Dr. Mahmoud Abu Shahada, ohne Anklage festgehalten, wurde nach seiner Verhaftung beim israelischen Angriff auf das Nasser-Krankenhaus in Gaza monatelang physisch und psychisch misshandelt.
Von Ruwaida Kamal Amer, 972Mag, 18. Februar 2025
(Originalbeitrag in englischer Sprache und dazugehörendem Fotomaterial)
Im Angesicht der zahlreichen Angriffe der israelischen Armee auf medizinische Einrichtungen im Gazastreifen in den letzten anderthalb Jahren kann man leicht die menschlichen Auswirkungen aus den Augen verlieren. Die Geschichte von Dr. Mahmoud Abu Shahada, dem Leiter der orthopädischen Abteilung des Nasser Medical Complex in Khan Younis, hilft, die willkürliche Brutalität und Grausamkeit der Angriffe zu verdeutlichen.
Abu Shahada war einer von 70 medizinischen Mitarbeitern, die am 17. Februar 2024 während des israelischen Einmarsches in das Krankenhaus zusammen mit Dutzenden von Patienten verhaftet wurden. Die Verhaftungen waren der Höhepunkt einer fast einmonatigen Belagerung der zweitgrößten medizinischen Einrichtung des Gazastreifens, bei der die Truppen das Krankenhaus und seinen Innenhof bombardierten, die Nordmauer des Komplexes einrissen, die Wassertanks beschossen und die Stromversorgung unterbrachen.
Abu Shahada hatte sich nach Angaben seines Anwalts nicht an den Kämpfen beteiligt, wurde aber von Israel fast ein Jahr lang festgehalten, immer wieder misshandelt und gezwungen, unter harten Bedingungen zu leben. Nach einem Einspruch beim Obersten Gerichtshof Israels wurde Abu Shahada schließlich am 10. Januar freigelassen. Kurz danach sprach er mit +972 in einem Interview, das aus Gründen der Länge und Klarheit bearbeitet wurde.
Können Sie sich bitte kurz vorstellen?
Mein Name ist Mahmoud Abu Shahada und ich bin 42 Jahre alt. Ich arbeite im Nasser Medical Complex als Facharzt und leite seit 2017 die orthopädische Abteilung. Ich habe seit 2009 im Gesundheitswesen gearbeitet.
Wie alle Menschen in Gaza habe ich viele Kriege miterlebt, und ich habe PatientInnen behandelt, die von israelischen Streitkräften während der Proteste des „Great March of Return“ verwundet wurden. Aber nichts war so intensiv, so brutal und so grausam wie dieser Krieg, mit so viel Vertreibung und Zerstörung.
Erzählen Sie uns bitte von Ihrem Leben vor dem Krieg und wie es sich nach dem 7. Oktober verändert hat.
Vor dem 7. Oktober lebten wir ein ruhiges Leben. Von morgens bis 14.00 Uhr war ich im Krankenhaus und arbeitete. Danach verbrachte ich etwas Zeit mit meiner Familie. Vom späten Nachmittag bis zum Abend arbeitete ich in meiner Privatklinik, mit Ausnahme donnerstags, der mein freier Tag war. An diesem Tag hatten meine Kinder und meine Frau frei, und es war immer viel los; wir gingen aus und aßen auswärts zu Abend. Es war ein schöner Tag, auf den wir uns immer freuten. Wir konnten so die den Druck der Arbeit und des Lebens ein wenig vergessen.
Nach dem 7. Oktober habe ich viel im Krankenhaus gearbeitet. Wir bereiteten die medizinischen Teams auf die Aufnahme der Verwundeten vor. Meine Kinder waren zu Hause in der Nähe der südlichen Zweigstelle der Islamischen Universität, und ich besuchte sie zweimal in der Woche.
Am 5. Dezember 2023 begann jedoch die Bodeninvasion in Khan Younis. Es war sehr schwierig für mich, weil ich nicht in meinem Haus war, als die israelischen Panzer sich diesem näherten. Meine Familie konnte an diesem Morgen nur mit Mühe fliehen, sie kamen im European Hospital [etwas außerhalb der Stadt] unter. Ich setzte meine Arbeit im Nasser-Komplex fort und besuchte einmal in der Woche meine Familie. Ich verbrachte einen Tag bei ihnen und kehrte dann im Wechsel mit den Ärzten, die ebenfalls einen Tag lang ihre Familien im Europakrankenhaus besuchten, zu meiner Arbeit zurück. Diese Situation hielt bis Anfang Februar an, als Israel begann, das Nasser-Krankenhaus zu belagern, und meine Kinder darauf bestanden, in meiner Nähe zu sein.
