charta nutzt, um die Einhaltung des Völkerrechts und die vollständige Umsetzung seiner Resolutionen sicherzustellen.


Ich danke Ihnen.



 

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