Wie es sich anfühlt zu verhungern
- office16022
- vor 3 Tagen
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„Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie schwer es für meine Familie und die Familie meiner Frau in Gaza ist, wie verzweifelt sie sind, wie verängstigt sie sind, wie hungrig sie sind.
Sie hatten gehofft, dass Trumps Besuch und die Freilassung von Edan Alexander in einem Waffenstillstandsabkommen mündet, das ihr monatelanges tragisches Leiden beenden würde. Doch stattdessen leben unsere Familien unter den schlimmsten Folgen dieser Tragödie. Mein jüngster Neffe ist sechs Monate alt und ich hörte ihn schreien, als ein Luftangriff in der Nähe stattfand.
Das muss endlich aufhören.“
Mosab Abu Toha, palästinensischer Schriftsteller und Pulitzerpreisträger, 15. Mai 2025
„Ich erinnere mich daran, wie sich der Hunger in meinem Körper festsetzte - nicht mehr nur als Schmerz, sondern als eine Art Stille. Mein Kopf pochte ständig. Wenn ich aufstand, drehte sich der Raum. Mein Mund schmeckte nach Metall. Meine Glieder fühlten sich schwer an, als würde ich durch Wasser waten. Ich hörte auf, Hunger als Verlangen zu empfinden; er wurde zu etwas anderem – zu einem langsamen Abschalten.“
Mohammed R. Mhawish: “What It Feels Like to Starve”, 12. Mai 2025
„Als ich den Gazastreifen vor zwei Monaten besuchte, waren die Kinder bereits am Verhungern. Nach sechzig Tagen totaler Blockade kann ich mir nicht vorstellen, wie viele weitere vor unseren Augen sterben werden. Kinder, die verhungern, weinen am Ende nicht einmal mehr. Ihre kleinen Herzen werden einfach langsamer und bleiben schließlich stehen, sie geben angesichts dieser grausamen Welt auf.“
Dr. Mohamed Kuziez, Kinderarzt aus Colorado, Mitglied bei Doctors Against Genocide (DAG), 14. Mai 2025
„Viele Palästinenser*innen in Gaza sind gezwungen, jedes Tier zu essen, das sie finden können, um sich mit Proteinen zu versorgen. Videos, die von mir und meinen Kollegen in der Presse bestätigt wurden, zeigen Menschen, die Meeresschildkröten, Pferde und sogar Igel verzehren, um zu überleben. Eine Geschichte, die mich zutiefst bewegt hat, war die eines Kindes, Omar Qannan, der sagte, er habe Schildkrötenfleisch gegessen, obwohl er Raphael, den Superhelden aus „Teenage Mutant Ninja Turtles“, liebt. Es ist schwer, sich vorzustellen, wie Omar jemals wieder seine Lieblings-Cartoonfigur sehen wird, ohne sich daran zu erinnern, dass der Hunger ihn einst dazu zwang, ein Tier zu essen, das er als heldenhaften Freund ansah.“
Wesam Abo Marq, palästinensischer Journalist, in seinem Beitrag „Famine Haunts the People of Gaza. Israel Is Trying to Convince You It’s Fake.” für The Intercept, 7. Mai 2025
Was wir jetzt in Gaza erleben, ist keine Hungersnot der Natur. Es ist eine Hungersnot als Massenvernichtungswaffe.
Von Mohammed M. Mhawish, 12. Mai 2025
(Originalbeitrag in englischer Sprache)
Vor einem Jahr erlebte ich denselben Alptraum, den 2,2 Millionen Menschen im Gazastreifen derzeit durchleben: ständige Erschöpfung, Dehydrierung, schneller Gewichtsverlust.
Israel hatte schon seit Monaten nicht genügend Lebensmittel, Wasser, Medikamente und Gas mehr nach Gaza gelassen, und wir waren alle langsam am Verhungern. Ich erinnere mich daran, wie sich der Hunger in meinem Körper festsetzte - nicht nur als Schmerz, sondern als eine Art Stille. Mein Kopf pochte ständig. Wenn ich aufstand, drehte sich der Raum. Mein Mund schmeckte nach Metall. Meine Glieder fühlten sich schwer an, als würde ich durch Wasser waten. Ich empfand den Hunger nicht mehr als Verlangen, sondern als etwas anderes - ein langsames Abschalten.