Können Sie beschreiben, was im Vorfeld der israelischen Stürmung geschah?
Am Abend des 15. Februar stürmten die israelischen Streitkräfte einen der Räume in der orthopädischen Abteilung neben meinem Büro. Im gesamten Krankenhaus herrschte Angst. Die Armee befahl uns, die Vertriebenen und die PatientInnen, die noch gehen konnten, zu evakuieren, und ließ nur die Ärzte und die immobilen PatientInnen zurück.
Es fiel mir sehr schwer, mich von meinen Kindern zu verabschieden, aber ich hatte große Angst davor, was mit ihnen geschehen würde, wenn sie blieben. Sie gingen mit meiner Frau im Morgengrauen durch den humanitären Korridor. Es regnete an diesem Tag und ich werde den Moment nicht vergessen, in dem wir uns trennten, ohne dass wir wussten, was das Schicksal bringen würde.
Was geschah am Tag Ihrer Verhaftung?
Die Soldaten stellten alle Ärzte vor dem Verwaltungsgebäude auf und befahlen uns, unsere Kleidung abzulegen. Sie überprüften unsere Identität, verbanden uns die Augen, legten uns Handschellen an und führten uns in den Keller eines der Gebäude, wo sie uns demütigten, beschimpften und schwer schlugen.
Von Freitagnachmittag bis Samstagmorgen durchlebten wir eine harte Nacht voller Schläge und Misshandlungen. Es war kalt, wir waren nackt, und sie bespritzten uns mit kaltem Wasser. Im Morgengrauen luden sie uns in große offene Lastwagen und brachten uns in Internierungslager. Sie fuhren schnell, und ich spürte, wie der Lkw wegen der rauen Straße wackelte.
Während des Transports bespritzten sie uns erneut mit kaltem Wasser und schlugen uns, bis wir die Internierungslager erreichten. Sie zerrten uns auf sehr erniedrigende Weise aus den Lastwagen und schlugen uns abermals, bevor sie erneut unsere Identitäten überprüften und uns eine Hose und einen Pullover anzogen.
Die Gefangenenlager waren mit Stacheldraht und Ketten umgeben, die wie Käfige aussahen. Sie steckten uns in Arrestzellen, die jeweils mit einer Matratze, nicht dicker als einen Zentimeter, ausgestattet waren, auf der wir den ganzen Tag saßen, immer noch mit Handschellen und verbundenen Augen. Zwei Monate lang wurden wir ständig in Verhörräume verlegt und dabei gedemütigt und gefoltert.
Dann wurden wir in das Lager Ofer verlegt, das aus vielen Räumen mit jeweils etwa 15 bis 20 Gefangenen bestand. Unsere Hände waren noch immer gefesselt, und erst nach zwei vollen Tagen nahm man uns die Augenbinden ab. Die Schläge und Misshandlungen gingen weiter. Zwei- oder dreimal am Tag kamen maskierte Soldaten herein und brachten uns von einem Raum zum anderen, schlugen und demütigten uns, entwendeten uns das gesamte Essen und Wasser und warfen es draußen weg.
Welche Erfahrungen haben Sie im Gefängnis gemacht?
Ich habe etwa drei Monate in Ofer verbracht. Sie gaben uns drei Mahlzeiten am Tag: vier kleine Stücke Brot und einen Löffel Joghurt oder einen halben Löffel Marmelade. Das war völlig unbrauchbares Essen. Ihr Ziel war es wohl, uns am Leben zu erhalten, mehr aber auch nicht. Was die persönliche Hygiene betrifft, so war sie sehr schlecht. Alle zwei Wochen wurde das Wasser in den Badezimmern aufgedreht, um ohne Seife, Shampoo, Zahnpasta oder Zahnbürste zu duschen. Wir litten sehr, wenn wir auf die Toilette gingen.
Nach drei Monaten wurden wir in das Negev-Gefängnis [Ketziot] verlegt, wo wir noch mehr Schlägen und Misshandlungen ausgesetzt waren. Ich erlitt schwere Prellungen im Brustbereich, gebrochene Rippen und Wunden an den Händen, weil ich gefesselt war.
