Stimmen zur Hungersnot in Gaza
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- 30. Juli
- 16 Min. Lesezeit
„Wir haben keine Worte mehr dafür, um zu sagen, was in Gaza passiert. Lassen Sie mich stattdessen die Fakten nennen: Nahrungsmittel gehen zur Neige. Wer sie sucht, riskiert, erschossen zu werden. Feldlazarette werden mit Leichen belegt. Die Hungersnot bei Kindern erreichte im Juni ihren Höchststand.“
Tom Fletcher, UN-Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten und Nothilfekoordinator, beim Briefing des UN-Sicherheitsrats, 17. Juli 2025
„Wir lassen die Kinder von Gaza im Stich. Mit ihren Augen betrachtet, ist unser Versagen ein Verrat an ihrem Recht, Kinder zu sein. Kinder zu sein, die gesund, in Sicherheit und gebildet sind. Die Geschichte wird dieses Versagen hart verurteilen. Und die Kinder werden es ebenso verurteilen.“
UNICEF-Exekutivdirektorin Catherine Russell beim Briefing des UN-Sicherheitsrats, 17. Juli 2025
„Ein Vater ist heute losgegangen, um Milch für seinen unterernährten kleinen Buben zu besorgen. Er kam ohne Milch zurück. Er kam zurück und hatte keinen Sohn mehr. Während der Vater verzweifelt auf dem Markt suchte, lag sein Baby zu Hause und machte seine letzten Atemzüge, während der Hungertod es mit sich riss.“
Nahed Hajjaj, palästinensischer Journalist, 19. Juli 2025
„Als Vater fühle ich mich verzweifelt und hilflos. Ich kann meinen Kindern nicht die Liebe und den Schutz bieten, die ich ihnen geben will.
Anstatt meinen Kindern oft zu sagen „Ich liebe dich“, habe ich in den letzten zwei Wochen immer wieder gesagt: „Kinder, esst weniger. Kinder, trinkt weniger."
Und ich stelle mir vor, dass dies das letzte ist, was ich zu ihnen sage, und es ist niederschmetternd.“
Refaat Alareer, palästinensischer Schriftsteller und Universitätsprofessor, im Oktober 2023 (!). Alareer wurde am 6. Dezember 2023 von der israelischen Armee getötet.
„Vor ein paar Wochen erzählte mir meine Schwester, dass sie sich nach etwas Süßem sehnte, nur einen Bissen, nachdem sie monatelang keinen einzigen Zucker gegessen hatte. Als sie schließlich eine Packung Kekse sah, kaufte sie sie, obwohl sie absurd überteuert war. Sie teilte die Kekse auf: ein Stück für sich, eines für ihren Mann und eines für jedes ihrer drei Kinder. So blieben zwei Stück übrig. Sie wollte sie gleichmäßig unter den Kindern aufteilen, aber ihre Älteste, 9, bat sie, sie den Kleinen zu geben, da sie es ertragen könne, nicht genug zu haben, ihre kleineren Geschwister jedoch nicht.
Und seitdem kann ich nicht aufhören, daran zu denken. Es verfolgt mich auf Schritt und Tritt. Denn ein so junges Kind sollte nicht solche Opfer bringen müssen. Sie sollte nicht berechnen, wer zu essen bekommt. (…) Ich kann nicht aufhören, an meine Nichte zu denken. An unsere Kinder in Gaza. An die vielen Kapitel ihrer Kindheit, die sie auslassen müssen. An die Verantwortung, die sie auf ihren kleinen Schultern tragen. An alles, was sie verloren haben. An alles, was sie nie erleben durften. Unsere Kinder haben etwas Besseres verdient.
So viel Besseres.“
Haya Abu Shammala, (vormals) Studentin der englischen Literatur an der Islamischen Universität von Gaza, 20. Juli 2025
„In der Psychologie wird die Lebensmittelnostalgie [d.h. Lebensmittel, die uns an unsere Kindheit erinnern, Anm.] als eine Form der emotionalen Sehnsucht betrachtet, die ein Gefühl von Identität, Trost und Zugehörigkeit vermittelt. Sie kann als Bewältigungsmechanismus in Zeiten von Stress oder Verlust dienen (Locher et al., 2005; Wildschut et al., 2006). Für Kinder im Gazastreifen weicht diese Nostalgie jedoch von der Norm ab. Statt sich an vergangene Kindheitserinnerungen zu erinnern, sind Kinder wie mein Neffe Adam, der 7 Jahre alt ist, nostalgisch für die Gegenwart. In seiner einfachen handschriftlichen Notiz listet er Lebensmittel, Säfte, Getränke und Süßigkeiten auf, die er am meisten vermisst.