Ich erinnere mich noch daran, wie bei meinen Eltern, meinem damals zweieinhalbjährigen Sohn und mir Unterernährung diagnostiziert wurde. Obwohl es mich am schlimmsten traf, tat mir nichts mehr weh als zu sehen, wie mein eigenes Kind und meine Eltern vor meinen Augen verhungerten. Zu sehen, wie sie hungern, und zu wissen, dass ich ihnen nichts bieten konnte, war ein eigenes Leiden.
Jeden Tag schaute ich in das Gesicht meines Sohnes und fragte mich, ob ich jemals wieder in der Lage sein würde, seinen Teller oder seine Tasse zu füllen. Würde es jemals eine Nacht geben, in der er sich nicht vor Hunger in den Schlaf weinte? Einen Morgen, an dem er ohne diesen leeren Blick in seinen Augen aufwachen würde? Ich tat, was ich konnte, um ihn zum Lächeln zu bringen und ein wenig Licht in seinen Tag zu bringen. Selbst als sich Freude wie eine Lüge anfühlte und Sicherheit nur ein Wort war, dessen Bedeutung wir längst vergessen hatten.
Jetzt beobachte ich, wie meine Freund*innen, Familienangehörigen und Kolleg*innen denselben langsamen Zusammenbruch erleiden, genau wissend, was er bedeutet, und unfähig, ihn aufzuhalten.
Am 2. März verschärfte Israel erneut seinen Würgegriff über Gaza und blockierte systematisch den Zustrom von Lebensmitteln, Wasser und medizinischer Hilfe. Nach UN-Berichten wurde nur ein kleines Rinnsal an humanitären Konvois hineingelassen - weit weniger als nötig wäre, um eine Massenhungersnot zu verhindern. Das Welternährungsprogramm warnt, dass 93 Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens von einer Hungersnot bedroht sind, wobei im Norden bereits eine Hungersnot herrscht.
In Gaza beginnt jeder Tag auf die gleiche Weise: mit dem Versuch, den nächsten Tag zu überstehen. Die Menschen laufen durch die Trümmerstraßen auf der Suche nach Nahrung, Holz oder irgendetwas, das ihre Familien am Leben erhält. Es gibt kein Gas, keinen Strom und kaum Wasser. Es gibt keinen Weizen mehr. Die Menschen mahlen Gerste und Mais, die als Tierfutter dienen, zu Mehl. Doch selbst das ist schwer zu finden.
Das Gas zum Kochen ist schon lange ausgegangen; jetzt graben die Menschen in den Ruinen nach Holz, alten Türen, zerbrochenen Möbeln, nach allem, was brennbar ist. Feuer brennen in den Gassen und hinterlassen einen Geruch auf allem: Haare, Haut, Kleidung. Der scharfe, saure Geruch von brennendem Plastik und Müll erfüllt die Luft. Er lässt einen nicht mehr los.
Aseel Afana, eine Mutter in Jabalia, sieht jeden Tag in das Gesicht ihrer Tochter und spürt den erdrückenden Schmerz, dass sie nicht genug Nahrung oder Milchpulver bekommt. „Fast jede Nacht weint Sila, die erst 14 Monate alt ist, vor Hunger“, sagt Aseel, die sich nicht erinnern kann, wann ihre Tochter das letzte Mal satt war. „Ich versuche, sie bei Laune zu halten und sie vielleicht zum Lächeln zu bringen“, fügt sie hinzu, „auch wenn im Moment keiner von uns einen Grund zum Lächeln hat.“
Aseels Stimme zittert, als sie beschreibt, wie sie versuchte, ihre kleine Tochter in Sicherheit zu bringen - auch wenn es so etwas wie Sicherheit in Gaza nicht gibt. „Ich fühle mich schwach, hilflos und naiv. Und die Welt sieht uns beim Sterben zu. Das ist die einzige Schlussfolgerung, zu der wir kommen können - dass unser Leben einfach nichts zählt.“
Angesichts dieser zunehmenden Verzweiflung wurden am Wochenende Berichte bekannt, wonach die Vereinigten Staaten und die Hamas Verhandlungen über einen möglichen Waffenstillstand und die dringende Einreise humanitärer Hilfe aufgenommen haben. Ein hochrangiger palästinensischer Beamter bestätigte die Gespräche und betonte, dass die Bedingungen für die mehr als 2 Millionen Menschen, die unter der andauernden israelischen Belagerung unter schwerem Hunger, Dehydrierung und medizinischer Unterversorgung leiden, unbedingt verbessert werden müssen. Im Rahmen der Verhandlungen hat sich die Hamas bereit erklärt, Edan Alexander freizulassen, einen 21-jährigen israelisch-amerikanischen Soldaten, der im Gazastreifen gefangen gehalten wird. Donald Trump kündigte die erwartete Freilassung Alexanders an und bezeichnete sie als wichtigen Schritt zur Sicherung eines Waffenstillstands und zur Freigabe des Zugangs für Hilfsgüter nach Gaza.
