Überprüfung der Schätzungen zur Sterblichkeit in Gaza: korrigiert um nicht in die Stichprobe einbezogene Haushalte ohne Überlebende
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Von Ron Roberts und Joel Vos, International Journal of Health Policy Planning, Volume 4, Seite 1-3, 15. Oktober 2025
(Originalbeitrag in englischer Sprache und dazugehörenden Querverweisen und Statistiken)
Abstract
Aktuelle Schätzungen zur Sterblichkeit im Gazastreifen unterschätzen systematisch die Zahl der Todesfälle, da Haushalte ohne Überlebende nicht berücksichtigt werden. Wir argumentieren, dass die Berücksichtigung dieses Faktors und der Mehrfamilienhaushalte zu deutlich höheren Zahlen führt als bisher berichtet. Wenn wir von 3 Prozent Haushalten ohne Überlebende und 75 Prozent Mehrfamilienhaushalten ausgehen, steigen die Schätzungen der Sterblichkeit auf 152 395 bis 179 555 direkte und indirekte Todesfälle (6,92 bis 8,16 Prozent der Vorkriegsbevölkerung).
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Die Schätzungen zur Zahl der Todesopfer des Gaza-Krieges, der am 7. Oktober 2023 begann, werden bei allen Methoden systematisch zu niedrig angesetzt. Das Gesundheitsministerium von Gaza (GMoH) stützt sich in erster Linie auf Krankenhausunterlagen, aber 654 dokumentierte Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen haben die Möglichkeiten zur Führung von Aufzeichnungen erheblich beeinträchtigt. Aufgrund unzugänglicher Krankenhäuser oder kultureller Bestattungsbräuche bleiben Leichen oftmals ungemeldet. Die Organisation Airwars berichtet von erheblichen Untererfassungen in den vom GMoH veröffentlichten Opferlisten. Darüber hinaus kann es vorkommen, dass Haushalte, in denen niemand überlebt hat, nicht geborgen, nicht identifiziert und nicht gemeldet werden, wenn die Leichen in Massengräbern oder unter Trümmern begraben sind. Online-Datenerhebungsmethoden stoßen aufgrund der beschädigten Kommunikationsinfrastruktur in Gaza an Grenzen, da 70 Prozent der Netzwerke zerstört sind und es gerade dann zu häufigen Stromausfällen kommt, wenn die Meldung der Todesfälle erfolgen sollte. Die Capture-Recapture-Analyse der London School of Hygiene & Tropical Medicine schloss vermisste Personen, die möglicherweise unter Trümmern ums Leben gekommen sind, ausdrücklich aus.
Die Gaza Mortality Survey (GMS) von Spagat et al. versuchte, diese Einschränkungen durch persönliche Interviews zu überwinden, räumte jedoch eine „Abwärtsverzerrung“ durch nicht in die Stichprobe einbezogene Haushalte ohne Überlebende oder ohne überlebende Erwachsene ein. Diese kritische Verzerrung bleibt in allen aktuellen Schätzungen unberücksichtigt. Die außergewöhnlich hohe Bevölkerungsdichte in Gaza (durchschnittlich 6 024 Einwohner/km², im Beach Camp sogar 161 532 Einwohner/km²) erhöht die Gefährdung im Vergleich zu anderen Konfliktgebieten (20-300 Einwohner/km² in Ruanda, Syrien, Bosnien, Darfur, Irak und Jemen) dramatisc. Diese Dichte verschärft die Opferzahlen ganzer Familien durch einzelne Angriffe. Die Vereinten Nationen berichteten, dass bis Februar 2024 35 Prozent der Gebäude in Gaza zerstört worden waren, und bis September 2025 waren schätzungsweise 92 Prozent aller Wohngebäude zerstört oder beschädigt worden. Diese Zahlen deuten darauf hin, dass eine beträchtliche Anzahl von Menschen noch immer verschüttet ist.
Darüber hinaus erschwert die vor dem Krieg mit 50 bis 75 Prozent vorherrschende Mehrfamilien-Zusammenlegung und die nach der Vertreibung wahrscheinlich noch höhere Zahl die Erfassung der Sterblichkeit zusätzlich. Die dokumentierten 2 200 Haushalte ohne Überlebende im Mai 2025 unterschätzen wahrscheinlich die tatsächliche Zahl und berücksichtigen nicht den Multiplikator von 1,41 für unter Trümmern verschüttete Personen. (…) Während unsere Daten von dem gleichen Verhältnis zwischen direkten und indirekten Todesfällen ausgehen wie die Gaza-Sterblichkeitsumfrage, ist es wahrscheinlich, dass es nach wie vor eine erhebliche Untererfassung indirekter Todesfälle gibt, beispielsweise aufgrund von Hunger, nicht übertragbaren Krankheiten, endemischen Infektionskrankheiten, Epidemien und gesundheitlichen Komplikationen bei Neugeborenen. Diese könnten aufgrund der einzigartigen Bevölkerungsdichte und Haushaltszusammensetzung in Gaza höher sein, was zu einer schnelleren Ausbreitung von Krankheiten und einer erhöhten Anfälligkeit der humanitären Transportwege in dicht besiedelten Gebieten führen kann.
Die Sterblichkeitszahlen während Konflikten werden nach Konflikten in der Regel erheblich nach oben korrigiert (um den Faktor 0,7-23,3). Angesichts der beispiellosen Bevölkerungsdichte in Gaza und des dokumentierten Ausmaßes der Zerstörung dürften die aktuellen Schätzungen daher deutlich zu niedrig ausfallen.
Obwohl es unmöglich ist, eine genaue Schätzung der Multiplikationsfaktoren für Haushalte ohne Überlebende und indirekte Todesfälle vorzunehmen, zeigen unsere Berechnungen, wie wichtig es ist, die Zahlen für die Nichtberücksichtigung von Haushalten ohne Überlebende und die Haushaltszusammensetzung anzupassen. Wie die Autoren der Gaza Mortality Survey in ihren Schlussfolgerungen feststellten, könnte das Verhältnis von nicht gewaltsamen zu gewaltsamen Todesfällen seit der Datenerhebung durchaus gestiegen sein. Daher sind unsere eigenen Zahlen wahrscheinlich immer noch konservativ und unterschätzen die tatsächliche Zahl der Todesopfer erheblich. Sie basieren auf der Annahme, dass 3 Prozent der Haushalte keine Überlebenden haben und durchschnittlich 75 Prozent der Haushalte Mehrfamilienhaushalte sind. Auf dieser Grundlage steigen die Schätzungen der Sterblichkeit auf 152 395 bis 179 555 direkte und indirekte Todesfälle, was 6,92 bis 8,16 Prozent der Vorkriegsbevölkerung entspricht.
Die genaue Erfassung des gesamten Ausmaßes der Zerstörung dient zwei Zwecken: der Bewahrung der historischen Wahrheit und der Würdigung des Leids aller Opfer sowie der Erfüllung wesentlicher rechtlicher Verpflichtungen gemäß dem humanitären Völkerrecht.
Ron Roberts, Kingston University, Fachbereich Psychologie, Vereinigtes Königreich
Joel Vos, Metanoia Institute, Vereinigtes Königreich




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