Dabei handelt es sich nicht um Erinnerungen an frühere Zeiten, sondern um Lebensmittel, die er noch vor kurzem gegessen hat, bevor sie durch Völkermord, Krieg und Blockade nicht mehr verfügbar waren. Adam erlebt, wie ganz Gaza, was Psychologen normalerweise nicht untersuchen: eine Sehnsucht nach einer Vergangenheit, die immer noch gegenwärtig ist; und nach einer Gegenwart, die auf grausame Weise beschädigt und verloren wurde. Für ihn und andere Kinder in Gaza ist die Nahrungsmittelnostalgie keine süße Erinnerung, sondern eine der täglichen Trauer, des Hungers und des Leidens.
Die Kinder schrieben in ihren Notizen:
„Mama, ich möchte gerne Kirschsaft, Traubensaft, Erdbeersaft“
„Mama, ich möchte drei Teller mit Ma’moul [Dattelkeksen, Anm.] und drei Teller mit Ghariba [Sandteiggebäck, Anm.]““
Nemer A. Shaheen aus Gaza, Doktorand und Stpendiat and der Universität Flensburg, 17. Juli 2025
„Heute gab es ein weiteres Mehl-Massaker. Die Israelis erschossen mehr als 90 hungernde Zivilist*innen und verletzten mehr als 500, als sie sich UN WFP-Lebensmittelhilfslieferungen näherten.
Wer sich den Hilfstransporten nähert, wird getötet. Wer zum Meer geht, wird getötet. Wir sind in einem Freiluftgefängnis gefangen, wo uns israelische Soldaten einen nach dem anderen abschlachten.“
Palästinensischer Arzt, aufgezeichnet von Gaza Medic Voices, 20. Juli 2025
„Ich habe heute mit meinem Bruder gesprochen. Ich fragte ihn, was er und seine Familie heute gegessen haben. Er sagte: „Wir hatten Tee zum Frühstück und das war's.“
Mein Bruder ist finanziell stabil und er unterstützt sogar andere, aber es gibt einfach nichts mehr, was man mit Geld kaufen könnte.“
Maha Hussaini, EuroMedMonitor-Mitarbeiterin und Journalistin, auf X (Twitter) am 20. Juli 2025
„Seien Sie nicht überrascht, wenn wir Journalisten hier nicht mehr über Neuigkeiten berichten. Heute konnte ich vor Hunger nicht aufstehen. Es gibt nichts zu essen. Selbst wenn jemand Geld hat, gibt es auf dem Markt nichts, was man kaufen könnte. Wir sind alle am Verhungern. Wir sind alle am Sterben. “
Nahed Hajjaj, palästinensischer Journalist, 19. Juli 2025
„Menschen kollabieren auf der Straße. Sie sind vom Hunger so sehr geschwächt, sie fallen einfach um.“
Anas Al-Sharif, Al Jazeera-Korrespondent, brach während einer Live-Übertragung vor dem Al-Shifa Spital in Tränen aus, 20. Juli 2025
„Es bricht mir das Herz, wenn ich von Bekannten, Verwandten und Freund*innen Nachrichten erhalte, in denen sie mich um Mehl oder andere Lebensmittel für ihre Familien bitten... während ich kaum für Nahrung für mich selbst sorgen kann. Die Situation verschlechtert sich im Norden, in der Mitte und im Süden. Jeder Zentimeter des Gazastreifens ist vom Hunger gezeichnet. 2 Millionen Palästinenser*innen hungern.“
Hind Khoudary, palästinensische Journalistin, 18. Juli 2025
„Keiner wird verschont: Auch die Helfer im Gazastreifen sind nun auf Hilfe angewiesen. Ärzt*innen, Krankenpfleger*innen, Journalist*innen und humanitäre Helfer*innen hungern. Viele werden nun bei der Ausübung ihrer Tätigkeit vor Hunger und Erschöpfung ohnmächtig.“
Philippe Lazzarini, UNRWA-Generalkommissar, 21. Juli 2025
„Wir lassen Gaza verhungern.“
Addam Yekutieli, israelischer Künstler, 20. Juli 2025
„Gaza hungert nicht - Gaza stirbt.