Wenn die Berichte stimmen und die Hilfslieferungen wieder in Gang kommen, wird dies keinen Moment zu früh kommen.
Wenn Lebensmittel an der Grenze blockiert werden, wenn Hilfsgütertransporte gestoppt werden, wenn Bäckereien bombardiert und Ackerland platt gemacht wird, geht es nicht mehr darum, Lieferungen zu verweigern. Es geht um die Verweigerung von Leben. Und deshalb muss die Welt verstehen: Dies ist keine Hungersnot ausgelöst durch die Natur - es ist eine Hungersnot mit Absicht.
Lkw-Ladungen mit Hilfsgütern stehen untätig an der Grenze, werden abgewiesen oder durch israelische Entscheidungen wochenlang aufgehalten, während im Gazastreifen Eltern Tierfutter zu Mehl mahlen und Kinder in den Trümmern nach Resten suchen.
Der Markt hält kaum noch zusammen. Es gibt nur eine sehr begrenzte Anzahl von Verkäufern hinter behelfsmäßigen Tischen, die Reste verkaufen: ein bisschen Reis hier, ein Sack Mehl dort. Vor ein paar Tagen sah ein Freund von mir, wie eine hungernde Frau auf einen Verkäufer zuging, ihm ein goldenes Armband, wahrscheinlich ein Hochzeitsgeschenk, überreichte und ihn leise um einen Sack Mehl bat. Der Verkäufer warf ihr einen Blick zu, dann schaute er zum Himmel, als würde er sich fragen, wie lange sie noch haben.
Und überall gehen die gleichen leisen, abgenutzten Fragen von Mund zu Mund: Wo kann ich Brot finden? Woher bekommen wir Wasser?
Im Gazastreifen droht mehr als 3 500 Kindern unter fünf Jahren der Hungertod, warnt das Medienbüro der Regierung von Gaza. Weitere 70 000 Kinder liegen in Krankenhausbetten, ihre kleinen Körper sind von schwerer Unterernährung gezeichnet.
Ich sprach mit Abdelhakim Aburiash, einem Journalisten aus dem nördlichen Gazastreifen, der seit Tagen weder Nahrung noch sauberes Wasser hat. „Ich kann den Schmerz in meinem Magen, in meinen Knochen und in meinem Kopf gar nicht beschreiben“, sagt er. „Ich habe das Gefühl, dass ich nicht weitermachen kann. Aber ich muss weitermachen.“ Sein Körper bricht zusammen, aber er weigert sich, mit dem Sprechen aufzuhören. Abdlehakim hat in zwei Monaten mehr als 15 Kilogramm abgenommen.
Im gesamten Gazastreifen macht sich der Hunger nicht nur in den leeren Küchen bemerkbar. Überall sind dünne Arme, geschwollene Bäuche und eingefallene Wangen zu sehen. Die Menschen laufen vorneübergebeugt vor Bauchkrämpfen. Die Haut der Kinder ist rissig vor Dehydrierung. Die Augen verlieren ihr Licht. Und über allem: das ständige Brummen der Drohnen, das scharfe Krachen der Artillerie, das Kreischen der Kampfjets.
Ich kenne den Hunger - die nagende Leere, das Schwindelgefühl, den stillen Schmerz des Körpers. Aber was ich jetzt in Gaza sehe, ist kein Hunger. Es ist Verhungern. Hunger ist ein Gefühl. Verhungern ist eine Waffe. Hunger macht einen schwach. Verhungern wird benutzt, um einen zu brechen.
Wir beobachten ein Volk, mein Volk, das in Echtzeit verhungert.
Ich erinnere mich an die kleinen, verzweifelten Tricks des Hungers: Brot in winzige Stücke brechen, um den Verstand zu täuschen. Salziges Wasser trinken, nur um etwas im Mund zu spüren. Ein Ei in drei Teile zu teilen. Lernen, nicht zu fragen: „Was gibt es zum Abendessen?“, denn das ist ein grausamer Scherz.