Als ich in [Ketziot] ankam, litten die anderen Gefangenen an Hautkrankheiten, Eiter und schweren Infektionen. Nach einer Weile griffen die Infektionen auch auf uns über. Wir litten unter Krankheit, Müdigkeit und Schwäche, so dass wir nicht mehr stehen konnten und uns schwindlig wurde und wir ständig benommen waren.
Das Schlimmste war das Duschen und die Körperhygiene. Das Wasser wurde für viele Stunden abgestellt, auch das Trinkwasser. Das Wasser in den Duschen war kalt. Wir waren gezwungen, es zu benutzen, um die Körperhygiene aufrechtzuerhalten, aber wir litten unter Krankheiten.
Wir erhielten Nachrichten von den neuen Gefangenen, die aus dem Gazastreifen kamen. Sie erzählten uns, dass der Krieg weiterging, die Zerstörung und das Töten um ein Vielfaches zugenommen hatten und eine Hungersnot herrschte. Wir waren sehr traurig um unsere Familien und beteten, dass der Krieg beendet würde und unsere Familien und wir in Sicherheit sein würden.
Wenn andere Gefangene freigelassen wurden, baten wir Zurückgebliebenen sie, unseren Familien Nachrichten zu schicken, um ihnen zu versichern, dass es uns gut ging. Wir logen und sagten, dass wir gesund seien und dass es uns trotz der harten Bedingungen und der Krankheiten gut ginge, denn wir wussten, dass das Leben außerhalb des Gefängnisses ebenfalls schwierig war, inmitten von Vertreibung und Hunger.
Am 6. Juni, nach viereinhalb Monaten Haft, konnte ich mich mit meinem Anwalt Khaled Zabarqa treffen, der mich bezüglich meiner Familie beruhigen konnte. Er teilte mir mit, dass laut meiner Akte keine Anklage gegen mich vorliegt und dass ich ein Kriegsgefangener bin. Er erklärte, dass er mich bei der nächsten Gerichtsverhandlung begleiten und sich für meine Freilassung einsetzen würde.
Der nächste Besuch von Zabarqa fand jedoch erst wieder am 17. September statt. Während meiner gesamten Haftzeit durfte ich nur diese beiden Besuche mit meinem Anwalt machen. Als er sah, dass mein Gesundheitszustand schlecht war, stellte er einen Antrag auf medizinische Behandlung. Sie sagten ihm, dass sie mich behandeln würden, aber sie taten es nicht.
Am 30. September hatte ich eine weitere Gerichtsanhörung. Man teilte mir mit, dass keine Anklage gegen mich vorliege, aber die Staatsanwaltschaft eine Verlängerung meiner Haftzeit beantragt habe, weil ich der Hamas „geholfen“ habe oder mit ihr „verbunden“ sei. Sie betrachteten jeden Angestellten [des öffentlichen Sektors] als Mitglied der Hamas, so dass sie mich aufgrund meiner Arbeit im Krankenhaus als Mitglied einer terroristischen Organisation ansahen.
Nachdem die israelischen Behörden meine Administrativhaft erneut verlängert hatten, legte mein Anwalt beim Obersten Gerichtshof Einspruch gegen die Entscheidung ein. Drei Monate später, am 31. Dezember, hatte ich eine weitere Gerichtsanhörung und wurde in das Haftzentrum Sde Teiman verlegt. Dort wurde ich in Einzelhaft untergebracht, erhielt aber zum ersten Mal eine medizinische Behandlung.
Können Sie uns etwas über den Moment Ihrer Entlassung erzählen?
Am 10. Tag meiner Behandlung, dem 10. Januar 2025, wurden mir frühmorgens die Handschellen und Augenbinden abgenommen und ich wurde zum Grenzübergang Karem Abu Salem [Kerem Shalom] gebracht. Dort standen Autos des Roten Kreuzes, und sie sagten mir, ich solle zu ihnen gehen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl – ich konnte [vor Aufregung] nicht mehr gehen. Ich habe sehr viel geweint, weil ich endlich Freiheit atmete. Zum ersten Mal sah ich den Himmel ohne Gitter.