Die UNO hat es bestätigt: Gaza befindet sich in Phase 5 der Hungersnot - dem letzten, tödlichsten Stadium.
Es gibt keine Lebensmittel. Kein sauberes Wasser.
Kinder verkümmern vor den Augen ihrer Eltern.
Die Menschen brechen vor Hunger zusammen.
Und die Welt schaut zu.“
Dr. Fadel Naim, orthopädischer Chirurg aus Gaza, 20. Juli 2025
„Ich beschäftige mich seit mehr als vier Jahrzehnten mit diesem Thema, und es gab seit dem Zweiten Weltkrieg keinen Fall von Hungersnot, der so genau geplant und kontrolliert wurde wie dieser. Dies ist ein vermeidbarer Hunger. Er ist vollständig vom Menschen verursacht. Und jedes Stadium wurde vorhergesagt. Und in jeder Phase hätten Israel, die internationalen Behörden, die internationale Gemeinschaft und diejenigen, die Israel unterstützen, Maßnahmen ergreifen können, um zu verhindern, was jetzt geschieht. Und diese Schritte wurden einfach nicht unternommen. Was wir in den letzten Monaten gesehen haben, war eine totale Belagerung des Gazastreifens, gefolgt von einer teilweisen Lockerung. Aber die teilweise Lockerung diente nicht dazu, jene Art von humanitärem Programm durch zu führen, die wir seit Jahrzehnten als humanitäre Mitarbeiter*innen kennen. Es ging darum, ein Versorgungsprogramm einzuführen, das einfach ein Arm des israelischen Militärs ist.
Die Verpflichtung zur Vermeidung einer Hungersnot wurde aktiviert, als der Internationale Gerichtshof (IGH) zum Entschluss kam, dass ein plausibler Fall vorliegt und Israel vom IGH angewiesen wurde, bestimmten Pflichten nachzukommen, in diesem Fall humanitäre Hilfe zu leisten. Und ich muss hinzufügen, dass Israel in diesem Gericht vertreten ist. Und der israelische Richter, der frühere Höchstrichter Aharon Barak, stimmte für diese Bereitstellung von humanitärer Hilfe in sehr großem Umfang.
Israel hat sich nicht daran gehalten. 15, 16 Monate später kommt es immer noch nicht der Entscheidung des IGHs nach. Welches größere Warnsignal für die Wahrscheinlichkeit eines Völkermordes als diese richterliche Entscheidung, einschließlich des Votums des israelischen Richters, kann es geben?“
Alex de Waal, einer der weltweit anerkanntesten Experten für Hungersnöte und Direktor der World Peace Foundation, in einem Interview mit Al Jazeera, 21. Juli 2025
„Ich kann nicht rechtfertigen und ich kann nicht verteidigen, was wir in Gaza tun… Was wir in Gaza tun, kann niemand mehr rechtfertigen.“
Ami Ayalon, ehemaliger Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, in einem Interview mit CNN/Christiane Amanpour, 18. Juli 2025
„Ein ehemaliger Oberstleutnant der US-Spezialeinheiten, Anthony Aguilar, der bei der Gaza Humanitarian Foundation in Gaza mitgearbeitet hat, erzählte der BBC in einem Interview, dass er in seiner gesamten Karriere noch nie „ein solches Ausmaß an Brutalität und den Einsatz willkürlicher und unnötiger Gewalt gegen eine Zivilbevölkerung, eine unbewaffnete, hungernde Bevölkerung“ erlebt hat. „Ich habe so etwas noch nie an den Orten gesehen, an denen ich im Krieg eingesetzt war, bis ich in Gaza war, wo ich es durch die israelische Armee und amerikanische Söldner erlebt habe.“ In einer ungeschnittenen Version weist er darauf hin, dass er gegen die Taliban und den IS gekämpft habe, aber die Brutalität, die er durch die israelische Armee erlebt habe, sei schlimmer gewesen.“
Trita Parsi, schwedischer Autor und Experte für internationale Beziehungen, 26. Juli 2025
„Israel verursacht absichtlich Hungersnot und Chaos in Gaza. Heute durften nur 87 Hilfsgüter-Lkw einfahren – die meisten wurden in dem Chaos geplündert, das direkt durch die israelische Besatzung ausgelöst wurde. Israelische Streitkräfte blockierten zunächst die Lkw, griffen dann lokale Hilfsteams an und töteten elf Menschen. Erst danach durften die Lkws einfahren – und fielen unter dem Schutz israelischer Drohnen und Gewehrfeuer in die Hände bewaffneter Banden.