Wir erzählen diese Geschichte nicht, damit die Welt Mitleid mit uns hat. Wir erzählen sie, weil wir entweder schon tot sind oder langsam sterben. Und wir bitten diejenigen, die noch Macht haben, diejenigen mit Stimmen, die jenseits dieses Schlachthauses gehört werden können, zu wissen, dass wir ausgehungert werden. Wir schlafen auf der Straße ohne Obdach. Wir kratzen am Boden des Lebens, und wenn wir den Kopf heben, sehen wir eine Welt, die beschlossen hat, dass wir verschwinden können.
Hier herrscht ein Schmerz, den Worte nicht ausdrücken können.
Selbst aus der Ferne spüre ich den Schmerz von Gaza in meinem Körper. Ich kenne den hohlen Blick in den Augen meiner Freunde auf dem Bildschirm, die dünnen Stimmen, wenn sie es schaffen, eine Nachricht zu übermitteln. Ich weiß, was es bedeutet, wenn sie sagen, dass es ihnen „gut geht“ - dass sie seit Tagen nichts mehr gegessen haben, dass sie das Wasser literweise rationieren, dass sie Nachbarn begraben und beten, dass sie nicht die nächsten sind.
Es ist eine besondere Art der Qual, den Menschen, die man liebt, dabei zuzusehen, wie sie einen Kampf durchstehen, den man nur zu gut kennt - jede Pause, jedes gezwungene Lächeln, jedes Schweigen in der Leitung als Zeichen von Erschöpfung und Verlust zu erkennen. Endlos durch Updates, Sprachnotizen und Fotos von Trümmern und Asche zu scrollen und zu wissen, dass kein Anruf, keine Nachricht, kein Beitrag einen leeren Teller füllen oder den Hunger eines Kindes stillen kann.
Die Hilflosigkeit ist eine Last, die ich jede Stunde mit mir herumtrage. Denn wenn man den Hunger überlebt hat, versteht man, dass das, was sie jetzt erleben, nicht nur eine Krise ist - es ist eine langsame, bewusste Vernichtung des Lebens. Und von hier aus kann ich nur Zeugnis ablegen und mich weigern, dass die Welt wegschaut.
Ich möchte, dass die Menschen dies verstehen: In Gaza fallen Eltern in Ohnmacht, während sie in der Schlange für Brot warten, Kinder brechen vor Dehydrierung zusammen, und Säuglinge sterben, weil sie keine Säuglingsnahrung bekommen. In den überfüllten Unterkünften rationieren die Mütter die Brotstücke auf mehrere Kinder, während die Väter die Böden der Töpfe nach übrig gebliebenen Körnern abkratzen.
Ärzte vor Ort berichten von einem alarmierenden Anstieg der Fälle von schwerer akuter Unterernährung, von Babys, deren Haut über den Knochen hängt und deren Körper zu schwach ist, um zu schreien. Die Märkte sind leergefegt, sagen die Bewohner*innen, und viele versuchen verzweifelt, mit Holz- oder Metallresten zu handeln, um etwas Essbares zu bekommen.
An den Wasserausgabestellen bilden sich oft schon vor dem Morgengrauen Schlangen, und Kinder stehen stundenlang barfuß, um leere Krüge zu umklammern, in der Hoffnung, sie aus beschädigten Wasserhähnen füllen zu können.
Anwohner*innen berichten, dass Eltern routinemäßig Mahlzeiten ausfallen lassen - nicht freiwillig, sondern weil es nichts mehr zu essen gibt. Einige sind gezwungen, Babys mit Zucker zu füttern, der in Wasser gemischt ist, wenn überhaupt Wasser zu finden ist. Kinder, die man früher auf der Straße spielen sah, durchstöbern jetzt die Trümmer nach Essensresten.
Die Krankenhäuser in Gaza sind überlastet, und die Ärzte warnen, dass der Hunger die Menschen tötet, noch bevor die Bomben zurückkehren. Die Leichenhallen sind überfüllt, und an den Grenzübergängen bleiben die Hilfsgütertransporte stecken, so dass die ohnehin schon schlimme humanitäre Krise an den Rand einer Katastrophe gerät.
Dies ist nicht mehr nur eine lebendige Stadt, sondern ein Ort, der ohne sofortiges und massives Eingreifen vor aller Augen verhungert. Die Welt sieht einer von Menschen verursachten Hungersnot zu. Sie sieht zu, wie eine ganze Bevölkerung an den Rand des Überlebens gedrängt wird - und sie tut:
Nichts.
Mohammed R. Mhawish ist ein preisgekrönter Journalist aus Gaza für The Nation, Al Jazeera, The Economist, MSNBC, +972 Magazine und The New Arab.

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