Ich bewegte mich schnell auf das Fahrzeug des Roten Kreuzes zu, das mich zum European Hospital in Gaza brachte. Ich war sehr müde und sie baten mich, einige medizinische Tests zu machen, aber ich weigerte mich und ging nach Hause. Das Einzige, woran ich denken konnte, war, nach einem Jahr im Gefängnis nach Hause zu kommen und meine Familie zu sehen.
Die Stunden nach meiner Entlassung waren Stunden der Freude, gemischt mit Schmerz. Ich war froh, dass es meiner Familie gut ging, aber auch traurig über die Zerstörung, die ich sah, und über die Zahl der Verwandten und geliebten Menschen, die getötet worden waren. Und ich wünschte mir, dass alle meine Mitgefangenen an diesem Tag bei mir wären, um die Freiheit zu genießen.
Am Tag nach meiner Entlassung ging ich zurück ins Krankenhaus, um mich den restlichen medizinischen Untersuchungen zu unterziehen. Sie gaben mir Infusionen, weil ich blutarm war und unter Eiweißmangel und Schwellungen in den Gliedmaßen litt. Aber ich war nicht damit einverstanden, im Krankenhaus zu bleiben, weil meine Schwestern Ärztinnen sind und ich die Möglichkeit hatte, die Behandlung zu Hause zu beenden.
Heute geht es mir physisch und psychisch langsam besser, aber ich sehne mich immer noch nach der Freilassung der übrigen palästinensischen Gefangenen. Ich weiß, was es heißt, im Gefängnis zu sein, gefoltert und gedemütigt zu werden.
Wie war die schrittweise Rückkehr ins Leben in Gaza?
Ich konnte es nicht ertragen, keine PatientInnen zu versorgen, also kehrte ich [nach einiger Zeit zu Hause] zum Nasser Medical Complex zurück. Es war ein schwieriger Moment; ich bekam eine Gänsehaut. Ich sah die Orte, an denen ich so viel Zeit verbracht hatte, und erinnerte mich an den Moment meiner Verhaftung und die Folter, die ich dort erlebt hatte.
Ich war sehr froh, dass der Komplex wieder funktionierte – natürlich eingeschränkt und nicht mit seiner früheren Kapazität. Ich hoffe, dass wir unseren Leuten, den Kranken und Verwundeten, wieder bald mit voller Kapazität dienen können – und zwar noch besser als zuvor.
Wie denken Sie über die Zukunft?
Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Angesichts des Ausmaßes der Zerstörung, des Lebens in Zelten, des Regens und der Kälte, der hohen Preise und des Mangels an Wasser, Dienstleistungen und vielen anderen Grundversorgungsgütern fällt es schwer, sich vorzustellen, was den Gazastreifen erwartet. Wir hoffen, dass sich die Lage bessert und wir unser tägliches Leben weiterführen können.
Wie beurteilen Sie die Reaktion der Welt auf die Notlage der ÄrztInnen in Gaza?
Seit Beginn des Krieges bis heute haben wir ÄrztInnen leider immer weniger Interesse mehr daran, die Welt zu informieren, weil sie angesichts der Massaker und der Zerstörung in Gaza ohnehin schweigt. Es ist beschämend, dass die Welt und die Menschenrechtsorganisationen sehen, was vor sich geht und keinen Finger rühren, um Gaza und seine Bevölkerung zu retten. Aber wir hoffen immer noch, dass unser ständiger Hilferuf an diejenigen erhört wird, die ein Herz haben, um zu retten, was noch übrig ist.
Ein Sprecher der israelischen Armee erklärte gegenüber +972, dass die israelische Armee „in Übereinstimmung mit israelischem und internationalem Recht handelt, um die Rechte der Personen in ihren Hafteinrichtungen zu wahren“. Der Sprecher fügte hinzu, dass die Gefangenen „regelmäßige medizinische Untersuchungen“ sowie „Hygieneartikel nach Bedarf“ und „drei Mahlzeiten pro Tag in einer Art und Menge, die von einem Ernährungsberater genehmigt wurde, um ihre Gesundheit zu erhalten“ erhalten. +972 hat auch die israelische Strafvollzugsbehörde um eine Stellungnahme gebeten; deren Antwort wird hinzugefügt, sobald sie vorliegt.
Ruwaida Kamal Amer ist eine freiberufliche Journalistin aus Khan Younis.

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