Dies ist kein Versagen – es ist eine kalkulierte Politik, um Hunger und Gesetzlosigkeit zu verbreiten.
Israel trägt die volle Verantwortung. Eine sofortige internationale Intervention ist erforderlich, um eine sichere und faire Verteilung der Hilfsgüter zu gewährleisten.“
Dr. Fadel Naim, Orthopädischer Chirurg in Gaza, 28. Juli 2025
„Der Hunger fordert weiterhin unschuldige Menschenleben - von Kindern, Frauen und Männern gleichermaßen. In weniger als 24 Stunden verzeichnete der Al-Shifa Medical Complex sechs Todesfälle aufgrund schwerer Unterernährung. Unter ihnen: ein Kind und zwei Schwestern in ihren Dreißigern. Sie starben hungrig, krank und verlassen. Andere Krankenhäuser in Gaza melden ebenfalls ähnliche Todesfälle – und die Zahlen steigen rapide an.
Das darf so nicht weitergehen.
Der Krieg muss beendet werden.
Die Grenzübergänge müssen geöffnet werden.
Lebensmittel und Medikamente müssen ins Land gelassen werden, sonst werden die Folgen noch katastrophaler sein.“
Dr. Mohammad Abu Salmiya, Direktor vom Al-Shifa Krankenhaus, 28. Juli 2025
„Ich bin am israelischen Kontrollpunkt. Sie haben Medikamente in den Taschen eines Arztes entdeckt und überprüfen nun JEDE Tasche, jetzt, während ich dir schreibe. Sie beschlagnahmen Diabetes-Medikamente, Blutdruckmedikamente, Powerbanks ... und werfen alles in den Müll. Gott vergib uns.“
Dr. Nabeel Rana, amerikanischer Chirurg, veröffentlicht die Nachricht eines Kollegen, der vor ein paar Tagen mit einem WHO-Konvoi nach Gaza eingereist ist, 29. Juli 2025
„Ich arbeite derzeit neben meinem Studium an der Universität als freiberufliche Autorin, aber ich kann mich nicht mit voller Energie meinen Aufgaben widmen. Mein Gehirn vergisst mehr, als dass es sich erinnern kann; mein Körper ist ständig geschwächt durch den Mangel an wichtigen Nährstoffen und Vitaminen, die ich durch diese anhaltende Hungersnot verloren habe. Das Studieren und Schreiben kostet mich viel Energie, und ich gebe mein Bestes, meine Kräfte für das Studieren und Schreiben zu sparen, aber all meine Bemühungen scheitern an meinem Hunger. Ich neige mittlerweile dazu, eher zu schweigen als zu reden, da Reden Kraft erfordert, die ich derzeit nicht habe.
Und das betrifft meinen Körper – ich bin gerade einmal 21 Jahre alt –, aber was ist mit den älteren Menschen, den Verletzten in den Krankenhäusern und den Behinderten, die an diesem Hunger sterben? Was passiert mit ihren Körpern?“
Sara Awad, Studentin und freiberufliche Autorin aus Gaza Stadt, in ihrem Beitrag „Food Has Become a Memory” für The Intercept, 26. Juli 2025
„Vor zwei Tagen bin ich vor Erschöpfung, Hunger und niedrigem Blutzucker zusammengebrochen. Eine Stunde später fanden sie einen Löffel Zucker, rührten ihn in Tee ein – damit ich wieder weiter operieren und Blutungen stoppen konnte.“
Dr. Ahmad Abu Nada, Facharzt für Gefäßchirurgie, 24. Juli 2025
„Und dann sah ich sie. Mitten auf der Straße. Sechs Seelen. Eine Familie. Eng aneinander gekauert, nicht am Rand, wo die Verdammten normalerweise sterben, sondern mitten auf der Straße; als hätten sie ihre Position am Altar eines unsichtbaren Gottes eingenommen, der nicht mehr antwortet. Ich hätte mich abwenden sollen. Ich ging auf sie zu. Sie waren still. Zu still. Ein Kreis aus Knochen und Atem.
Und da war es. Eine Mahlzeit. Oder was ich für eine Mahlzeit hielt. Aber nein. Es war kein Essen.
Es war Müll. Und dann sah ich ihn. Den Vater. Mit Händen, die keine Hände mehr waren, sondern zitternde Werkzeuge der Verzweiflung. Er griff in den Müll und hob das Essen heraus: nicht um es zu essen, nein, sondern um es zu füttern. Er fütterte es seiner Tochter. Ein kleines Mädchen. Ihre Augen waren zu groß für ihr Gesicht. Ihre Lippen waren rissig. Ihr Kleid war zerrissen, als wäre sie durch die Geschichte selbst gefallen. Und er fütterte sie mit Müll, mit Liebe. Mit Zärtlichkeit. Als wäre es Suppe. Als wäre es Gold. Er hielt es vorsichtig. Hob es wie eine heilige Gabe an ihre Lippen.
Und sie nahm es.
Sie kaute langsam.
Sie lächelte.
Und ich ... Ich zerbrach.“
Dr. Ezzideen Shehab, Arzt in Gaza, 26. Juli 2025
„Eine Mutter gab ihrer fünf Monate alten Tochter einen letzten Kuss und weinte. Das Baby von Esraa Abu Halib wog nun weniger als bei seiner Geburt. Auf einer sonnigen Straße im zerstörten Gaza symbolisierte das Bündel mit Zainab Abu Halib den jüngsten Todesfall durch Hunger nach 21 Monaten Krieg und israelischer Blockade von Hilfe. Das Mädchen hatte bei seiner Geburt über drei Kilogramm gewogen, so seine Mutter. Als es starb, wog es weniger als zwei Kilogramm. Ein Arzt sagte, es handele sich um einen Fall von „schwerer, schwerer Unterernährung”. Es wurde für die Beerdigung in ein weißes Tuch gewickelt und zum Gebet auf den sandigen Boden gelegt.“
Associated Press (AP), 27. Juli 2025
„In Gaza sind die Schreie hungriger Kinder zu einem ganz normalen Teil des Alltags geworden.“
Ahmed Ahmed, palästinensischer Journalist, in seinem Beitrag „Israel’s starvation campaign ravages Gaza“, 25. Juli 2025
„Zur ewigen Schande. Jüdinnen und Juden, die vor 80 Jahren einen Völkermord erlitten haben, begehen nun selbst einen Völkermord in Gaza. Schande, Wut und Trauer.“
Michael Benyair, ehemaliger Generalstaatsanwalt und ehemaliger stellvertretender Richter am Obersten Gerichtshof Israels, am 28. Juli 2025 auf X (Twitter)
„Die Erkenntnis, dass das israelische Regime im Gazastreifen Völkermord begeht, und die tiefe Besorgnis darüber, dass sich dieser auf andere Gebiete ausweiten könnte, in denen Palästinenser*innen unter israelischer Herrschaft leben, erfordern dringende und unmissverständliche Maßnahmen sowohl seitens der israelischen Gesellschaft als auch der internationalen Gemeinschaft sowie den Einsatz aller nach internationalem Recht verfügbaren Mittel, um Israels Völkermord an dem palästinensischen Volk zu stoppen.
Keine Palästinenserin und kein Palästinenser, der unter dem genozidalen israelischen Regime lebt, ist sicher.“
Die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem veröffentlichte am 28. Juli 2025 einen neuen Bericht mit dem Titel „Unser Genozid“.
„Seit ich Menschenrechtsaktivistin bin, habe ich unzählige Zeugenaussagen gehört und gelesen, Berichte über Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, geprüft, nachrecherchiert und mit Betroffenen oder deren Angehörigen gesprochen. Aber das Interview mit Anthony Aguilar, dem ehemaligen Mitarbeiter der Gaza Humanitarian Foundation, hat mich auf eine Weise getroffen, die ich kaum in Worte fassen kann. Vielleicht, weil hier ein Mann spricht, der das System von innen kannte. Vielleicht, weil seine Stimme beim Erzählen von Amirs Geschichte brach. Anthony Aguilar ist kein Aktivist, kein Politiker mit einer Agenda. Er ist ein Mann, der 25 Jahre seines Lebens dem Militärdienst gewidmet hat, ein „Green Beret“, der in Afghanistan und im Irak gekämpft hat. Wenn jemand wie er vor eine Kamera tritt und sagt: “Zweifellos habe ich Kriegsverbrechen miterlebt”, dann haben diese Worte das Gewicht der Erfahrung: „Ich habe noch nie solche Brutalität und den Einsatz von unterschiedsloser Gewalt gegen eine unbewaffnete, hungernde Bevölkerung gesehen.” Das kommt von einem Mann, der Krieg kennt, der die Unterschiede zwischen legitimen militärischen Operationen und Völkerrechtsverletzungen aus erster Hand versteht.
Von allen Details, die Aguilar schildert – den Panzergeschossen auf Zivilfahrzeuge, den Mörsergranaten in Menschenmengen – ist es eine Geschichte, die das wahre Gesicht dieser Katastrophe zeigt. Ein fünfjähriger Junge namens Amir. Zwölf Kilometer war er unter der brennenden Sonne gelaufen, ein Kind, das eigentlich spielen sollte, aber stattdessen zum Ernährer seiner hungernden Familie geworden war. Als er endlich bei der Hilfsstelle ankam, gab Aguilar ihm eine kleine Tüte Linsen – nicht mehr als ein paar Handvoll, aber für dieses Kind ein Hoffnungsschimmer.
In einem Moment purer Dankbarkeit küsste Amir Aguilar die Hände. Ein Zeichen der Wertschätzung für das Geschenk des Überlebens. Sekunden später erschossen israelische Soldaten das Kind. Amir starb, bevor er das Essen kosten konnte, nach dem er sich so gesehnt hatte.“
Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich, 29. Juli 2025
„Wir, Israelis, die sich für eine friedliche Zukunft für unser Land und unsere palästinensischen Nachbar*innen einsetzen, schreiben dies mit großer Scham, Wut und Schmerz. Unser Land hungert die Bevölkerung von Gaza zu Tode und erwägt die Zwangsumsiedlung von Millionen Palästinenser*innen aus dem Gazastreifen. Die internationale Gemeinschaft muss Israel mit drastischen Sanktionen belegen, bis es diese brutale Kampagne beendet und einen dauerhaften Waffenstillstand umsetzt.“
Einunddreißig israelische Unterzeichner*innen aus dem öffentlichen Leben, darunter Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und Intellektuelle, bringen in einem Brief an The Guardian ihre Scham, Wut und Verzweiflung über die Notlage der Palästinenser*innen zum Ausdruck und fordern die internationale Gemeinschaft zum Handeln auf, 29. Juli 2025
„Motiviert durch unser tiefes wissenschaftliches und ethisches Engagement im Bereich politischer Gewalt und Massengräuel, einschließlich des Völkermords der Nazis an den Juden, haben wir im April das Genocide and Holocaust Studies Crisis Network mitbegründet. Innerhalb weniger Wochen nach seiner Gründung schlossen sich uns mehr als 400 Wissenschaftler*innen aus zwei Dutzend Ländern an, die sich mit Völkermord und Holocaust befassen. Das schnelle Wachstum der Gruppe zeugt von der Dringlichkeit des Augenblicks. Heute fordern wir gemeinsam mit Hunderten von humanitären Organisationen, Dutzenden von Regierungen und Millionen protestierender Student*innen und Bürger*innen auf der ganzen Welt sofortige konkrete Maßnahmen, um weitere Gräueltaten zu verhindern und die Zivilbevölkerung zu schützen. Als Wissenschaftler*innen, die sich mit Völkermord befassen, fordern wir ein Ende der Gräueltaten Israels. Beendet den Völkermord jetzt!“
Taner Akçam, Marianne Hirsch and Michael Rothberg; Begründer von Genocide and Holocaust Studies Crisis Network, 29. Juli 2025
„Die Palästinenser*innen in Gaza erleben eine humanitäre Katastrophe epischen Ausmaßes. Das ist keine Warnung. Es ist eine Realität, die sich vor unser aller Augen abspielt.“
UN-Generalsekretär Antonio Guterres, 29. Juli 2025
„Die Menschen in Gaza, die Bomben und Kugeln überlebt haben, verhungern. Gestern haben die israelischen Streitkräfte erneut auf Menschenmengen geschossen, die auf Hilfslieferungen warteten. Krankenhäuser berichten von mehr als 80 Toten. Die Hungernden kamen als Verwundete zurück. Die Grausamkeit scheint keine Grenzen zu kennen. 2,1 Millionen Menschen im Gazastreifen sind auf nur 12 Prozent des Gebiets zusammengepfercht und verhungern, ohne genug Nahrung oder sauberes Wasser zum Überleben zu haben. Was in den Gazastreifen gelangt, reicht bei weitem nicht aus, um das Leben zu erhalten. Die Hilfsgüter müssen einen meist unüberwindbaren Hindernisparcours zu den Haushalten überwinden.
Vor mehr als einem Jahr wurde Israel vom höchsten Gericht der Welt, dem Internationalen Gerichtshof, aufgefordert, den Palästinenser*innen nicht absichtlich Lebensbedingungen zuzumuten, die ihre vollständige oder teilweise physische Zerstörung zur Folge haben. Mehr als ein Jahr später sind die Lebensbedingungen in Gaza so schlecht wie nie zuvor. Was wir sehen, sind vielmehr Bedingungen des Todes. Das Gericht wies Israel auch an, alle notwendigen und wirksamen Maßnahmen zu ergreifen, um unverzüglich – und in voller Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen – die ungehinderte Bereitstellung dringend benötigter humanitärer Hilfe in großem Umfang zu gewährleisten, auch durch weitere Landübergänge.
Doch der Gazastreifen wird ausgehungert. Die Unterernährung nimmt rapide zu. Den Krankenhäusern mangelt es an lebenswichtigen Gütern und sie brechen unter den unaufhörlichen Wellen von Opfern zusammen. Es gibt nicht genug Treibstoff für wichtige Dienste. Die wenigen Wassertransporter, die zur Verfügung stehen, werden von verzweifelten Menschen überrannt. Dieser Tod und dieses Leid sind vermeidbar.
Und wenn es vermeidbar ist, aber dennoch geschieht, dann schließe ich daraus, dass es vorsätzlich geschieht. Die Überlebensgrundlage einer ganzen Bevölkerung wurde zerstört, und unsere Fähigkeit, eine Rettungsleine zu zuwerfen, wird behindert. Diejenigen, die Einfluss haben, können nicht sagen, dass sie es nicht wussten, sondern nur, dass sie beschlossen haben, nicht zu handeln. Israel hat vom Internationalen Gerichtshof keine Empfehlung erhalten. Es wurde ein rechtlicher Auftrag erteilt.“
Jonathan Whittall, Leiter des Büros der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) in den besetzten palästinensischen Gebieten, 22. Juli 2025
„Jeder dritte Mensch in Gaza muss derzeit tagelang ohne Essen auskommen, so die Integrated Food Security Phase Classification (ICP). Auch die Krankenhäuser sind überlastet und haben seit April mehr als 20 000 Kinder wegen akuter Unterernährung behandelt. Seit Mitte Juli sind mindestens 16 Kinder unter fünf Jahren an den Folgen von Hunger gestorben. Die Warnung folgt auf eine IPC-Analyse vom Mai 2025, die bis September 2025 eine katastrophale Ernährungsunsicherheit für die gesamte Bevölkerung prognostiziert hatte. Nach Angaben der Expert*innen von ICP werden voraussichtlich mindestens eine halbe Million Menschen in die IPC-Phase 5, also in die letzte und katastrophalste Phase geraten, die durch Verhungern, Elend und Tod gekennzeichnet ist.“
„In Gaza, mounting evidence of famine and widespread starvation“, Bericht der Vereinten Nationen, 29. Juli 2025
„Die Hungersnot in Gaza ist die schwerste Hungerkrise, mit der die Welt seit Jahrzehnten konfrontiert ist. Das ist anders als alles, was wir in diesem Jahrhundert bisher gesehen haben. Es erinnert uns an frühere Katastrophen in Äthiopien oder Biafra im vergangenen Jahrhundert.“
Ross Smith, Notfallkoordinator des Welternährungsprogramms (WFP), auf einer Pressekonferenz nach Veröffentlichung der IPC-Warnung, 29. Juli 2025
„Die Kinder sterben zuerst. Unter Hungerbedingungen ist der Nährstoffbedarf ihrer wachsenden Körper höher als der von Erwachsenen, sodass ihre Reserven schneller aufgebraucht sind. Ihr noch nicht vollständig entwickeltes Immunsystem wird schwächer und anfälliger für Krankheiten und Infektionen. Eine Durchfallerkrankung kann tödlich sein. Ihre Wunden heilen nicht. Die Babys können nicht gestillt werden, da ihre Mütter nichts zu essen haben. Sie sterben doppelt so häufig wie Erwachsene.
Letzte Woche starben innerhalb von nur 72 Stunden 21 Kinder in Gaza an Unterernährung und Hunger. Der Weg in den Hungertod ist langsam und qualvoll, insbesondere in einem Gebiet, in dem nicht nur Lebensmittel, sondern auch Medikamente, Unterkünfte und sauberes Wasser knapp sind. Die Gesamtzahl der Todesopfer durch Hunger stieg am Wochenende auf über 100, darunter 80 Kinder. Ein Helfer berichtete, dass Kinder ihren Eltern sagen, sie wollten sterben und in den Himmel kommen, weil „es im Himmel wenigstens etwas zu essen gibt“.“
Nesrine Malik, Kolumnistin bei The Guardian und Buchautorin, 28. Juli 2025
„Nach einundzwanzig Monaten sind dies symbolische Gesten. Sie sind theatralisch und dienen aus meiner Sicht nur dazu, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Unsere Arbeit wird auf Schritt und Tritt blockiert und verzögert. Der Bedarf ist exponentiell größer als in der Vorkriegszeit. Aber der Zugang ist tatsächlich schlechter. Der Hunger lässt sich nicht mit zehn oder gar 300 Lastwagen beheben. Was wir brauchen, sind keine stückweisen Lösungen, sondern tatsächliche systemische Veränderungen.
Bushra Khalidi, politische Leiterin von Oxfam, im Interview mit The Guardian über die neuen israelischen „Hilfs“-Maßnahmen, 30. Juli 2025
„Kalorien allein werden Gaza nicht retten. Die Menschen brauchen Thiamin, Phosphat, Kalium und medizinische Nahrung wie F-75 [eine Spezialmilch für kleine Kinder, Anm.]. Begrenzte Hilfe bedeutet, dass als Nächstes das Refeeding-Syndrom tödlich sein wird. Lasst UNRWA und Action Against Hunger herein. Öffnet die Grenzen. Keine Begrenzung der Hilfe.“
Dr. Mohammed Hamad, Klinischer Ernährungsberater in Gaza, 28. Juli 2025. (Unter dem Begriff Refeeding-Syndrom (RFS) fasst man - mitunter lebensbedrohliche - Symptome zusammen, die durch rasche Zufuhr normaler Nahrungsmengen nach langer Zeit der Unterernährung hervorgerufen werden können.]
„Die humanitären Helfer*innen berichteten, dass die Einfuhr von Datteln und Oliven nach Gaza von israelischen Beamten immer wieder ohne Erklärung zurückgewiesen wurden. Nachdem sie ihre Erfahrungen mit anderen Hilfsorganisationen ausgetauscht hatten, stellten sie fest, dass der gemeinsame Nenner bei allem zurückgewiesenen Obst oder Gemüse Kerne oder Samen war, die angepflanzt werden hätten können.“
“Israel’s new measures do nothing to stop the starvation crisis in Gaza, say aid workers”, The Guardian, 30. Juli 2025
„Was haben wir getan? Wenn die westlichen Führungen auch nur einen Funken Schamgefühl hätten, würde ihnen diese Frage den Schlaf rauben. Und die Antwort wäre ganz einfach. Ihr habt die Massenhungersnot eines ganzen Volkes ermöglicht. Ihr wusstet, was geschah, denn 21 Monate lang gab es eine Flut von Beweisen, und weil der Täter – euer Freund – wiederholt vor der Welt mit seinem Verbrechen geprahlt hat. Aber leider werden sich die Architekten dieses Gräuels nicht zur Rechenschaft ziehen lassen. Das wird der Geschichte überlassen bleiben – und den Gerichten.“
Owen Jones, britischer Journalist, in seinem Kommentar “Israel has deliberately starved the people of Gaza. It couldn’t have done it without the west’s help”, The Guardian, 30. Juli 2025
„Heute morgen sah ich eine israelische TV-Sendung. Thema: Der Hunger in Gaza. Gezeigt wurde das Bild einer Mutter mit ihrem abgemagerten, ausgezehrten Kind. Ein Talkshowgast sagte: „Schaut euch einmal an, wie dick die Mutter ist. Schaut auf ihr Doppelkinn. Sie könnte eine Diät gebrauchen.““
Sawsan Chebli, deutsch-palästinensische Autorin und Aktivistin, 29. Juli 2025
„Das wissen wir alles nicht.“
Oskar Deutsch, Präsident der israelitischen Kultusgemeinde in Wien, im ZIB2 Interview mit Armin Wolf, 29. Juli 2025




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